Wo fängt man an zu erzählen, wenn man in Sant'Agata in den heiligen Hallen des Ferruccio wandelt? Ferruccio Lamborghini, um genau zu sein. Ja, der Lamborghini, der mit Traktoren wohlhabend geworden war und dann 1963 den ersten Sportwagen baute. Natürlich mit Zwölfzylinder. Als ob im Namen Ferruccio so ein bisschen das Adjektiv "verrückt" stecken würde, aber das muss man aus heutiger Sicht wohl gewesen sein, wenn man als Treckerkonstrukteur einfach mal beschließt, von jetzt an Sportwagen zu bauen.
Ob er damals wirklich nur Enzo Ferrari ärgern wollte, von dem sich Ferruccio Lamborghini zuvor wiederum geärgert fühlte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Dafür ist das Geheimnis gelüftet, dass Lamborghini, seit 1998 Bestandteil des Volkswagen-Konzerns, pünktlich zum 60. Geburtstag ein neues Modell vorstellt - mal wieder mit Zwölfzylinder. Lamborghini denkt nicht daran, den emotionalen Verbrenner aufzugeben. Fahren darf ntv.de den neuen Revuelto (so heißt der Aventador-Nachfolger) freilich noch nicht. Aber viele alte Modelle mit zwölf Töpfen unter dem Blech hingegen schon, um sich bis zur Fahrvorstellung des Neulings mental schon auf den jüngsten V12 vorbereiten zu können.
Also Zeitreise in die 1960er-Jahre, als in Sportwagen noch Holzlenkräder und keine Kränze aus Alcantara zu finden waren. Sieht einladend aus, der Lamborghini 400 GT mit den ausdrucksstarken Doppelscheinwerfern. Ah, Moment. Strenggenommen ist das gar nicht das erste Modell des Herstellers, sondern schon eine Modifikation. Lamborghini beauftragte den renommierten Karosserieschneider Touring, die Hülle des Einstandmodells zu zeichnen. Und Giotto Bizzarrini entwickelte dazu passend den 3,5 Liter großen Zwölfzylinder, mit dem der 350 GT im Jahr 1963 an den Start ging. Dessen Hubraum erhöhte sich bis Mitte der 1960er auf 3,9 Liter - fertig war der 400 GT 2+2. Da sind sie also, die großen und berühmten Namen der italienischen automobilen Glamourwelt im noch jungen Nachkriegseuropa.
Keine passende Sitzposition im 400 GT 2+2
Doch waren Namen nicht Schall und Rauch? Nun ist entscheidend, dass der 400 GT hier physisch anwesend ist und geentert werden darf, ja, sogar soll! Und wenn der Markenname nicht auf dem Heckdeckel prangen würde, man könnte wetten, die meisten Passanten identifizierten den eleganten Zweitürer gar nicht als Lamborghini. Wunderschön, aber eher dezent, null prollig.
Gilt das etwa auch für den Antriebsstrang? Mit schmächtigen 1,3 Tonnen auf 320 PS verteilt kann der erste Lamborghini ja eigentlich nicht langsam sein, sollte man denken. Hängt von der Perspektive ab. Lieber nicht übertreiben in den Kurven, obwohl er mit Einzelradaufhängung rundum schon ultramodern ausgerüstet war zu seiner Zeit, als die meisten Sportler mit Starrachsen hinten auskommen mussten. Einsteigen und halbwegs passable Sitzposition finden (eine wirklich passende gibt es nicht) ist schon die erste Challenge. Der Sitz arretiert nicht so richtig und der Kopf klatscht ständig an den Rahmen. Willkommen im italienischen Sportwagen-Universum der 1960er.
Aber dann! Losgefahren und nach einer Weile auch eingegroovt. Irgendwann flutschen die fünf Vorwärtsgänge behände durch die eher undefinierte Schaltgasse. Der Zwölfender schnaubt, will unbedingt Drehzahl, wenn das zierliche Auto mit den potent wirkenden vier Auspuffrohren nach vorn marschieren soll. Tut es dann auch. Irgendwann hat man Spaß daran, weil der leichte Sportler zwar nicht präzise, aber doch besser rückmeldet als entkoppelte Neuwagen. Und zwar alles vom Straßenbelag über Biegungen bis hin zu Steigungen, an denen du eben auch mal zurückschalten musst, wenn's pressiert - trotz 300 PS plus.
