Wer oder was ist bitte Polestar? Nie gehört? Aber bestimmt schon gesehen, wenn vielleicht auch nicht bewusst. Denn die inzwischen eigenständige Firma, die in den 1990er Jahren als Rennsportschmiede startete und in den Zehnern von Volvo als Tuninglabel übernehmen wurde, hat in Deutschland bereits rund 14.000 fahrbare Untersätze auf die Straße gebracht. Entsprechend sichtbar ist der sogenannte Polestar 2 - mehr Modelle hat die Marke noch nicht, abgesehen vom inzwischen aber ohnehin eingestellten Polestar 1, einem exklusiven Coupé, von dem es in Europa vielleicht eine dreistellige Anzahl gibt.
Das bisherige Volumenmodell ist nicht gerade konventionell. Denn diese rein elektrisch angetriebene Offerte passt in keine Schublade, ist weder SUV noch Limousine. Limousine mit höherem Aufbau (1,47 Meter) trifft es schon eher. Das Auto kommt offenbar so cool herüber, dass die Kunden kräftig zugreifen, auch hierzulande. Könnte aber auch generell am Design liegen. Der irgendwo zwischen Kompakt- und Mittelklasse rangierende Viertürer wirkt skandinavisch-klar, besticht durch schneidige Scheinwerfer mit Thorshammer-Grafik und LED-Rückleuchten, die nachts zu einem prägnanten, durchgehenden Leuchtband werden.
Doch was macht die Marke Polestar eigentlich aus, woher kommt sie, wer betreibt sie? Der Unternehmenssitz ist in Göteborg und knapp die Hälfte der Firma gehört der Volvo Car Corporation. Rund 40 Prozent der Anteile gehören der Geely-Holdinggesellschaft, ein inzwischen zum Multimarken-Autokonzern geformter Gigant, der unter anderem auch Eigner von Lotus sowie von rund zehn Prozent der Mercedes-Aktien ist.
Infotainment lässt sich maximal intuitiv bedienen
Produktseitig dominiert bei Polestar der schwedische Einschlag, dieser Eindruck ergibt sich auch, wenn man das Modell "2" entert. Innen wirkt der jedoch in China gebaute Schwede aufgeräumt und bietet statt Knöpfchen einen großen, zentralen Touchscreen - übrigens ein ziemlicher Blickfänger. Das Kombiinstrument verzichtet natürlich auf mechanische Anzeigenadeln - Display ist Trumpf, denkt sich Polestar. Tatsächlich ist es der Marke gelungen, mithilfe eines androidbasierten Betriebssystems eine besonders intuitive Bedienung zu ermöglichen. Inzwischen erlaubt Polestar aber auch die Nutzung von Apple CarPlay, was lange Zeit nicht ging.
Doch Polestar ist nicht allein Innenarchitektur und Infotainment, da muss noch mehr sein. Beispielsweise die sportlichen Gene der Performance-Ausgabe. Okay, die kräftigen Antriebe des Polestar 2 finden sich beispielsweise auch in den Volvo-XC-40-Modellen (fußen ebenfalls auf der kompakten CMA-Basis des Konzerns) wieder - aber Moment! Das Topmodell mit 476 statt 408 PS ist dem Polestar vorbehalten.
BST Edition 270 hat das Zeug zum Sportler
Der hier besprochene Testwagen tritt als limitierte Sonderserie BST Edition 270 (die Zahl steht für das Produktionsvolumen) an. Und die gibt sich durchaus sportiv: Die übrigen Verkehrsteilnehmer dürfen den hier obligatorischen schwarzen Rallyestreifen, der sich über die gesamte Fahrzeugmitte zieht, ruhig als Hinweis verstehen - mit 476 PS aus zwei Motoren legt man sich besser nicht an. Dabei wirkt der Allradler gar nicht sonderlich athletisch, gibt von seinem Habitus her eher die brave Familienkutsche. Allerdings haben die Ingenieure die Baureihe fit für den Track gemacht: nämlich mit per Hand stufenweise mechanisch verstellbaren Dämpfern aus dem Hause Öhlins, stabilisierenden Domstreben, einem um drei Zentimeter tiefer liegenden Chassis, verstärkten Federn und potenten 275er-Pneus an der Hinterachse.
Der Polestar als Tracktool, echt jetzt? Na ja, das Werk hat den Muskelprotz auf den knapp zwei Kilometer langen Hillclimb-Kurs in Goodwood geschickt. Wie schnell der Top-Polestar diese Strecke schafft? Das verrät die Marken-Website nicht. Aber ein kleiner Ausflug mit dem 4,61 Meter langen Skandinavier in einsame ländliche und entsprechend verkehrsarme Regionen macht noch viel eindrucksvoller klar, wie flink er eigentlich ist.
Achtung, Nackenmuskeln anspannen und schön darauf achten, dass die Straße leer ist, wenn das rechte Pedal Bodenblech berühren soll. Denn der Polestar stürmt so ansatzlos vom Fleck, dass unbedarfte Beifahrer durchaus ihr Überraschungsmomentum erleben. Nach 4,2 Sekunden werden laut Datenblatt 100 km/h erreicht - das fühlt man. Und im Gegensatz zu den Volvo-Modellen lässt man die Polestar-Offerten schneller rennen als 180 km/h. So hört der Vorwärtsdrang beim Polestar 2 erst bei 205 Sachen auf, bis dahin verspüren die Passagiere ganz ordentlichen Druck im Kreuz.
