Jeep Grand Cherokee - nur noch der Name ist groß

  21 Mai 2024    Gelesen: 722
  Jeep Grand Cherokee - nur noch der Name ist groß

Früher war der luxuriöse Jeep Grand Cherokee ein häufig gesehener Gast auf Deutschlands Straßen, bis er sich mit dem aktuellen Modell zum Exoten entwickelt hat. Doch warum ist das geschehen? Lesen Sie selbst.

Vor rund einem Jahr hatte die Jeep-Deutschland-Division zu ersten Testfahrten mit dem neuen Grand Cherokee geladen. Wobei "neu" ein relativer Begriff ist. Denn schon damals war das Modell nicht mehr taufrisch und konnte in den USA längst gekauft werden. Mit dem Vorgänger hatte Jeep in Deutschland noch ordentlich punkten können. Eine moderate dreistellige Anzahl an großen Cherokee fanden monatlich den Weg zum Kunden. Heute ist das vorbei. Im April verzeichnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gerade einmal fünf zugelassene Exemplare. In den ersten Monaten dieses Jahres sind es 49. Der große Offroader fristet ein Exotendasein.

Doch was ist geschehen? Nach längeren Ausfahrten mit dem Allradler lässt sich feststellen: Als kommoder Reisebegleiter ist der Grand Cherokee kein schlechter Partner. Ja, natürlich sind Finish und Materialanmutung in der Gesamtbetrachtung nicht so geschliffen wie beim deutschen Premium-Wettbewerb. Aber fairerweise sollte man einen Blick in die Preisliste werfen. Ab 79.500 Euro gibt es den Plug-in-Hybrid mit Vierzylinder-Benziner. Und die dicksten Brocken sind serienmäßig an Bord. Selbst belüftete Ledersitze gehören zum Standard. Ein gleich stark motorisierter Mercedes GLE belastet das Konto mit einem satten fünfstelligen Betrag stärker.

Ausschließlich PHEV für den Grand Cherokee

Beim Studium der Grand-Cherokee-Preisliste komme ich jedoch immer wieder ins Grübeln. Jeep hatte es zwar angekündigt, aber ich kann einfach nicht verstehen, warum dieser Plug-in-Antrieb die einzige Antriebsofferte für den 4,91 Meter langen Ami sein soll. Ja, das Motorenduo (zu den Details später mehr) sorgt schon für ganz akzeptablen Punch. Aber ich bemühe noch einmal das KBA: Bis zu knapp 60 Prozent der Neuzulassungen von Konsorten wie BMW X5 oder Mercedes GLE entfallen auf Versionen mit Dieselantrieb. Wo bleibt nur der schöne Sechszylinder-Selbstzünder des bisherigen Cherokee?

Elektrotrend hin oder her - hier braucht es einen drehmomentstarken Dieseltreibsatz unter der Haube. Und es ist mindestens ein Schönheitsfehler, dass der ausladende Offroader maximal 2,3 Tonnen ziehen darf. Hier wären 3500 Kilogramm angebracht, so wie beim Vorgänger übrigens ebenfalls möglich. Und der Hybridantrieb kann hier kein Argument sein. Auch der Mercedes GLE darf als Doppelmotorer bis zu 3,5 Tonnen ziehen.

Dass der Achtzylinder beim Cherokee entfällt, ist zwar schade, aber dürfte für Europa keine zentrale Rolle spielen. Immerhin bewahrt sich der Grand Cherokee seine Praxistauglichkeit, kann über 2000 Liter einladen, sofern man die Rücksitzlehnen umklappt.

Noch einmal zurück zum Antrieb. Die Frage, für welche Zielgruppen ein Plug-in-Hybrid sinnvoll ist, ist zu diskutieren - Stichwort ökonomisches und ökologisches Fahren. Im rein elektrischen Fahrbetrieb veranschlagt Jeep mindestens 30,2 kWh je 100 Kilometer, das ist nicht gerade wenig.

Wer den Strom allerdings mit seiner eigenen, ohnehin vorhandenen Photovoltaikanlage (kostenlos) erzeugt oder die Aufwendungen für Strom beim Arbeitgeber einreichen kann, hat die Chance, zumindest ökonomisch unterwegs zu sein. Sofern er die Möglichkeit hat, überhaupt zu Hause laden zu können. Und dann lässt sich der 2,4-Tonner dank 17-kWh-Akku rund 50 Kilometer lang mit 145 PS durch die Gegend bugsieren. Das sollte zwar für die meisten täglichen Anwendungen reichen, aber Laternenparker sind hier meistens raus.