Schluss damit, Wechsel in eine andere Ära, damit bloß keine Langeweile aufkommt. Hier in Sant'Agata sind die Lamborghini-Mitarbeiter der Klassikabteilung heute vor allem damit beschäftigt, Fahrzeuge an Medienvertreter zu verleihen. Jeder möchte ein anderes Auto fahren, die einen Kollegen haben spezielle Farbwünsche, wieder andere wollen kein Fahrzeug mit Automatik. Da wirkt der Wunsch, alle Autos chronologisch durchprobieren zu dürfen, einfach zu picky.
Der Countach prägt Lamborghini zwei Jahrzehnte
Also rein in das nächste freie Gefährt. Es ist ein später Countach aus dem Jahr 1988. Lamborghini gönnte sich von dieser Baureihe damals ein Sondermodell zum 25-jährigen Jubiläum. Der erste Countach kam 1974. Anfang der 1970er zogen allerdings Wolken am Lamborghini-Himmel auf. Die feine italienische Sportwagenschmiede hatte mit dem Urraco noch eine günstigere Modellreihe aufgelegt (Debüt 1973) und geriet an den Rand der Überforderung mit Entwicklung und Produktion, da ja die Baureihen Espada und Jarama parallel ebenfalls noch von den Bändern liefen. Und die Ölkrise sorgte auch nicht gerade für Kauflaune im Automobilsektor.
Im Jahr 1972 musste Ferruccio Lamborghini sein Unternehmen an Industrielle aus der Schweiz veräußern. Der optisch gewagte und eigentlich nur als Konzeptstudie gedachte Countach wurde allerdings trotz aller Widrigkeiten gebaut, weil die Zustimmung der Menschen überwältigend war, als sie den extrem flachen Athleten sahen.
Doch der späte Countach hat mit der ersten Serie nicht mehr viel gemein. Statt schnörkelloser Formensprache mit klarer Linie gibt es viel Plastikanbau. Kotflügel und Schwellerverbreiterungen passen aber in den Stil der Zeit, als der D&W-Katalog mit leicht bekleideten Damen en vogue war, aus dem Normalsterbliche solches Geraffel als Zubehör kaufen konnten, um ihren fahrbaren Schätzchen einen Widebody zu verpassen. Die legendären Koenig-Umbauten diverser Mercedes-Modelle schlagen in die gleiche Kerbe.
Dampfhammer der Achtziger: Der Countach beschleunigt irre
Doch genug gemeckert, Zeitgeist ist Zeitgeist. Außerdem lässt das Fahren die fragwürdige Optik vergessen. Und wie! Der späte Countach sieht zwar gewöhnungsbedürftig aus, aber er macht unglaublich Spaß. Und wo hängt der Kopf wieder? Natürlich! Am Türrahmen. Wie beim 400 GT 2+2. Aber wirklich Vorsicht ist bei den Pedalen geboten. Die stehen nämlich so eng zusammen, dass es keine große Kunst wäre, zumindest Bremse und Kupplung gleichzeitig zu betätigen.
Letztere geht übrigens richtig stramm, Wadentraining ist also immer angesagt auf dem Fahrerplatz. Warum eigentlich? Ist simpel, die Tellerfedern der Kupplung müssen stark sein, um die Schwung- besonders fest mit der Kupplungsscheibe zu verbinden, wenn die bärigen Kräfte (455 PS) des 5,2-Liter-V12 übertragen werden wollen.
Der Countach tritt ins Kreuz, hat mächtig Dampf, treibt die nur 1,6 Tonnen schwere Karosse binnen 4,8 Sekunden auf Landstraßentempo. Und da sich die Italiener für dieses Modell auch die Servolenkung verkneifen, wird der Bizeps gleich mittrainiert. Damals muss dieses Auto als unglaublich schnell empfunden worden sein - in einer Zeit, als man mit 75 PS schon als solide motorisiert galt.
Dank Audi hat Lamborghini eine Zukunft
Und jetzt kommt unverhofft doch ein chronologisch sortierter Übergang. Denn während sich ein Kollege den Countach schnappt, steige ich in den Diablo. Ein Supersportler, der entwickelt wurde, als Lamborghini gerade zu Chrysler gehörte und die ersten Modifikationen enthielt, als die italienische Traditionsschmiede ihre ökonomische Odyssee gerade bei Megatech pausierte.
