Genesis GV60 - ausgefallen, komfortabel, schnell

  08 April 2024    Gelesen: 505
  Genesis GV60 - ausgefallen, komfortabel, schnell

Der Hyundai-Kia-Konzern möchte Genesis als Luxusmarke in Europa etablieren. Kann das gelingen? ntv.de hat den rein elektrisch angetriebenen GV60 einem Praxistest unterzogen.

Was genau der Genesis GV60 eigentlich sein möchte, darf der Interessent selbst entscheiden. Man kann ihn als SUV empfinden, aber auch als Crossover. Mit einer Höhe von 1,58 Metern geht er nicht unbedingt als klassisches SUV durch, dafür sprechen 4,52 Meter Länge definitiv für einen Vertreter der Mittelklasse. Und den Hinweis auf Verbrennerlosigkeit liefern die GV60-Designer. So fällt dem aufmerksamen Betrachter sehr wohl die Unterbrechung der fließend abfallenden Dachlinie auf: Im Bereich der C-Säule nimmt sie einen spitzen Ausläufer in Richtung Türkante und formiert sich auf diese Weise zu einem optisch klar erkennbaren Blitz. Verstanden?

Man kann vom elektrischen Antrieb halten, was man möchte. Und er hat ohne Frage auch Nachteile. Aber man kann seine Lautlosigkeit durchaus auch als Vorteil begreifen. Zumal ein imaginäres Verbrenner-Pendant heutzutage selbst in einer Highend-Motorisierung keine Garantie für einen wohlklingenden Sechszylinder mehr sein muss. Längst haben sich beispielsweise Vierzylinder-Hybrid-Konzepte breitgemacht, die zwar Hunderte von PS an Motorleistung abgeben, aber dennoch wenig attraktiv plärren.

Der Genesis GV60 gehört zu den schnellen Stromern

Dann lieber 490 lautlose Pferdchen aus zwei Motoren, woraus obligatorisch Allradantrieb resultiert. Den braucht es auch, wenn 700 Newtonmeter Systemdrehmoment wüten. Dann steht auch das stattliche Leergewicht von 2,2 Tonnen kaum im Weg, um den Viertürer innerhalb von vier Sekunden (nach Betätigen der Boost-Taste) auf 100 km/h zu wuchten. Und um ihn wenig später gar auf 200 Sachen zu zoomen. Und dann ist immer noch nicht Schluss, was ja in der Welt der elektrischen Antriebe noch einigermaßen exotisch ist. Genesis nennt 235 km/h, laut seiner virtuellen Tachoskala marschiert der Koreaner aber auch ganz locker bis über 240 Sachen durch.

So viel zur durchaus dynamischen Längsperformance. Ein ausgeprägter Querdynamiker ist der GV60 natürlich nicht, dafür ein dankbarer Langstreckler mit veritablem Federungskomfort. Und hinzu kommen recht ordentlich beschaffene Fauteuils (belüftet und massierend), in denen man entspannt Strecke machen kann. Doch Moment, ein paar Kniffe aus dem Antriebskapitel müssen noch erzählt werden. Um Verbrennerfans mit bloß zaghaftem Interesse am Umstieg auf elektrische Mobilität einen Ruck zu geben, haben die Ingenieure ein bisschen Spielkram mitgebracht. So bauen die Elektromotoren im Basismodus etwas verzögert Druck auf, wie man es heute von typischen Turbomotoren kennt. Und inzwischen kann der GV60 auch Schaltvorgänge simulieren. Ein ganz witziges Gimmick. Ob man das möchte, steht auf einem anderen Blatt.

