Turkmenistan nach Streit mit der Gazprom auf Suche nach Alternativen

  20 April 2016    Gelesen: 394
Turkmenistan nach Streit mit der Gazprom auf Suche nach Alternativen
Turkmenisten ist ein begehrter Erdgaslieferant, doch nach dem Abfall Russlands als zentralen Energiekunden sucht Aschgabat neben China verzweifelt nach Diversifizierungsmöglichkeiten. Eine Pipeline nach Europa über die Türkei oder eine über Afghanistan nach Indien scheinen sinnvoll und lukrativ zu sein, allerdings stehen diese vor zahlreichen unerwarteten Herausforderungen.
Im Januar 2016 hatten russische Medien darüber berichtet, dass der russische Energieriese Gazprom alle Erdgaseinkäufe aus Turkmenistan eingestellt habe und nicht plane, diese wiederaufzunehmen. Diese Information wurde später, Mitte März, offiziell durch eine Stellungnahme des Unternehmens bestätigt. Die Meldung offenbarte einige zentrale Details über die entstandenen Risse im Verhältnis zwischen Gazprom und der staatlichen Energiegesellschaft des zentralasiatischen Landes, Turkmengas. Russland bot Aschgabat an, den Preis für Erdgas neu anzupassen. Diese Offerte geht auf den Umstand zurück, dass der russische Erdgaspreis an jenen von Erdöl gekoppelt ist. Dieser brach jedoch seit Mitte 2014 dramatisch ein. Laut Medienberichten besagte der 2010 zwischen Gazprom und Turkmengas abgeschlossene Vertrag, dass Moskau 240 US-Dollar je tausend Kubikmeter Erdgas zahle. Russland versuchte dieses Abkommen regelmäßig zu modifizieren. Diese Initiative geht bereits auf die Vorvertragsjahre bis 2008 zurück.

Im Januar vergangenen Jahres entschied sich schließlich Gazprom, den 2010 vereinbarten Preis für Erdgasimporte aus Turkmenistan nicht mehr zahlen zu wollen. Der Handel mit turkmenischem Erdgas mündete zuletzt in Verluste. Dieser unilaterale Schritt gegen Turkmengas führte dazu, dass Russlands Energieriese in der Regierungspresse Turkmenistans in die Kritik geriet. Der Konflikt nahm eine neue Wendung im Juli 2015, als Gazprom eine Klage beim Internationalen Schiedsgericht in Stockholm einreichte. Die russische Firma forderte die Überprüfung des turkmenischen Preises hin zur Möglichkeit, über einen Rabatt verhandeln zu können. Es ist nicht genau klar, ob der Fall infolge des einseitigen Kaufstopps von Russland fallengelassen wurde. Signifikant allerdings ist, Turkmenistan hat seinen zweitgrößten Erdgaskunden verloren nach der China National Petroleum Corporation (CNPC).

Die Beziehungen zwischen Gazprom und Turkmengas waren zu keiner Zeit wirklich einfach. Im April 2009 ereignete sich eine große Explosion entlang der Zentralasien-Zentrum-Erdgaspipeline, die zu Sowjetzeiten gebaut wurde und von Russland genutzt wird, um Erdgas aus Turkmenistan aufzukaufen. Erst kürzlich besuchte der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdymuhamedov Moskau, wo er der Administration von Wladimir Putin ein neues Regierungsabkommen vorschlug. Unter dem Eindruck dieses Gesprächs schlug das turkmenische Staatsoberhaupt eine stärkere Kooperation mit Gazprom rund um die Ost-West-Pipeline vor, die Erdgas aus dem Südosten Turkmenistans bis zum Kaspischen Meer transportieren wird. Die Kooperation könnte darauf ausgerichtet sein, dass Gazprom dem Turkstaat dabei unterstütze, die fossile Energie an die westliche Welt abzusetzen.

Der turkmenische Staatsführer lehnte es letztlich jedoch ab, seine Unterschrift unter das Abkommen zu setzen, da Russland darauf insistierte, das turkmenische Pipeline-Netz mit dem russischen zu verbinden. Zurück in Aschgabat erklärte Berdymuhamedov, dass eine internationale Ausschreibung für den Pipeline-Bau vergeben werde, obwohl zuvor die Auswahl eines russischen Staatsunternehmens geplant war.

