Ferrari SF90 Stradale - Extrem-Athlet für die Straße

  21 Juni 2023    Gelesen: 730
  Ferrari SF90 Stradale - Extrem-Athlet für die Straße

Erster Ferrari mit 1000 PS und der erste mit Stromanschluss. Aber der SF90 ist kein streng limitiertes Sondermodell wie beispielsweise der millionenschwere LaFerrari. ntv.de war mit dem zum Schnäppchenpreis verfügbaren Hypercar unterwegs, um die Erinnerungen aufzufrischen.

Sorry für die kleine Überspitzung. Natürlich ist der SF90 Stradale so gar nicht zum Schnäppchentarif verfügbar. Aber millionenschwerer Sammler-Ferrari wie beispielsweise der LaFerrari? Nö. Okay, Stunde der Wahrheit, Smartphone in die Hand genommen und die Gebrauchtwagen-App geöffnet: Da tummeln sich knapp 140 SF90-Angebote zu Preisen ab 400.000 Euro. Schade, es wäre doch so schön gewesen.

Aber zumindest für diese Abhandlung hilft Dag von Garrel mit einem schönen Exemplar in Grigio Scuro (historische Uni-Lackierung) aus. Und ntv.de hilft auf diese Weise, die vielleicht schon etwas verblassten Erinnerungen an den 2019 debütierten SF90 aufzufrischen - denn Erlkönigjäger haben bereits Fahrzeuge aufgespürt, die einem modifizierten SF90 entsprechen könnten, der womöglich sogar noch ein Quäntchen stärker wird. Die Konstellation V8-Hybrid hat also das Zeug zum Topthema.

Na los, frisch ans Werk. Erst kauert das Hypercar - diese Bezeichnung scheint angesichts der Leistung gerechtfertigt - noch in der witterungsgeschützten Halle, dann startet von Garrel den Doppelturbo-Achtzylinder und kriecht zur Fotolocation. Zwar wurde der rund acht kWh große Akku des Plug-in-Hybrid zuvor geladen, aber lautlose Starts (das geht durchaus) machen irgendwie doch keinen Spaß. Der tief im Wageninnern hockende, aber hinter einer Glasscheibe zu besichtigende Flatplane-V8 mit Trockensumpfschmierung muss in markentypischer Tonart röhren - nur so kann er schließlich für Gänsehaut sorgen. Warum eigentlich so wenig Batteriekapazität? Die elektrische Energie soll vor allem dem Boost dienen, außerdem würde ein großer Akku mit seinem Gewicht auf die Performance drücken.

Feuriger F154-Achtzylinder ist Herzstück des SF90

Stopp, Moment. Das Thema Antrieb kommt später. Jetzt erst einmal das Auto positionieren und arbeiten. Also fotografieren, heißt das übersetzt. Front, Seite und Heck, das muss reichen. Die Fans wissen sowieso, wie ein SF90 aussieht, sie kennen jedes Detail. Mischt sich da etwa eine Spur Corvette in das Heck? Hört man oft, dürfte Ferrari aber nicht gerne hören. Aber jetzt bitte keine Design-Diskussion. Schwamm drüber, der hat 1000 PS, da ist die Optik zweitrangig.

Könnten wir jetzt los? Dag von Garrel ist startklar. Aber nein, ich muss noch einmal kurz um das Auto herumstapfen. Ein letzter Blick durch die Glasscheibe auf die beiden roten Zylinderköpfe des Achtzylinders muss sein. Für den SF90 haben die Ingenieure dem auf die interne Bezeichnung Tipo F154 hörenden Aggregat (arbeitet beispielsweise auch im 488 oder F8 Tributo) Millimeter Bohrung verpasst, um auf glatte vier Liter Hubraum zu kommen. Und dann - rein in den strammen Sportsitz. Der ist aber eher kommod und keine ultraleichte Rennschale.

Dieses Exemplar verzichtet zum Glück auf das carbonlastige Assetto-Fiorano-Paket. So mag ich den SF90. Schön ehrlich und nicht unbedingt im Renntrimm. Der bisher stärkste Ferrari braucht keinen weiteren Schnickschnack, der Antriebsstrang ist ohnehin sein schönstes Feature. Bevor ich starte, muss ich das Manettino noch einmal anfassen. Die Stellung "Sport" reicht ("Race" ginge auch noch), während die Einstellungen der Parameter für den elektrischen Teil des Strangs mit dem sogenannten eManetiino gesondert zu wählen sind. Hier wird es für den Moment "Performance". Einen Kickdown-Schalter besitzt der Ferrari nicht, also muss man mit den bestehenden Modi vorsorgen.

