Russland ist zwei Jahre nach Beginn des Großangriffs auf die Ukraine voll auf Kriegswirtschaft ausgerichtet. Die Bedrohung durch den Militärapparat des Kreml ist aber nicht nur in der Ukraine real, sondern auch in anderen Nachbarstaaten. "Die nordischen und baltischen Länder, die Russland am nächsten liegen, haben die Botschaft verstanden und bereiten sich vor", schreibt die finnische Militärexpertin Minna Ålander in einem Beitrag für das Center for European Policy Analysis (Cepa).
Vor allem Finnland mit seiner über 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland verfüge über "beträchtliche militärische Fähigkeiten, die Russland große Kopfschmerzen bereiten". Das Land hat seine Truppen, anders als zum Beispiel Deutschland, nach Ende des Kalten Krieges nicht heruntergewirtschaftet. Die finnische Armee ist demnach in einer besseren Verfassung als die meisten der anderen 28 europäischen NATO-Länder. Das nordische Land hat früher als der Rest des Kontinents erkannt, dass die Militärbestände angesichts der russischen Drohungen aufgefüllt werden sollten.
Schon kurz nach Russlands Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren gaben die Finnen Aufträge an die Rüstungsfirmen raus. Die Lager haben sich schnell gefüllt - anders als in Mittel- und Westeuropa. Heute verfügt Finnland über einen der größten Artilleriebestände Europas. Zudem hat Helsinki noch vor der Eskalation in der Ukraine Raketen und Kampfjets gekauft. Im Kriegsfall kann das Land schnell 280.000 Soldaten mobilisieren und auf 870.000 Reservisten zurückgreifen.
Finnland kann sich gegen übermächtigen Gegner behaupten
Ålander schreibt in der Analyse zur Wehrfähigkeit der baltischen und nordischen Staaten, dass Finnland mittlerweile sogar eine "Kriegswirtschaft light" eingeführt habe. Unter anderem hat Helsinkis Militär mit zivilen Unternehmen vereinbart, dass sie für die Truppen produzieren, sollte das nötig werden.
"Finnland hat schon jetzt Kapazitäten, die auf eine Verteidigung gegen einen übermächtigen Gegner ausgerichtet sind. Sie können im Kriegsfall ihre recht kleine Armee innerhalb weniger Tage praktisch verzehnfachen", hat Militärexperte Thomas Wiegold schon vor dem finnischen NATO-Beitritt bei ntv gesagt. "Sie bilden seit Jahrzehnten konsequent Reservisten aus und halten die nötige Ausrüstung vor. Es gibt manche Waffensysteme, von denen hat das kleine Finnland mehr als die Bundeswehr."
Aber nicht nur Finnland hat seine Militärkapazitäten wegen Russland deutlich hochgefahren. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen nehmen die Drohungen des Kreml ebenfalls so ernst, dass sie ihre gemeinsamen Grenzen zum riesigen Nachbarn verstärkt und in Waffensysteme und Luftabwehr investiert haben.
Baltikum schraubt Militärausgaben hoch
Lettland hat Anfang dieses Jahr die Wehrpflicht wieder eingeführt, in Litauen müssen junge Männer schon seit 2015 wieder zur Musterung, in Estland gibt es die Wehrpflicht seit den 1990er-Jahren. Die drei baltischen Länder sind dabei, ihren Wehretat in diesem Jahr auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Zum Vergleich: Deutschland gibt nun erstmals seit über 30 Jahren wieder zwei Prozent des BIP für Verteidigung aus, wie es die NATO von ihren Mitgliedern verlangt - mit Tricks.
Das künftige NATO-Mitglied Schweden wird das Zwei-Prozent-Ziel voraussichtlich ebenfalls dieses Jahr erreichen. Schon seit 2017 gibt es eine Teil-Wehrpflicht, Stockholm will außerdem noch dieses Jahr 600 Soldaten in ein Bataillon nach Lettland schicken, sobald Ungarn den NATO-Beitritt von Schweden nicht weiter blockiert.
Die NATO werde durch Finnland und Schweden deutlich gestärkt und "in die Lage versetzt, besser als je zuvor auf die russische Bedrohung reagieren zu können", heißt es in der Analyse von Expertin Ålander. Vor allem die Zusammenarbeit der Armeen in Nordeuropa wird um einiges einfacher, weil nach dem schwedischen Beitritt alle Staaten in der Region NATO-Mitglieder sein werden.
Nordeuropa? "Eine der fähigsten NATO-Regionen"
Finnland und Schweden arbeiten seit vielen Jahren eng bei der Marine zusammen. Die schwedischen U-Boot-Kapazitäten seien in der Lage, "eine wichtige Lücke in der Ostsee zu schließen", kommentiert die schwedische Politikwissenschaftlerin Ann-Sofie Dahl im Tagesspiegel.
Auch in der Luft ist Stockholm gut aufgestellt, mit über 100 Kampfflugzeugen in den Hallen. Und Schweden liegt geografisch zwischen dem langjährigen NATO-Land Norwegen und Neumitglied Finnland. Das Verteidigungsbündnis könne die Beistandspflicht gegenüber dem Baltikum gar nicht erfüllen, ohne das schwedische Territorium zu nutzen.
Die nordischen Staaten sind nicht nur große Unterstützer der Ukraine, sondern auch selbst militärisch gut aufgestellt. Nordeuropa sei bis zu diesem Jahrzehnt die "Achillesferse der NATO" gewesen, analysiert Ålander. "Heute ist sie eine der am besten vorbereiteten und fähigsten Regionen des Bündnisses" - geeint durch eine "gemeinsame Bedrohungswahrnehmung und die Bereitschaft, das Notwendige zu tun."
Quelle: ntv.de
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