Ob bei Lupfen des Fahrpedals gleich kräftiges Bremsmoment (Schubrekuperation) aufgebaut werden soll, darf der User in den Einstellungen auswählen. Hier lässt sich außerdem anpassen, inwieweit diverse Fahrassistenten moderieren sollen. Generell haben die Techniker aber geschafft, derartige Eingriffe diskret zu halten. Auch nervt der Stromer nicht mit lästigen Lenkradvibrationen, wenn man die Mittellinie der Straße übertritt. Dennoch wird im Falle eines Falles assistiert gelenkt, aber das ist auch in Ordnung so und erhöht die aktive Sicherheit.
Polestar 2 ist ein kommoder Kilometerfresser
Trotz drahtiger Fahrwerte liegt die Kernkompetenz des Polestar darin, als kommodes Langstreckenvehikel zu glänzen, das jede Menge Platz bietet - insbesondere in der zweiten Reihe. Üppige und bequeme Sessel tragen ihren Teil zum Reisekomfort bei. Allerdings sollte man sich im Falle des sportlichen BST 270 schon auf ein straffes Fahrwerk einstellen. Es ist generell jedoch schwierig, kurze Bodenwellen komplett aus dem Fahrgastraum zu verbannen, wenn 20 Zoll große Niederquerschnittsreifen montiert werden.
Im Kontext mit dem langen Reisen muss man beim elektrisch angetriebenen Fahrzeug freilich auch auf das Ladegeschehen schielen. Polestar erfreut inzwischen mit 205 kW Peak-Ladeleistung. Wenn es optimal läuft, lässt sich der Akku binnen 28 Minuten von 10 auf 80 Prozent Ladestand bringen - dann müssen natürlich die Temperaturen mitspielen. Und weil der 4x4 nach einem mittlerweile durchgeführten technischen Update dank cleverer Kombination von Synchronmotor hinten und Asynchronmotor vorn (läuft passiv ohne Widerstand) effizient betrieben werden kann, stehen maximal 17,2 kWh Stromverbrauch je 100 Kilometer im Datenblatt nach gemittelter WLTP-Disziplin. Damit kommt der 2,1-Tonner bis zu 568 Kilometer weit mit seinen 79 kWh an nutzbarer Stromkapazität.
Neugierig geworden? Bestellt wird online, das mit 476 PS und 750 Newtonmetern Drehmoment gesegnete Topmodell ist ab 63.490 Euro zu haben. Eine ganze Stange Geld, allerdings lässt die Ausstattung so gut wie keine Wünsche mehr offen. Das volle Assistenten-Arsenal, LED-Scheinwerfer, Navi, Parkpiepser, 360-Grad-Rückfahrkamera und Smartphone-Integration sind stets an Bord. Vielleicht sollte man noch zu den Pixel-LED-Scheinwerfern sowie dem aktiven Tempomat greifen - im Paket gegen 2500 Euro Aufpreis zu haben. Auf eine Wärmepumpe indes verzichtet das Grundrüstzeug. Sie gibt es lediglich in Verbindung mit dem 4800 Euro teuren Plus-Paket, das auch noch Features wie elektrische Heckklappe, Panorama-Glasdach, Sitze mit erweiterter elektrischer Verstellung sowie ein höherwertiges Soundsystem mitbringt.
Datenblatt
Polestar 2 Long Range Dual Motor Performance
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe)
4,61 m / 1,99 m (mit Spiegel) / 1,47 m
Radstand
2,74 m
Leergewicht (DIN)
2105 kg
Anhängelast (gebremst)
1500 kg
Sitzplätze
5
Ladevolumen
405 bis 1095 plus 41 Liter (Frunk)
Motorart
Vorn: Asynchronmotor, hinten: Synchronmotor
Getriebe
Eine Übersetzung, fest
Systemleistung
476 PS (350 kW)
Antrieb
Allradantrieb
max. Drehmoment
740 Nm
Beschleunigung 0-100 km/h
4,2 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit
205 km/h
Akkukapazität
79 kWh (netto)
Maximale Ladeleistung (Gleichstrom)
205 kW
Ladeleistung (Wechselstrom)
11 kW
Ladezeit (DC)
28 Minuten von 10 auf 80 Prozent
Verbrauch (kombiniert)
16 bis 17,2 kWh/100 km (WLTP)
kombinierte WLTP-Reichweite
Bis zu 568 Kilometer
CO₂-Emission kombiniert
0 g/km
Grundpreis
Ab 63.490 Euro
Fazit: Der Polestar 2 ist als Topvariante überraschend performant. Kaum jemand würde wohl vermuten, dass er derart spurstark ist. Außer, man ergattert noch eine seltene BST Edition 270 mit dem markanten Rallyestreifen, um die Performance stärker zur Schau zu tragen. Wer darauf verzichten möchte, fährt nicht nur unter dem Radar, sondern auch einen Hauch komfortabler. Und das kann ja nicht schaden auf langen Strecken, für die der Polestar 2 generell gut geeignet ist dank großer Batterie. Warum die Wärmepumpe nicht als Einzeloption zu haben oder gar serienmäßig ist, bleibt wohl das Geheimnis des Herstellers. Eine gute Wahl ist die unkonventionell gestaltete Karosse dennoch.
Quelle: ntv.de
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