Winzig kleine Plastikteilchen werden zumindest in Darmkrebszellen nicht abgebaut, sondern bei Zellteilungen weitergegeben. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team aus Österreich und Deutschland, das die Verteilung der Partikel in Kulturen von Darmkrebszellen des Menschen untersucht hat.
Darüber hinaus gebe es erste Hinweise darauf, dass die Teilchen die Zellmigration von Krebszellen in andere Körperregionen verstärken und damit möglicherweise die Metastasierung von Tumoren fördern, schreibt das Team um Verena Pichler (Universität Wien) und Lukas Kenner (Medizinische Universität Wien). "Wichtig ist, dass die Partikel während der Teilung zwischen Mutter- und Tochterzellen verteilt wurden, ohne dass es Anzeichen für eine Eliminierung gab", betonen die Forscherinnen und Forscher im Fachjournal "Chemospheres".
Die zu den Zellen gegebenen Teilchen hatten einen Durchmesser von 0,25, 1 und 10 Mikrometer (Millionstel Meter). Wurden die Plastikteilchen von 0,25 Mikrometern Durchmesser zu den Zellen hinzugefügt, so verstärkte sich die Zellbewegung sogar. Das Team habe unter anderem in Live-Aufnahmen die Wanderung der Zellen verfolgt, erläuterte Pichler. Bei Krebserkrankungen sei die Zellmigration ausschlaggebend dafür, wie invasiv der Krebs in Bezug auf andere Organe sei.
Auf lebende Menschen übertragbar?
Inwieweit die Laborversuche auf lebende Menschen übertragbar sind, muss noch untersucht werden. Die Forschung zur Zellmigration sei noch relativ neu, sagte Pichler. Ein Tierversuch, um mehr über die Auswirkung von Plastikteilchen auf die Metastasierung zu erfahren, sei jedoch bereits organisiert.
Mikro- und Nanoplastik können wir nicht entgehen, denn wir nehmen es beim Trinken, Essen und sogar Atmen auf. Australische Forschende hatten 2019 geschätzt, dass es bei jedem Menschen je nach Lebensumständen 0,1 bis 5 Gramm Mikroplastik pro Woche sind. 5 Gramm entspricht dem Gewicht einer EC-Karte. Die Forscher gingen von einem Größenbereich der Teilchen bis zu einem Millimeter aus.
Plastikteilchen werden nicht abgebaut
Gewöhnlich bauen sogenannte Lysosomen in den Körperzellen alle Fremdkörper ab, doch an den Plastikteilchen scheitern sie nach Angaben des Teams um Pichler. Sie werden zwar wie andere Abfallprodukte im Körper von den Lysosomen aufgenommen, einer Art Magen der Zelle. Die Plastikteilchen werden nach Angaben des Teams jedoch aufgrund der körperfremden chemischen Zusammensetzung nicht abgebaut - im Gegensatz zu Fremdkörpern biologischen Ursprungs. Die zugegebenen Plastikteilchen reicherten sich im Versuch zudem in den Zellklümpchen an, die sich nicht ausbreiteten. Die Zellteilung sei dabei aber nicht beeinträchtigt worden.
Die Beobachtungen wiesen darauf hin, dass die Plastikteilchen versteckte Katalysatoren für die Tumore sind, "insbesondere durch die Verstärkung der Zellmigration und die mögliche Förderung der Metastasierung", schreibt das Forschungsteam. "Eine Erkenntnis, die Licht auf einen bedeutenden und bisher wenig erforschten Problembereich wirft."
"Vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Kunststoffen in der Umwelt und der anhaltenden Exposition auch des Menschen durch kleinste Plastikpartikel sind dringend weitere Studien erforderlich, um insbesondere Langzeitauswirkungen zu untersuchen", sagte Co-Studienleiter Kenner.
"Chronische Toxizität" der Plastikteilchen
Es sei davon auszugehen, dass von den Plastikteilchen eine "chronische Toxizität ausgeht", befürchtet Pichler. "Unsere jüngsten Ergebnisse sowie frühere Studien belegen eine hohe Aufnahme und Verbleib in Geweben und in Zellen."
Die Plastikteilchen wurden schon in Stuhlproben und verschiedenen Organen des Menschen entdeckt. Bereits 2023 hatte ein Team unter Mitarbeit Pichlers an Mäusen nachgewiesen, dass Nanoplastik selbst die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Die Teilchen waren bereits zwei Stunden nach der Gabe im Hirn nachzuweisen.
Wie gesundheitsschädlich Nano- und Mikroplastikteilchen insgesamt sind, ist noch unklar. "Derzeit ist die Datenlagen zu potenziell gesundheitsschädlichen Effekten von Mikroplastik an Menschen noch sehr niedrig, da noch sehr viel Information fehlt, wie sich das Mikro- und vor allem Nanoplastik im Menschen verteilt", sagte Pichler.
"Nehmen winzigste Mengen über langen Zeitraum zu uns"
"Eine große Herausforderung ist auch, dass wir sozusagen von einer chronischen Dosierung reden. Das heißt, wir nehmen winzigste Mengen über einen langen Zeitraum zu uns", sagte Pichler. Das bedeute eine dementsprechend lange Studiendauer. "An Tieren gibt es jedoch schon einige Studien, zum Beispiel in Zebrafischen und Mäusen." Hier sei insbesondere eine Zunahme von Entzündungen festgestellt worden und auch Auswirkungen auf das Mikrobiom - Bakterien und Pilze, die im oder am Körper leben und sehr oft nützlich sind.
In der aktuellen Studie wurden nur Partikel der Größe 0,25 und 1 Mikrometer von den Zellen aufgenommen, nicht aber die großen 10-Mikrometer-Partikel. Ähnliches ist nach Forscherauskunft schon in früheren Studien mit Darmzellen festgestellt worden. Es gibt verschiedene Definitionen für die Größenordnung der Teilchen. Einige sehen nach Angaben des Studienteams Teilchen der Größe 1 bis 1000 Mikrometer als Mikroplastik an und solche kleiner als 1 Mikrometer als Nanoplastik.
Noch keine abschließende Risikobewertung
Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung ist nicht davon auszugehen, dass von den Plastikpartikeln in Lebensmitteln generell gesundheitliche Risiken für den Menschen ausgehen. Aufgrund mangelnder Datenlage könne derzeit eine abschließende Risikobewertung allerdings noch nicht erfolgen, schreibt das Institut auf seiner Internetseite.
Laut früheren Schätzungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik sind die Hauptquellen für Mikroplastik-Eintragungen in Deutschland der Abrieb von Reifen und von Bitumen im Asphalt sowie die Freisetzung bei der Abfallentsorgung. Auf Platz 7 der Rangliste steht der Abrieb von Schuhsohlen, noch vor dem häufig genannten Faserabrieb bei der Textilwäsche (Rang 10) und Partikeln in der Kosmetik (Rang 17).
Quelle: ntv.de, Simone Humml, dpa
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