Reichweitenverwöhnten Diesel-Nutzern fällt der Umstieg schwer

Ein weiterer Vorteil des elektrischen Antriebs ist zweifellos auch der spontane Abruf des Moments und das Wegfallen der Übersetzungswechsel. Zugkraftunterbrechung? Nicht beim Stromer. Nie. Aber wie war das noch? Mit dem GV60 auf die Langstrecke? An diesem Punkt werden Verbrenner-Fahrer nachdenklich und die Autohersteller haben Schwierigkeiten, eingefleischte Benziner- oder schlimmer noch Diesel-Nutzer zu den batterieelektrischen Fahrzeugen zu lotsen. Genesis geht hier selbstbewusst mit 800 Volt auf Kundenfang und verspricht, den Akku binnen 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent State of Charge bringen zu können. Klingt wild, ist aber möglich, sofern draußen nicht gerade klirrende Minustemperaturen herrschen. ntv.de hat es ausprobiert.

Allerdings muss man sagen, dass der Konzern - sonst bekannt für effiziente Antriebe - mit dieser Topvariante einen ganz schönen Gourmand erzeugt hat. Sicher, Kraft kommt von Kraftstoff. Das gilt auch für Stromer. Laut Werk sollen nach gemittelter WLTP-Disziplin maximal 19 kWh benötigt werden für 100 Kilometer Fahrt. In der Praxis sind es mitunter deutlich über 20 kWh bei gemischtem Streckenprofil. Entsprechend stehen dann lediglich rund 300 Kilometer auf der Uhr - damit kommt man in der Regel klar.

Sicher, ein bisschen spielt auch die Fahrweise eine Rolle. Wer weit entfernte Ziele möglichst zügig erreichen möchte, muss das Fahrpedal ein bisschen unter Kontrolle halten. Die Richtgeschwindigkeit nicht zu überschreiten möglichst mithilfe des Geschwindigkeitsreglers wäre schon eine ganz vernünftige Maßnahme, um ein gutes Ergebnis aus Effizienz und Reisegeschwindigkeit zu erzielen. Klar verlockt es, die Topspeed immer mal wieder abzurufen. Kann man auch machen. Aber dann werden eben auch zusätzliche Ladestopps nötig gegebenenfalls. Und die möchte man meist vermeiden, auch wenn der GV60 mit bis zu 240 kW auf die Batterie powert.

Der GV60 ist ein kleines Technik-Paket

Als Technologie fehlt es dem starken GV60 übrigens nicht. Gadgets wie Displays als Außenspiegel-Ersatz (das Bild resultiert aus entsprechenden Kameras) und ein vorausschauendes Fahrwerk sind definitiv Dinge, die beim Stammtischgespräch gut kommen. Oder heute eben in digitalen Räumen, wo immer Autobesitzer über ihre Errungenschaften diskutieren. Die auf entsprechenden Stegen sitzenden Kameras mögen ja spacig aussehen, Spiegel sind jedoch besser. Vor allem nachts ist das Bild vom rückwärtigen Verkehr doch eher dürftig.

Und die adaptiven Dämpfer leisten ordentliche Arbeit, aber können auch nicht zaubern. Wie wäre es mit etwas mehr technischer Substanz beim Fahrwerk? Allradlenkung wäre eine ebenso schöne Sache wie eine variable Lenkübersetzung. Das sind Zutaten, die der deutsche Premiumwettbewerb jedenfalls liefert. Dafür lässt die Ladeperformance dort wiederum zu wünschen übrig teilweise. Allerdings ändert sich das gerade.

Viel Assistenz und Infotainment untermauern aber sehr wohl den Eindruck, dass Genesis eine anspruchsvolle Marke ist. Wenngleich sich der doppelte Screen als Kombiinstrument mittlerweile fast überlebt hat. Funktional ist er jedoch allemal. Und auch wenn der 74.480 Euro teure Top-GV60 gut ausgestattet ist, lässt der Hersteller noch Luft nach oben. Gegen 3430 Euro gibt es nicht nur das inzwischen etablierte Head-up-Display, sondern auch adaptive LED-Scheinwerfer sowie das konzernberühmte Feature, den Totwinkel-Bereich im Kombiinstrument einzublenden als Kamerabild. Und sonst? Wenn Genesis jetzt noch daran arbeiten würde, dass man das Assistenten-Setup ein bisschen einfacher und intuitiver konfigurieren könnte (dazu gehört auch die Abschaltmöglichkeit bestimmter Systemteilfunktionen), wäre das fein.


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