Kennen Sie nicht? Macht nichts, denn hierbei handelt es sich vermutlich nicht einmal um ein richtiges Wirtschaftsunternehmen, sondern um das Spielzeug des damaligen Präsidentensohns. Im Jahr 1998 kam die Retterin in Form der Audi AG, die Megatech einfach übernahm. Ein Jahr später, also unter der Regie der Ingolstädter, wurde der Diablo noch einmal richtig aufpoliert. Die Klappscheinwerfer wichen zugunsten einer konventionellen Lösung. Bei den Leuchteinheiten bedienten sich die Ingenieure aus Nissans Regalen. Wer genau hinschaut, erkennt demnach ein Stück 300 ZX im späten Diablo.
Der Hubraum seines Zwölfzylinders stieg im Jahr 2000 von 5,7 auf 6 Liter. Also, genug auf die geschwungene Armaturentafel gestarrt. Die Gastgeber laden zur Probefahrt mit dem VT 6.0 - und irgendwie ist der späte Diablo cool. Hier tritt nicht die extrovertierte Version namens GT-R mit dem dick auftragenden Spoiler an, sondern die klassische Linie - schlicht, aber fast obszön flach und breit mit länglichen, schmalen Außenspiegeln aus der Feder des Bertone-Designstudios mit dem berühmten Marcello Gandini als Protagonisten.
Genau wie sein Vorgänger besticht der Diablo mit sogenannter offener Schaltkulisse, sodass der Blick auf die Führung fällt und darunter die Mechanik erhascht. Aber jetzt keinesfalls denken, diese Chose sei einfacher schaltbar. Das Getriebe ist ein Biest, man braucht eine Mischung aus Fingerspitzengefühl und sanfter Gewalt, um bei diesem konkreten Exemplar vor allem den zweiten Gang einzulegen.
Der Diablo ist Supersportler in Reinform
Aber dann fliegt der Teufel über den Asphalt mit seinen 549 Pferden in dieser Ausbaustufe. Vor allem ab 4500 Umdrehungen wird der Druck im Rücken heftig. Kein Wunder, dass die mechanische Tachonadel bereits nach vier Sekunden die 100-km/h-Markierung durcheilt. Und dank obligatorischem Allradantrieb der Sechsliter-Varianten ist Traktionsmangel kein Thema. Im Gegensatz zu den Vorgängern bremst der späte Diablo auch richtig gut und gibt zusammen mit seiner straffen Servolenkung schon einen richtig leistungsstarken Sportwagen ab. Trotz enormer Breite (2,04 Meter) macht der 1,6 Tonnen schwere Italiener selbst auf engsten Landstraßen richtig Laune.
Bevor es in dieser Geschichte mit Murcielago, Aventador Ultimae und dem künftigen Revuelto auf die zeitliche Zielgerade geht, sei noch ein ganz besonderer Exkurs gestattet. Lamborghini hat sich nämlich erlaubt, die Legende Miura hier und heute auf die Straße zu lassen.
Der nach einem bekannten Kampfstierzüchter benannte Mittelmotorsportler ist ein Biest - und das sogar in vielerlei Hinsicht. Ja, der Miura gehörte zu den ganz Schnellen und gehört noch immer zu den richtig Flinken. Gian Paolo Dallara (richtig, jener Dallara, der heute den exotischen, gleichnamigen Sportler vertreibt) ersann einen quer eingebauten Zwölfzylinder, der seine Passagiere gleich in die Ohren schreit aus dem Heck. Zusammen mit dem kompakt verblockten Fünfganggetriebe wird aus der gerade einmal 1,3 Tonnen schweren Bertone-Kreation eine unfassbar dynamische Angelegenheit.
Wenn da bloß nicht diese schmerzhafte Sitzposition wäre. Die Pedale sitzen viel zu tief, vor allem das Bedienen der Kupplung wird zum Bein-Origami. Auf die Zähne beißen und los! Macht's Spaß? Aber wie, schon allein, weil die Challenge spannend ist, dieses Teil bewegt zu bekommen.