Es bestünde noch die Möglichkeit, öffentlich zu laden per Typ-2-Stecker, aber dieser Vorgang nimmt etliche Stunden in Anspruch. Und dann wären da ja auch wieder die Kosten. Und um wirklich ökologisch zu operieren, müsste das Fahrzeug schon über viele Kilometer elektrisch bewegt werden im Laufe seines Lebenszyklus.

Vierzylinder in dieser Liga sind wenig sexy

Der Aufwand, der meist durch das Laden entsteht, dürfte der Grund dafür sein, warum Plug-in-Hybride in der Realität meistens mit fast leerer Batterie vor sich hin rollen. Und ganz ehrlich, der 380-PS-Strang macht ja unter Inanspruchnahme beider Maschinen mächtig Spaß, wenngleich der (gedämpfte) Sound knapp an den Ansprüchen des Luxussegments vorbeigeht.

Sagen wir mal so: Leise ist der Strang schon, wenn man nicht gerade über 5000 Touren dreht, sexy aber weniger. Vierzylinder eben. Souverän hingegen ist die Einheit schon, darüber lässt sich kaum streiten. Hektischer Leistungseinsatz kann im ungünstigsten Fall zwar schon mal dazu führen, dass die Achtgang-Automatik eine Gedenksekunde benötigt, aber in der Regel schaltet das Getriebe unauffällig-geschmeidig. Nach 6,3 Sekunden soll der Kraxler Landstraßentempo erreichen, was durch sanften Schub im Rücken glaubhaft gemacht wird. Bei 210 Sachen ist Feierabend, den sogenannten Trailhawk lässt man bloß 190 km/h schnell werden.

Apropos Trailhawk. Hierbei handelt es sich traditionellerweise um die besonders kletterfähige Variante. Allerdings beschränken sich die Unterschiede auf den entkoppelbaren Stabilisator für bessere Achsverschränkung im Gelände sowie verbesserten Unterfahrschutz für Tank und Verteilergetriebe. Die Sperre für das Hinterachsdifferenzial bietet auch schon der "Summit Reserve". Außerdem verfügt der Offroader ab der Ausstattungslinie "Overland" über ein luftgefedertes Fahrwerk, sodass Fahrzeuglevel und Federrate variabel sind.

Zumindest in der Komfort-Disziplin ist der US-Amerikaner über alle Zweifel erhaben. Hier spielen darüber hinaus auch die mächtigen Lederfauteuils eine gewichtige Rolle. Auch für Infotainment-Fans hält der Jeep so manches Schmankerl bereit. Beispielsweise das Beifahrerdisplay, auf dem der Copilot eigene Inhalte konsumieren darf. Zudem besteht die Möglichkeit, einen drahtlosen Kopfhörer anzuschließen. Doch davon allein lassen sich potenzielle Kunden offenbar kaum überzeugen.

Fazit: Keine Frage, der Jeep Grand Cherokee ist ein gutes Auto. Bloß kristallisiert sich nach rund einem Jahr der Marktpräsenz heraus, dass die Käufer dieses Segments den Antrieb eher weniger goutieren. An den Eigenschaften kann die Kaufzurückhaltung kaum liegen, denn der Offroader ist ordentlich verarbeitet und besticht durch ein schickes Blechgewand. Zudem haben ihn die Marketingstrategen durchaus fair eingepreist. Allerdings müssen Dienstwagenfahrer in Kauf nehmen, dass bei der pauschalen Abgeltung privater Fahrten der volle und nicht der halbierte Bruttolistenpreis als Grundlage dient. Dazu müsste der Geländewagen deutlich weiter rein elektrisch fahren können.

Lieber Stellantis-Konzern, wie wäre es mit der Entwicklung eines Sechszylinder-PHEV-Strangs samt deutlich größerem Akku? Dann könnte es auch in Europa funktionieren. Aber mit dem künftigen Wagoneer S wird es ja erst einmal rein elektrisch. Es bleibt also weiter spannend bei Jeep.

Quelle: ntv.de


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