Chinas Überkapazitäten bedrohen ganze Branchen in Deutschland

  10 April 2024    Gelesen: 786
  Chinas Überkapazitäten bedrohen ganze Branchen in Deutschland

Für Verbraucher sind billige Importe aus China ein Segen. Sie tragen dazu bei, dass die Inflation spürbar sinkt. Für ganze Wirtschaftszweige sind diese Einfuhren allerdings eine Bedrohung. Die Solarhersteller in Deutschland haben das schon einmal erlebt, die Autobauer schauen mit Schrecken auf die Entwicklung in China.

Eigentlich, erklärte US-Finanzministerin Janet Yellen in einem Interview kürzlich, müsste sie sich für die günstigen Importe aus China bedanken. Als Wirtschaftswissenschaftlerin sei sie mit der Ansicht "aufgewachsen": "Wenn jemand dir billige Güter schickt, solltest du einen Dankesbrief zurückschicken. Das ist im Grunde, was die Standard-Ökonomie sagt."

China schickt den USA - aber auch Europa und vielen anderen Ländern - derzeit viele, sehr billige Güter. Und wie die "Standard-Ökonomie" sagt, gibt es einen guten Grund, sich dafür zu bedanken: Die Importe aus China haben einen großen Anteil daran, dass die Inflation in Europa und den USA so schnell zurückgegangen ist. So sind etwa die Preise für Einfuhren, von denen ein erheblicher Teil aus China stammt, um mehr als zehn Prozent zurückgegangen. Das entlastet deutsche Verbraucher direkt, wenn sie chinesische Produkte kaufen, oder indirekt, wenn sie Waren kaufen, in denen chinesische Vorprodukte stecken.

Bedanken können sich beispielsweise Hausbesitzer, die sich Photovoltaikanlagen zulegen wollen. Die Preise für Solarmodule in Deutschland sind allein im vergangenen Jahr um mehr als die Hälfte eingebrochen - und sinken dank unschlagbar günstiger chinesischer Modelle weiter. Sofern Energiekonzerne ihre sinkenden Kosten weitergeben, sollten davon alle Stromkunden profitieren. Ein ähnlicher Effekt zeichnet sich bei Stromspeichern ab, die für den angestrebten Umbau der Stromnetze unerlässlich sind.

"Nie wieder Dankesbriefe"

Doch weder deutsche Politiker noch Yellen haben derzeit vor, Dankesbriefe nach China zu schicken. Im Gegenteil: Sie beklagen sich lautstark über Chinas Billig-Exporte. "Nie wieder" würde sie in dieser Frage der Standard-Ökonomie folgen, und dazu aufzurufen, einen Dankesbrief zu schicken, sagte die US-Finanzministerin im Interview weiter. Denn sie habe in der Vergangenheit gesehen, wie solche von China subventionierten Billigimporte, "amerikanischen Arbeitern geschadet" hätten. Damit bezieht sie sich auf den Niedergang ganzer Branchen, die den Kampf gegen günstigere, ausländische Konkurrenz - nicht nur aus China verloren hatten.

Auch für diese Entwicklung ist die deutsche Solarbranche ein eindrückliches Beispiel: Die Produktion von Photovoltaik-Technologie boomte einst in Deutschland, die Zahl der Beschäftigten stieg von 2000 bis 2010 von weniger als 10.000 auf mehr als 150.000. Doch dann folgte ein Absturz. Trotz weiter steigender Nachfrage gingen zahlreiche deutsche Hersteller pleite. Sie konnten mit deutlich günstigeren Produkten, vor allem aus China, nicht mithalten. Mehr als 100.000 der neuen Jobs in der Branche - viele darunter in Ostdeutschland - gingen wieder verloren.

Die Sorge ist groß, dass sich dieses Szenario wiederholt. China beherrscht bereits 80 Prozent des Weltmarktes für Photovoltaik-Panele. Die Produktionskosten chinesischer Hersteller liegen deutlich unter denen in Deutschland. Bei den erneuerbaren Energien "überschwemmt China den europäischen Markt regelrecht", konstatiert Jürgen Matthes, Ökonom und Experte für internationale Wirtschaftspolitik beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Kapazitäten werden ausgeweitet

In anderen umkämpften Branchen hat China noch keine derart dominierende Stellung, baut seine Kapazitäten teils mit staatlicher Unterstützung aber massiv aus. Von Reuters erhobenen Daten zufolge haben Chinas führende Banken ihre Kredite für das verarbeitende Gewerbe im vergangenen Jahr um umgerechnet mehrere Hundert Millionen Euro ausgeweitet. Dabei lag die Auslastung der Industrie laut offiziellen Zahlen nur bei rund 76 Prozent. Gerade in den von der chinesischen Führung als Schlüsselbranchen identifizierten "neuen drei" Exportbranchen Solar, Batterieproduktion und Elektroautos, liegt die Kapazitätsauslastung noch weit niedriger.

So liefen in Chinas Autofabriken im vergangenen Jahr rund 30 Millionen Fahrzeuge vom Band. Die Kapazität der chinesischen Autobranche liegt Schätzungen zufolge bei fast 50 Millionen. Die Hersteller könnten also ohne Investitionen in einen Ausbau der Kapazität 20 Millionen Autos mehr produzieren. Die Befürchtung ist groß, dass die Hersteller versuchen werden, erheblich mehr als die fünf Millionen im vergangenen Jahr exportierten Wagen in den Weltmarkt zu drücken. Bisher wird der chinesische Autoexport etwa nach Deutschland unter anderem durch die zu kleine Zahl an entsprechenden Schiffen gebremst. Dafür lassen die großen Hersteller sich gerade ganze Flotten neu bauen.

"Ein Abbau der Überkapazitäten und ein Eindämmen der Exportschwämme" müsse Bundeskanzler Olaf Scholz zur Priorität seiner anstehenden China-Reise machen, fordert IW-Ökonom Matthes. Wenn das nicht gelinge, gerate "die lange gehegte Hoffnung auf den Klimaschutz als Beschäftigungsmotor für Deutschland ins Wanken". Dabei sei Scholz, der von einer Delegation hochrangiger deutscher Unternehmensvertreter begleitet wird, in einer guten Verhandlungsposition. Denn in China lahme die Wirtschaft derzeit, Auslandsinvestitionen stockten. "China braucht Deutschland".

Quelle: ntv.de


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