Über uns nur Christus

  09 April 2016    Gelesen: 533
Über uns nur Christus
Polens katholische Kirche gilt als Unterstützerin der nationalkonservativen Regierung in Warschau. Tatsächlich stimmen die Staats- und Gesellschaftsvisionen der beiden Machtzentren überein – zu sehr, wie einige Theologen kritisieren
Nun geht die katholische Kirche in Polen in die Offensive. Am vergangenen Sonntag wurde in allen Gemeinden des Landes eine Stellungnahme verlesen, in der der polnische Episkopat ein völliges Verbot der Abtreibung fordert. Schon das bisherige Gesetz gehört zu den restriktivsten in der EU. Nun sollen die verbliebenen Ausnahmen gestrichen werden. Dann wären Abtreibungen künftig auch nach Vergewaltigungen sowie bei schweren Missbildungen des Fötus untersagt.

Mit ihrem Vorstoß müsste die Kirche bei der in Warschau regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) offene Türen einrennen. Diese hatte noch 2015 einen entsprechenden Gesetzesvorstoß unterstützt. Nun, da sie an der Regierung ist, kann die Forderung der Bischöfe der PiS Probleme bereiten. Denn sie hat in den ersten Regierungsmonaten das Land in eine Verfassungskrise gestürzt. Nun will sie keine weitere Front aufmachen. Ein völliges Abtreibungsverbot könnte die Krise noch verschärfen.

Premierministerin Beata Szydło sagte zwar vergangene Woche, sie unterstütze ein absolutes Abtreibungsverbot, doch es gebe in dieser Frage keinen Fraktionszwang. Zugleich versucht sie, eine Gesetzesinitiative von Abtreibungsgegnern aufzuschieben. Das wiederum droht den Unmut der Kirche zu befördern.

Es wäre das erste Zerwürfnis zwischen Kirche und PiS. Ansonsten sind beide auf einer Linie. Schon vor dem Machtwechsel im Oktober hatte die Amtskirche ihre Sympathien klar verteilt. Zwar hielt sie sich mit einer Wahlempfehlung zurück, doch in Stellungnahmen oder den sonntäglichen Messen war der Wink mit dem Zaunpfahl überdeutlich: Die PiS sei die legitime Macht im Christenland Polen.

Die Bischöfe dürften mit etlichen bisherigen Maßnahmen zufrieden sein. So will die PiS die Rolle der Katholiken in der Öffentlichkeit verstärken und das Fach Religion an Schulen weiter aufwerten. Auch hat sie schon Zuschüsse für die künstliche Befruchtung gestrichen. Diese waren erst 2015 gegen den heftigen Widerstand der Kirche eingeführt worden.

Der nächste Schulterschluss steht bevor. Regierung und Kirchenführung dürften gleich zwei Ereignisse zu einer Demonstration der Einheit von Staat und Kirche nutzen: den Weltjugendtag in Krakau Ende Juli, dessen Zuschüsse bereits aufgestockt wurden, sowie am 15. April die Jubiläumsfeiern zum 1050. Jahrestag der Taufe und Staatsgründung Polens im Jahr 966. "Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir es noch nie mit einer derartigen Übereinstimmung des Denkens über den Staat und die Kirche zu tun", sagte Erzbischof Stanisław Gądecki, der Vorsitzender polnischen Bischofskonferenz, über die bevorstehende Feier. Im Februar hatten die polnischen Bischöfe bei Europe Infos, dem Magazin der katholischen Bischofskonferenzen der EU, interveniert – mit Erfolg: ein PiS-kritischer Beitrag wurde von der Internetseite entfernt.

Partei und Kirche sehen Polen als urkatholisches Land, als Heimat des "Jahrtausendpapstes" Johannes Paul II., als "Bollwerk des Christentums" – mit der katholischen Kirche als Identitätsstifterin. Die Bollwerk-Idee vom "Polen als Christus der Völker" wurde im 19. Jahrhundert durch den polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz entwickelt. Sie stammt also aus der Romantik. Die vermeintlichen Angreifer, die es abzuwehren gelte, sind diffus und austauschbar. Einst war der angeblich barbarische Osten mit dem orthodoxen Russland der Gegner. Heute sind es die liberalen, säkularen Strömungen des Westens und der Islam – auch hier sind sich die PiS und die Kirchenführung großenteils einig. So sah der polnische Episkopat etwa das Treffen von Papst Franziskus mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill im Februar auf Kuba vor allem durch die weltweite "Verstärkung des aggressiven Säkularismus und Liberalismus" motiviert.

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