Der SF90 ist eine Führerscheinvernichtungsmaschine

Mein Beifahrer ist ein entspannter, es besteht also die Hoffnung, das stärkste Pferd aus Maranello ordentlich galoppieren lassen zu dürfen. Erst schön vorsichtig in Richtung Hauptstraße und dann mal sehen. Schon Viertelgas lässt den trocken gerade mal 1,6 Tonnen wiegenden PHEV stramm beschleunigen. Vorn helfen die beiden Elektromotoren tatkräftig mit (bis 210 km/h), damit die Traktion nicht abreißt. Erfreulicherweise ist der Asphalt trocken und warm, sodass die 315er-Walzen hinten (hier greifen exakt 780 Pferdestärken an) vor Grip nur so strotzen. Eine dritte E-Maschine hängt da ja auch noch zwischen Doppelkuppler und Verbrenner. Puh.

Die Straßen hier in der Eifel nahe des Nürburgrings sind unter der Woche menschenleer. Also geeignete Stelle suchen und: Volllast! Nüchterner Magen? Dem Himmel sei Dank, denn die Kräfte, die jetzt an den Passagieren zerren, sind schon heftig. Ob der Führerschein hier gefährdet wird? Könnte sein. Also Tempo herausnehmen und die Lenkung inspizieren.

Geht leichtgängig und fühlt sich dennoch nicht synthetisch an. Leichtfüßig wiederum bewegt sich der mit 4,71 Metern eher kompakt anmutende 1,6-Tonner durch die Kehre. Den komplexen Antriebsstrang lässt der SF90 also kaum durchblicken. Es ist auch nicht so, als müsse das Ensemble aus E-Maschinen, Achtgang-Doppelkuppler und Verbrenner sich lange sortieren, um aus etwaiger Bummelgangart auf Feuer frei zu switchen. Mehr sportliche Gangart als gelegentliche Vollgaseinlagen auf der Geraden möchte ich meinem Fahrgast auf der rechten Seite an dieser Stelle nicht antun - und die Nordschleife bleibt uns heute sowieso verwehrt.

Also schnell noch die Bremse checken. Warum? Weil sie hybridtypisch by-wire arbeitet - nur so kann der Computer blitzschnell von Rekuperation auf Reibbremse umschalten - und trotzdem durch einen schön definierten Druckpunkt erfreut. Und was die Fahrwerte anbelangt, wird man wohl auf die Werksangabe hören müssen, nach der das Biest binnen 2,5 Sekunden 100 und schon nach 6,7 Sekunden 200 km/h erreichen soll. Oder man verlässt sich auf die vielen im Internet kursierenden Beschleunigungsvideos.

Kein mechanischer Rückwärtsgang

Ob man das Topmodell mit der "90" in der Bezeichnung als Reminiszenz an die Gründung der Scuderia Ferrari im Jahr 1929 als Racer verstehen möchten, mag im individuellen Ermessen liegen. Jedenfalls taugt der nicht über Gebühr hart gefederte Ferrari durchaus als Tourer, zumal er innen luftig geschnitten ist.

Und er ist nachbarschaftsfreundlich, denn man kann sich geräuschlos aus der Garage schleichen, um irgendwo auf einer leeren Autobahn 340 km/h (so schnell wird der SF90 laut Werk) zu fahren. Denn mit dem Strom aus der gefüllten Batterie lassen sich im Modus "eDrive" 25 Kilometer rein elektrisch zurücklegen - wenn auch lediglich 135 km/h schnell maximal. Rückwärts geht es übrigens immer elektrisch, denn das Doppelkupplungsgetriebe verfügt gar nicht erst über einen Rückwärtsgang - das bringt zehn Kilogramm Gewichtsersparnis.

Dag von Garrel möchte übrigens 499.000 Euro für seinen grauen Topsportler mit rund 2000 Kilometern auf der Uhr überwiesen bekommen. Falls man diese Summe nicht aufbringen will oder kann, hat er auch noch andere automobile Athleten am Start, die man gegen eine Grundgebühr ausleihen darf. Ob die überarbeitete Version von Ferraris Topmodell, deren Debüt der Hersteller gerade vorbereitet, wie Fachmedien kolportieren, mehr Spaß bereitet, gilt es noch herauszufinden. Dann dürfte die Leistung von 1000 PS wieder Geschichte sein und es gibt ein neues Spitzenauto im Programm der italienischen Automarke.

Quelle: ntv.de


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