Zur Front sind es nur ein paar Kilometer

  19 April 2016    Gelesen: 535
Zur Front sind es nur ein paar Kilometer
Wenn der Kampf um Mossul beginnt, werden noch mehr Menschen ins Kurdengebiet fliehen. Hunderttausende haben dort bereits Schutz vor dem "Islamischen Staat" gesucht.
Es war am Mittag des 3. August 2014, als das Leben, wie Ilham es kannte, endete. Sie war bei ihrer Familie in ihrem Heimatdorf Hardan nahe des Sindschar-Gebirges, als die Nachbarn die Warnung überbrachten. Der IS würde bald in die jesidischen Dörfer kommen, sie alle sollten besser aus der Gegend verschwinden. Doch als Ilhams Familie fliehen wollte, kamen die IS-Kämpfer. Sie trennten die Frauen von den Männern, packten die jungen Mädchen und verluden sie in Busse. Auch Ilham. Drei Monate dauerte ihr Martyrium in IS-Gefangenschaft.

Ilham Kharo Haje, 19 Jahre, Sporthose, Sandalen, pinkfarbenes Shirt, sitzt im Schneidersitz auf einer schmalen Matratze auf dem Boden und knetet ihre Hände. "Der IS hat mir alles genommen", sagt sie. "Meine Schwester ist noch in Gefangenschaft, der Rest der Familie verschollen." Seit ihr im Winter 2014 die Flucht gelang, wohnt Ilham mit anderen vertriebenen Frauen in einem kleinen Haus in der Ortschaft Baadre in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak.

Knapp 50 Kilometer sind es von hier bis zur syrischen Grenze, knapp 50 zur Türkei. Die IS-Hochburg Mossul liegt 70 Kilometer im Süden. Dort versucht derzeit ein Bündnis von irakischer Armee, kurdischen Peschmerga und den Alliierten den IS zu vertreiben. Nur 26 Kilometer sind es von Baadre bis zur Front.

Irak - IS-Miliz aus Dörfern bei Mossul vertrieben
Im Irak läuft die Offensive zur Rückeroberung der zweitgrößten Stadt Mossul aus der Hand der Dschihadistenmiliz IS. Die Armee hat mit verbündeten Milizen bereits mehrere Dörfer rund 60 Kilometer weiter südlich zurückerobert.

Ilham gehört zu den rund 400.000 Jesiden, die vor dem IS geflohen sind, die meisten ins Autonome Kurdengebiet. Die Jesiden sind unter den mehrheitlich muslimischen Kurden eine religiöse Minderheit. Auch sie sind Kurden, aber nicht zum Islam konvertiert, sondern sie haben ihre Jahrtausende alte Religion bewahrt. Die Dschihadisten betrachten sie als Teufelsanbeter und begannen im August 2014 einen Feldzug gegen sie: Sie ermordeten Zehntausende jesidische Männer, verschleppten, versklavten und misshandelten Tausende Kinder und Frauen. Viele Jesidinnen werden vermisst; nicht alle können wie Ilham fliehen.

Ilham wurde erst westlich von Mossul nach Tal Afar gebracht. Dort wurde sie zusammen mit anderen Mädchen in eine leerstehende Schule eingeschlossen. Jede Nacht riefen die IS-Führer die Namen der Mädchen auf, die sie missbrauchen wollten. Auch Ilhams Name wurde gerufen. Sie wurde mit sechs anderen Mädchen in einem anderen Haus mit etwas Wasser und Brot in ein Zimmer gesperrt. Einige der Mädchen waren erst 12 Jahre alt, Ilham war 17. Es gab zwei IS-Führer, sagt sie, die die Mädchen unter sich aufteilten. Sie holten die Mädchen immer wieder aus dem Zimmer, um sie zu vergewaltigten. Drei Mal hat sie versucht, sich mit einem Pullover zu erhängen. Aber sie hat es nicht geschafft.

Nach einer Woche brachte man sie nach Mossul. Ein Mann, der sich Scheich Abdullah nannte, nahm sie zu sich. Wieder wurde sie in ein Zimmer eingesperrt, mit zwei anderen Mädchen. Zweimal versuchte Ilham zu entkommen. Als die Zimmertür kurz offen stand, schlich sie aus dem Haus. Sie lief durch die Straßen, klopfte an Türen, bat um Hilfe.

Zweimal brachten Familienväter sie zurück zu Scheich Abdullah, weil sie fanden, ihm stehe die Beute zu, wie Ilham sagt. Zur Strafe kettete er Ilham tagelang mit Handschellen an die Wand. Der dritte Fluchtversuch gelang. Eine Familie nahm sie auf und half ihr, ihren Onkel in Baadre zu kontaktieren. Sie gab ihr einen Ausweis, in dem stand, sie sei eine Sunnitin aus Mossul. Damit kletterte sie aufs Hausdach und rannte über die Dächer aus der Stadt hinaus. Sie floh erst nach Kirkuk, dann nach Baadre.

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