Überzeugt BMWs stärkster Luxusstromer Verbrenner-Fans?

  13 Oktober 2023    Gelesen: 660
  Überzeugt BMWs stärkster Luxusstromer Verbrenner-Fans?

Der BMW i7 M70 xDrive ist der Versuch, luxuriöse Elektromobilität auch den Verbrennerfans schmackhaft zu machen. Ob er einem M760Li-Fahrer jedoch ein automobiles Zuhause wird bieten können, bleibt abzuwarten. Das Zeug dazu hat er aber. Jedenfalls ansatzweise.

An dieser Stelle müssen sich die Funktionsautomobilisten einmal ausklinken. Vor allem diejenigen, die in der Elektromobilität die heilsame Verkehrswende wittern und klammheimlich hoffen, elektrisch angetriebene Autos würden den Autoenthusiasmus eindämmen. Weil es ihnen nicht passen dürfte, dass Autos eben hochemotional sind und vielleicht, ja mit Sicherheit, sogar identitätsstiftend. BMW weiß das und möchte alten M760Li-Fahrern (diese Zielgruppe könnte emotionaler kaum sein) mit dem neuen Siebener als Top-Stromer ein Zückerchen geben.

Offenbar wird das an der Modellbezeichnung, die sich früher immer am Hubraum orientiert hat. Dabei hätte der letzte 760er eigentlich eher "770" heißen müssen, denn damals schenkten die Münchener ordentlich ein mit 6,6 Litern. Mehr Hubraum gab es in der Geschichte der Bayerischen Motorenwerke nie. Aber während man sich einst um Zurückhaltung bemühte (der Zwölfzylinder begann langsam, politisch inkorrekt zu werden), prescht man jetzt vor. Da es keinen Hubraum mehr gibt im lautlosen Luxus-BMW, darf man die "Sieben" ruhig dort verwenden, wo sie früher obszön gewirkt hätte. Frei nach dem Motto "Elektromobilität darf alles", bekommt der höchste Siebener das Label "M70".

Nur blöd, dass er mit seinen 660 PS längst nicht mehr Schritt halten kann in der elektrischen Spitze. Pferdestärken sind längst zum inflationären Gut geworden in Zeiten, da Plaid (Tesla Model S), Dream (Lucid Air) und Co. mit vierstelligen Werten um Kunden buhlen, die eigentlich Zwölfzylinder lieben. Damit keine Missverständnisse entstehen - der M70 xDrive ist fantastisch. Er schiebt seine Passagiere mit seinen zwei Drehmoment-Monstermotoren (1100 Newtonmeter im Boost) in den Schwindel, erreicht 100 Sachen nach 3,7 Sekunden laut Werk und rennt in die selbst gewählte 250-km/h-Grenze.

Aber sorry, BMW, mit dem M760Li konntet ihr über 300 Sachen. Da traut ihr euch (noch) nicht heran, weil die Ströme bei solch einer Leistungsabgabe zu thermischen Herausforderungen führen würden, denen man vielleicht nicht gewachsen wäre. Denn wir wissen: Selbst ein Tesla beschleunigt nur einmal auf 300 km/h, danach braucht er wieder eine längere Pause, um abermals in diese Temporegion vorzustoßen. Lucid begrenzt beim Topmodell aktuell auf 270 km/h. Mal sehen, was Porsche in Zukunft macht. Ich wette: Das 300-km/h-BEV kommt.

Beim Tempo bleibt der M70 hinter dem alten 760er zurück

Okay, jetzt nicht abschweifen. Die Sinnhaftigkeit solcher Werte mag man infrage stellen, sie sind eher theoretischer Natur oder überhaupt bloß für wenige Kunden interessant - vielleicht ähnlich wie hyperschnelle Motorräder. Aber! Frühere M760Li-Kunden, die das Kreuz beim "M Driver's Package" gemacht haben und denen jetzt erklärt wird, der Top-i7 sei der legitime Nachfolger des M760Li, werden eben nach maximalem Tempo fragen.

Ich richte das Augenmerk jetzt aber erst mal auf andere Disziplinen. Beispielsweise auf die Ladeperformance. Warum besitzt das neue Flaggschiff einer deutschen Oberklasse - die Rede ist also von einem sogenannten Premiumprodukt höchster Güte - kein 800-Volt-Bordnetz? BMW selbst wusste ganz genau, dass diese Frage kommen würde. Also hatten die Techniker während der Präsentation bereits das Chart vorbereitet, um vorzurechnen, dass der entsprechend ausgerüstete Wettbewerb kaum schneller lädt. Dabei wird BMW in Zukunft nicht um 800 Volt herumkommen.