Mit der Lamborghini-Legende Miura fährt man den meisten davon
Wenn du mutig bist, jagst du das Millionen-Euro-Auto so ungestüm durch die Ecken, dass selbst ambitionierte Hobby-GTI-Fahrer kaum noch dranbleiben würden. Aber eine große Reise mit dem Miura? Besser nicht ohne Orthopäden und Ohrenstöpsel. Natürlich müsste man Marcello Gandinis Legende eigentlich eine komplette Abhandlung widmen. Aber sorry, nicht hier und auch nicht heute.
Ein kleiner Umweg zu den beiden jüngsten Sportwagen Murcielago und Aventador führt noch über das Geländewagen-Monster. Der individuell in türkisfarbenem Lackton getauchte LM002 war Lamborghinis Beitrag, wenigstens einmal ein nutzwertiges Auto zu bauen. So konnten auch die Wohlhabenden dieser Welt endlich ihr Luxusboot ziehen - mit dem 220.000 D-Mark teuren Ungetüm, aus dessen Windschutzscheibe die Fahrer unabhängig von ihrer Statur Mühe haben, hinauszuschauen. Große Höcker auf der Haube versperren den Weg.
Gelände-Monster fährt manierlich leise
Unter selbiger steckt übrigens ein 5,2 Liter großer Zwölfzylinder, wegen dessen vornehmer Laufkultur das eigentlich ungehobelte Trumm manierlich leise fährt. Nicht schnell (um die acht Sekunden bis 100 km/h), aber selbst gegen Drehzahlende immer noch gepflegt und etwas turbinenhaft-sanft klingend setzt sich der 2,7 Tonnen schwere Offroader in Bewegung.
Zwischen den vorderen Passagieren fungiert die mächtige Mittelkonsole als Trennwand. Trotzdem sitzt man eher beengt. Wenn auch nobel, denn Holz in Massen ziert die LM002-Armaturen.
Obwohl Ingenieur Giulio Alfieri (nicht zu verwechseln mit Alfieri Maserati) ein Geländewagen gelang, der trotz seiner harten beziehungsweise eher martialischen Schale einen weichen Kern hat und entsprechend komfortabel ist, war der von 1986 bis Anfang der 1990er natürlich kein Massenphänomen. Nur 301 Exemplare des Wüstenkraxlers kamen auf die Straße.
Murcielago verkauft sich glänzend
Dagegen ist Lamborghinis jüngste Performance-Speerspitze reinste Massenproduktion. Über 4000 Murcielago (zwischen 2001 und 2010) und gar über 11.000 Aventador fanden in den letzten elf Jahren weltweit ihren Kunden. Ich lasse das Zwölfzylinder-Date also mit den schnellsten Exemplaren aus dem Konzern ausklingen.
Tür nach oben klappen und hineinschwingen in den weißen Murcielago LP640. Keine Reue und volle Last auf die vier Räder nach dem Starten des schweren Triebwerks. Traktion ist im Überfluss vorhanden und dank des verhältnismäßig jungen Fahrzeugalters gibt es sogar ein elektronisches Stabilitätsprogramm. Also soll der 6,5-Liter im Kreuz ruhig alles geben, damit das von Luc Donckerwolke kreierte Gefährt mit der geballten Kraft von 640 PS gen Horizont fliegt.
Zahlen gefällig? Keine dreieinhalb Sekunden reichen für Landstraßentempo. Ist das noch zu unterbieten? Aber ja, beispielsweise mit dem auf 780 PS erstarkten Aventador Ultimae, einer limitierten Version zum Abschluss der Baureihe.
Das vor kurzer Zeit noch gebaute Modell zackt deutlich direkter um die Kehre als alle Vorgänger. Kein Wunder: Dieser Lamborghini lenkt mit allen vier Rädern. Und wenn man so auf italienischen Landstraßen unterwegs ist, kann man froh sein, einen Guide von Lamborghini mit dabei zu haben. Der kennt jede Radarfalle und fährt mit dem extrem schnellen Urus vor. Die Mundwinkel: immer oben.
Bald startet eine neue Ära bei Lamborghini - natürlich wieder mit Zwölfzylinder-Motor. Die Italiener halten an diesen faszinierenden Triebwerken fest, die seit der ersten Lamborghini-Stunde mit Entwickler Giotto Bizzarrini fest zur Marken-DNA gehören. Bis bald an dieser Stelle. In wenigen Monaten werden wir Sie erneut begrüßen aus dem Lamborghini-Headquarter. Dann hoffentlich am Steuer des Revuelto.
Quelle: ntv.de
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