So halfen saudische Agenten den 9/11-Terroristen

  18 April 2016    Gelesen: 771
So halfen saudische Agenten den 9/11-Terroristen
Noch immer hält die US-Regierung ein Dossier über den 11. September 2001 zurück. Kurz vor Barack Obamas Besuch in Saudi-Arabien werden die Verwicklungen des Königreichs in die Terroranschläge bekannt.
Der Demokrat Bob Graham war achtzehn Jahre lang Mitglied des US-Senats und hatte dabei ein Jahrzehnt die Geheimdienste kontrolliert. Seit dreizehn Jahren ist er im Ruhestand. Jetzt, wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag, hat er die USA erschüttert. In einem Interview mit dem Sender CBS verriet er letzte Woche ein Staatsgeheimnis.

Graham wurde auf die Hijacker angesprochen, die am 11. September 2001 vier Flugzeuge entführt und sie in das World Trade Center und das Pentagon gesteuert hatten: Hatten die Entführer im Vorfeld Hilfe bekommen? Ex-Senator Graham bestätigte: "Ja, von den Saudis." Die Hilfe sei "substanziell" gewesen. Und er bestätigte ebenfalls, dass er mit "den Saudis" die dortige Regierung, einflussreiche Wohlfahrtsverbände und wohlhabende Einzelpersonen meinte. Fünfzehn der neunzehn Entführer stammten aus dem Königreich Saudi-Arabien. Die Attentäter ermordeten am 11. September 2001 fast 3000 Menschen.

Graham war von einem Reporter der CBS-Sendung "60 Minutes" interviewt worden. Thema war ein sagenumwobenes Geheimdossier, das die US-Regierung noch unter George W. Bush nach den Anschlägen unter anderem vom FBI verfassen ließ. Das 28 Seiten lange Dokument beleuchtet, wer die Entführer in den USA unterstützte. Es ist so brisant, dass es noch immer unter Verschluss gehalten wird.

Graham gehörte einer von zwei Kommissionen an, die klären sollten, ob die Sicherheitsbehörden der USA die Anschläge von New York und Washington hätten verhindern können. Die Mitglieder der Kommissionen durften das Geheimdossier nur einsehen. Darüber sprechen dürfen sie eigentlich bis heute nicht, ihr Wissen durfte nicht einmal in den Abschlussbericht der Kommissionen einfließen. Doch Graham und andere Mitglieder deuteten nun in Interviews an, was in dem Papier steht.

Im Mittelpunkt stehen zwei der saudischen Entführer: Nawaf al-Hazmi und Khalid al-Mihdhar. Die US-Geheimdienste waren schon 1999 auf ihre Spur gekommen. Man hatte sie frühzeitig als Al-Qaida-Mitglieder identifiziert. So ließ das CIA sie Anfang 2000 in Kuala Lumpur fotografieren und filmen. Dort hatten sie sich mit führenden Al-Qaida-Mitgliedern getroffen. Der US-Auslandsgeheimdienst bekam später auch mit, dass sich al-Hazmi und al-Mihdhar US-Visa besorgten. Diese Information behielt die CIA jedoch für sich, alarmierte nicht das FBI, obwohl es für die Abwehr eines Terroranschlags auf US-Boden zuständig ist.

Mitte Januar 2000 konnten die beiden jungen Saudis so – unter richtigem Namen – in Los Angeles ungehindert einreisen. Ein Fehler, der Richard Clarke, einen der wichtigsten Sicherheitsberater von Präsident Bush, noch Jahre später erzürnt. In der Filmdokumention "Die Falle 9/11" von Stefan Aust hatte er 2011 die Gründe angedeutet, warum vor allem die CIA so viele Informationen über Hazmi und Mihdhar zurückgehalten haben könnte: "Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine: Das alles ist auf eine massive serielle Inkompetenz zurückzuführen. Schwer vorstellbar, aber nicht unmöglich. Die andere Möglichkeit: Die CIA hoffte, einen der beiden oder sogar beide zu Informanten zu machen. Die CIA hatte damals keinerlei Quellen innerhalb von al-Qaida. Und dort Informanten zu werben war eine Top-Priorität."

Auch nachdem die beiden in Los Angeles eingereist waren, wurden sie von Geheimdienstmitarbeitern begleitet. Das hat Graham nun erstmals bestätigt.

Obwohl sie sich kaum verständigen konnten, angeblich niemanden kannten und keine eigenen Geldmittel hatten, bekamen al-Hazmi und al-Mihdhar erstaunlich schnell alles, was sie brauchten: eine Wohnung, einen Sprachkurs und Kontakte zu einer Flugschule. Dabei halfen ihnen vor allem zwei saudische Landsleute: Fahad al-Thumairy und Omar al-Bayoumi.

Al-Thumairy wurde als Diplomat im saudischen Konsulat in Los Angeles geführt, der Hintergrund von Omar al-Bayoumi aus San Diego war dagegen nebulöser. Er hatte keine Schulbildung, niemand wusste genau, wo oder für wen er arbeitete. Trotzdem hatte er immer Geld, tauchte auf fast jeder Veranstaltung der muslimischen und vor allem saudischen Exil-Gemeinde in Südkalifornien auf, filmte diese Treffen regelmäßig. Er schien alles und jeden zu kennen. Vor allem: Er schien alles und jeden kennen zu wollen. Die naheliegende Schlussfolgerung schon kurz nach den Anschlägen: Der freundliche Omar al-Bayoumi könnte ein Agent des saudischen Geheimdienstes gewesen sein.