Doch genug gemeckert, jetzt muss auch mal gelobt werden. Und zwar die Tatsache, dass der Siebener bezüglich seines Fahrkomforts schon im Reich der Schwestermarke Rolls-Royce wildert. So gesehen könnte man sagen, Leistung (und Tempo) genügten, ganz nach dem Motto des alten Wahlspruchs der Briten. Sie tun natürlich mehr als das, und wenn man erst einmal auf den samtweichen Fauteuils Platz genommen hat, schwebt man gedanklich sowieso im siebten Himmel. In Wirklichkeit liegt die Karosse auf adaptiven Luftfedern, die ihre Arbeit eben ziemlich ordentlich verrichten. In dieser Kingsize-Oberklasse (5,39 Meter) fliegt die Landschaft gefühlt nahezu lautlos an den Köpfen der Passagiere vorbei, während sie aus dem Fenster blicken. Und die Zeit vergeht im Nu, während im Fond auf dem 4D-Heimkino der neueste Netflix-Streifen läuft. Diesen riesigen Screen im Fond bietet nicht einmal der Rolls-Royce Ghost.

Der größte BMW macht ein bisschen auf Rolls-Royce

War der Siebener früher immer der Sportliche in der Oberklasse, ist er jetzt der Feudale. Mit Türen, die sich, wieder einmal analog zur britischen Konzernmarke, wie durch Geisterhand ohne Zutun des Passagiers öffnen und schließen (Elektromotoren übernehmen das). Das heißt keineswegs, dass der 2,7-Tonner nicht dennoch präzise durch kurviges Geläuf wieseln könnte. Aber er ist mehr das verbindlich schiebende, schwere Schiff als der leichtfüßige Athlet. Und das trotz Hinterachslenkung. Die sorgt jedoch für hohe Fahrsicherheit auf der schnellen Piste und lässt den XXL-Viertürer im Handling auf urbanem Terrain klein wie ein Kompaktwagen erscheinen.

Dabei ist er so groß wie auch seine Preise - aber okay, das bestens verarbeitete Produkt bietet ja auch etwas. Viel Souveränität, Platz ohne Ende und so feine Materialien nämlich, dass man fast nicht mehr aussteigen möchte, weil die Augen sich kaum sattsehen können an der Architektur und der Körper die anschmiegsamen Sessel nicht verlassen möchte. Oder ist das Interieur nicht doch ein bisschen drüber mit einer Spur zu viel Bling-Bling? Wie dem auch sei - ob man die in vielen bunten Farben flächig leuchtende, in Kristallglasoptik gehaltene Leiste nun mag oder nicht, mit ihr muss man leben als zentrales Element dieser stylischen Innenarchitektur. Und so passt denn auch folgerichtig das schick gebogene Display als eines der Hauptcharaktere in diesem Ensemble von Bausteinen.

Zweifarbigkeit macht den Oberklasse-BMW exklusiv

Ab 181.800 Euro rollt die elektrisch angetriebene Top-Limousine an den Start und tut das auf Wunsch sogar zweifarbig als Merkmal exklusiver Manufaktur-Produkte (das der Sieber in der Form nicht ist, aber die Rolle spielt er gut). Liquid Copper heißt der goldgelbe Ton, der den Siebener gemeinsam mit Saphirschwarz Metallic (Dach) zum Blickfänger macht.

Der Tarif ist amtlich, aber als Dienstwagen ist der Stromer attraktiv wegen der pauschalen Versteuerung privater Fahrten: Sie basiert auf Grundlage des halbierten Bruttopreises. Übrigens kann ihm im Gesamtpaket kein Tesla oder Lucid dieser Welt das Wasser reichen. In Bezug auf Detailgüte, Finish und Komfort in Kombination mit elektrischem Antrieb dürfte der größte BMW aktuell Benchmark sein. Da helfen auch keine noch so ausufernde Superlative auf dem Papier.

Ein paar Zahlen zum Schluss gefällig? Die BMW-Ingenieure haben natürlich völlig recht, wenn sie sich im vorauseilenden Gehorsam dagegen wehren, der i7 sei ein Lademuffel. Immerhin packt der Charger dank 195 Kilowatt Peak-Ladeleistung pro zehn Minuten Saft für 170 Kilometer Reichweite in den knapp 102 kWh großen Akku. Damit fährt der stärkste i7 bis zu 560 Kilometer weit nach WLTP bei einem Verbrauch von 20,8 bis 23,8 kWh je 100 Kilometer.

Ob man damit in der Praxis auskommt, sei dahingestellt. Denn es juckt ständig in den Fingern - schließlich lockt das Paddle für die Boost-Funktion, um den Luxusliner mit Schmackes Richtung Horizont zu schmettern. Spätestens jetzt kann sich selbst manch eingefleischter Verbrenner-Fan ein klitzekleines Grinsen kaum verkneifen.

Quelle: ntv.de


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