Ein anderer Grund für Moskaus Unzufriedenheit mit der turkmenischen Energiepolitik ist Aschgabats rapide Annäherung mit China. Im Dezember 2009 wurde die Zentralasien-China-Pipeline gebaut. Erst begann Turkmenistan damit, Erdgas nach China zu pumpen, daraufhin Usbekistan. Die Pipeline verläuft durch Kasachstan nach Ost-Turkistan, auch Xinjiang-Provinz genannt, im fernen, uighurisch geprägten Westen Chinas.

Laut Erhebungen von CNPC importierte China zwischen Ende 2009 und November 2015 mindestens 121 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Turkmenistan. Unterdessen sank der russische Import aus Turkmenistan von 42,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr 2007 – als Russland noch der größte Importeur des Turkstaates war – auf weniger als vier Milliarden Kubikmeter 2015.

Anfang 2015 warnte noch ein hochrangiger Vertreter Gazproms, Alexander Medwedew, dass der Einnahmeverlust durch den Wegfall Russlands als Erdgaspartner Turkmenistan, gefolgt von Usbekistan, schmerzlich zu stehen kommen würde. Doch China substituierte Russland bezüglich der Lieferungen in Zentralasien sehr schnell und wurde zum Hauptabnehmer turkmenischen Erdgases. 44 Prozent des via Pipeline exportierten verflüssigten Erdgases (LNG) würden von China abgenommen, bemerkte der Statistical Review of World Energy des Energiekonzerns BP.

Die Regierung von Präsident Berdymuhamedov ist derzeit intensiv mit der Herausforderung beschäftigt, zwei Diversifizierungsoptionen zu realisieren, welche die Überabhängigkeit von China als Einkommensquelle reduzieren sollen.

Das Projekt der Transkaspischen-Pipeline existiert bereits seit den 1990er Jahren und zielt darauf ab, Erdgas aus Turkmenistan über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan zu pumpen. Von dort aus soll das Erdgas in die weitläufige Exportinfrastruktur eingespeist werden. Über die Türkei – und das TANAP-Projekt – könnte die fossile Energie weiter via Griechenland und Albanien bis nach Italien verkauft werden. Unter dem Eindruck der weitreichenden Möglichkeiten unterstützen die zwei Turkstaaten, Aserbaidschan und Türkei, aber auch die Europäische Union die Realisierung der Neuorientierung Turkmenistans mit allen Mitteln. Während die Türkei ihre Position als Energie-Verteilungszentrum zwischen Ost und West stärken möchte, sucht die EU spätestens seit der Ukraine-Krise 2014 nach Möglichkeiten, ihre eigene strukturelle Abhängigkeit von Gazprom zu relativieren. Die Hauptschwierigkeit hinter der Realisierung solcher Pipeline-Projekte sind die massiven Widerstände Russlands und des Iran. Sie lehnen den Bau einer Unterwasser-Pipeline zwischen den kaspischen Turkstaaten ab und drohen mit dem Casus Belli. Zudem ist der legale Status des Meeres nicht bestimmt. Die Umsetzung einer Pipeline könnte daher noch Jahre dauern.

Die zweite Option, die von Aschgabat verfolgt wird, ist die Konstruktion der sogenannten Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-Pipeline, kurz TAPI, deren Leistungskapazität auf 33 Milliarden Barrel im Jahr ausgebaut werden soll. Zwischen 2019 und 2020 soll die Pipeline vollendet werden. Turkmenistan begann nach Jahren der Unsicherheit im Dezember 2015 mit dem ersten Spatenstich. Seinerzeit lehnten ausländische Energieunternehmen wie die US-Konzerne ExxonMobil und Chevron oder das französische Total es ab, Turkmenistan bei diesem Unterfangen zu unterstützen. Aschgabat weigerte sich, ein Production Sharing Agreement (PSA), eine Vertragsform bei Erdöl- und Erdgaskonzessionen, mit den westlichen Unternehmen um die reichen Erdgasreserven des Landes einzugehen. Eine weitere Herausforderung für Turkmenistan ist die schwierige Sicherheitslage in Afghanistan und Pakistan. Vor allem in Afghanistan sind die religiös-konservativen Taliban nach Jahren wieder auf dem Vormarsch. Beinahe täglich gibt es Kämpfe zwischen den Taliban und Kabul-treuen Sicherheitskräften.

Während Turkmenistan aller Voraussicht nach fortfahren wird, neue Exportmärkte ausfindig zu machen, wird das türkisch geprägte Land über kurz oder lang nicht darum herumkommen, das gesamte volkswirtschaftliche Potenzial zu modernisieren.

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