Der Bericht der zweiten 9/11-Kommission – eingesetzt vom Kongress und dem Präsidenten – schloss eine offizielle saudische Hilfe für die Attentäter in einem sorgsam gedrechselten Satz nur scheinbar aus: "Wir haben keine Beweise gefunden, dass die saudische Regierung als Institution oder führende saudische Offizielle die Organisation finanziell unterstützt haben." Ob einzelne nachgeordnete saudische Funktionäre – quasi als Privatpersonen – den Terroristen geholfen hatten, ließ dieser Satz, wie es scheint, bewusst offen.

Jenes 28-Seiten-Papier, das sich mit der saudischen Hilfe für die Hijacker befasst, erzählt offenbar eine andere Geschichte. Hier steht unter anderem der Mann, der alles filmte und zahlte, im Mittelpunkt: Omar al-Bayoumi. Bob Graham bestätigte das gegenüber CBS.

CBS: "Sie glauben also, al-Bayoumi war saudischer Agent?"

Graham: "Ja, und …"

CBS: "Warum glauben Sie das?"

Graham: "Nun ja, weil er schon vor dem 11.9. als saudischer Agent offiziell in FBI-Akten geführt wurde."

Es war also für das FBI kein großer Aufwand, festzustellen, dass einer der wichtigsten Unterstützer von zwei 9/11-Hijackern in den ersten Wochen ein saudischer Agent war.

Das Geheimdossier soll auch die Existenz eines saudischen Unterstützer-Netzwerks beschreiben. Kurz nachdem die beiden jungen Saudis Anfang 2000 in Los Angeles eingereist waren, trafen sie den Mann mit der Kamera, Omar al-Bayoumi zu einem Mittagessen. Der Mann aus San Diego hatte nur Stunden zuvor einen Termin im saudischen Konsulat mit dem Diplomaten Fahad al-Thumairy, der dem FBI als Extremist bekannt war.

Tim Roemer, ehemaliges Mitglied des 9/11-Kommission, sagte dazu: "Wie durch ein Wunder wollen sie (Bayoumi und die Hijacker, d. Red.) sich zufällig in einem Restaurant kennengelernt haben in einer der größten Städte der USA. Dann werden sie nicht nur Freunde, sondern Bayoumi hilft ihnen sogar, nach San Diego zu ziehen und dort eine Unterkunft zu finden."

In San Diego ließ der saudische Agent die Hijacker tatsächlich in seinem Apartmentkomplex wohnen, half ihnen mit Geld aus und stellte ihnen diverse Landsleute vor, die den beiden später Ausweispapiere besorgten. Genau an dem Tag, an dem al-Bayoumi in San Diego al-Hazmi und al-Mihdhar traf, telefonierte er zudem viermal mit einem Imam in San Diego. Dieser Imam, der US-Amerikaner Anwar al-Awlaki, wurde später zu einer Art Pressesprecher von al-Qaida. Er starb 2011 durch einen gezielten Drohnenangriff der CIA.

Ob al-Bayoumi wusste, was die beiden in den USA vorhatten, ist noch unklar. Brisant ist indes, dass al-Hazmi später innerhalb San Diegos umzog – aus der Wohnung des saudischen Agenten in ein Haus, das einem Mann gehört, der als Informant des FBI arbeitete.

Die Wahrheit über die saudische Hilfe für die Terroristen blieb lange unter Verschluss – offenbar weil auch nach dem 11. September 2001 die Beziehungen zum Königreich Saudi-Arabien zu wichtig waren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die USA sind dank des Erdöls, das sie mithilfe der Fracking-Methode nun selbst fördern, nicht mehr von Importen abhängig.

Allerdings wird das aufwendige Fracking bei niedrigen Preisen unwirtschaftlich – weshalb die Saudis den Markt momentan mit Erdöl überschwemmen: Sie wollen den Preis abstürzen lassen, um dem neuen Erdölexporteur zu schaden. Aus den langjährigen Verbündeten sind Konkurrenten am Energiemarkt geworden, da plaudert man offenbar auch alte gemeinsame Geheimnisse leichter aus.

Der Druck auf Präsident Obama wächst

Und so gerät der heutige US-Präsident Barack Obama unter Druck. Seine Regierung soll endlich, so fordern Kommissionsmitglieder, die kompletten 28 Seiten zur Veröffentlichung freigeben. Zumal einige Hinterbliebene von Opfern der 9/11-Anschläge seit Längerem versuchen, Schadensersatzansprüche gegen das saudische Königreich durchzusetzen. In den nächsten zwei Monaten will man die Sache entscheiden. Dies habe die Regierung Obama Bob Graham versprochen, sagte der Ex-Senator am Mittwoch dem Sender Fox News.

Die Probleme in den USA erinnern frappant an diejenigen des bundesdeutschen Verfassungsschutzes bei der Aufarbeitung des NSU-Komplexes. Sicherheitsbehörden halten entscheidendes Wissen über die Vorgeschichte terroristischer Anschläge zurück. Weil sie Fehler machten oder weil die Wahrheit politisch nicht passt.

Ihre Geschichte holt die USA und Saudi-Arabien nun ein. Am kommenden Freitag besucht Obama das saudische Königreich. Jenes Geheimpapier dürfte dort abermals Thema sein.

Quelle : welt.de

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