Viele Nio sieht man noch nicht auf Europas Straßen. Doch wer die Marke kennt, wird auch das neueste Produkt schon von Weitem erkennen: Mit seiner markant gefalteten Haifischnase und den Scheinwerfer-Schlitzen darüber kommt auch das große SUV EL8 (ab 82.900 Euro, ohne Akku) so angriffslustig heran wie seine zierlicheren SUV- und Limousinen-Brüder.
"Ein klares Markenimage über Design ist der Schlüssel, um sich im Premium-Segment zu etablieren", sagt Nio-Manager Pep Pujol Mur. Die Gestalter im globalen Designzentrum München zeigen, dass viele von ihnen ihr Handwerk ebendort bei den beiden Premium-Marken gelernt haben. Am Heck etwa folgt der große Nio dem aktuellen Trend mit einem steilen und wuchtigen Abschluss. Die Rückleuchten sind dreidimensional geformt und erstrecken sich bis weit in die Heckklappe hinein.
Kugeliger Kumpel Nomi
Über Türen mit versenkbaren Griffen gelangt man in das Interieur, das von zwei Monitoren geprägt ist. Einer hinter dem Lenkrad - und ein zentraler 11,3 Zoll großer Touchscreen, der zur Bedienung des Infotainmentsystems dient. Alternativ geht vieles auch über den Sprachassistenten Nomi, der durch ein rundes Display auf dem Armaturenbrett dargestellt wird, bei Interaktionen ein virtuelles Gesicht mit Augen zeigt und mit den Passagieren parliert. Wer beim Einsteigen ins Auto das Motto hat, "jetzt hört der Spaß aber auf", wird Nomi hassen. Verspieltere Menschen könnten sich dagegen mit dem kugeligen Kumpel anfreunden.
Vollkommen geschmackssicher ist dagegen der Rest des Interieurs: Geschmeidiges Leder, ein besonders aufgeräumtes Inneres und hochwertige Verarbeitung - die eigene Handschrift der Münchner Designer kennen Interessierte ähnlich aus den Schwestermodellen. Auf 5 Metern Länge, 2 Metern Breite, 1,75 Metern Höhe und rund 3 Metern Radstand bietet der Nio Platz für bis zu sechs Personen und bis zu 810 Liter Gepäck. Die dritte Reihe lässt sich nahtlos flachlegen, die zweite allerdings nicht. Lange Gegenstände oder Mountainbikes müssen also draußen bleiben.
Dritte Sitzreihe
Die Standardversion des EL 8 verfügt über einen Mittelgang zur dritten Sitzreihe, 14-fach verstellbare Rücksitze und breite Armlehnen. Die Executive Edition hat in Reihe zwei eine Mittelkonsole mit integriertem Kühlschrank und 12-fach verstellbare Ottomanen-Liegesitze. Auch auf der Beifahrerseite gibt es einen superbequemen Sitz, der sich fast zu einem Bett wie in der Business-Class eines Flugzeugs ausfahren lässt.
"In China ist der EL8 ein typisches Auto für Geschäftsleute mit Chauffeur", weiß Pujol Mur. Auch darum ist in der Executive-Variante zudem eine Hot-Stone-Massage-Funktion für die erste und zweite Sitzreihe enthalten, elektrische Bein- und Schulterunterstützung sorgen für Komfort auf langen Strecken.
Luxus, der zur komfortablen Auslegung des Fahrwerks passen soll. Zum Ruheraum wird das SUV dank geräuschdämpfenden Glasflächen und Reifen sowie einer Funktion, die Nickbewegungen beim Bremsen minimiert. Das Duftsystem "Forest", 174 LED zur Beleuchtung und ein 2300 Watt Surround-Sound-System sollen das Lounge-Gefühl perfekt machen.
Ein Herz für Familien - und Haustiere
Und für Familien zeigt der sanfte Riese ein Herz: Der EL8 hat gleich vier Isofix-Halterungen für Kindersitze und ein sogenanntes Child Presence Detection System: Das warnt nicht nur, wenn ein Kind oder Haustier versehentlich im Fahrzeug zurückgelassen wurde, sondern bietet auch Sicherheitsfunktionen wie Antikollisionsschutz beim Öffnen der hinteren Türen und intelligente Fenster- und Türverriegelung.
Ein spezieller Haustiermodus hält die Innenraumtemperatur konstant bei 22 Grad Celsius und deaktiviert bestimmte Funktionen, damit der Hund im Innenraum relaxen kann. Mit einer Anhängelast von 2000 Kilo und einem Campingmodus ist der EL8 ebenfalls familienfreundlich unterwegs. Beim etwas umständlichen Zugang zu Reihe drei braucht es aber in der Basisversion noch Nachbesserung - nur im Executive rutscht der Sitz davor auf Knopfdruck nach vorn.
Der komfortbetonte EL8 kann aber auch Rakete: Der serienmäßige Allradler kombiniert dazu einen 180 kW/245 PS starken SiC-Permanentmagnetmotor und einen 300 kW/409 PS leistenden Induktionsmotor und nutzt den weltweit ersten dualen Dreiphasen-Wechselrichter. Das soll für verbesserte Spitzenleistung und Zuverlässigkeit sorgen. Mit einem Drehmoment von 850 Newtonmeter erreicht der EL8 aus dem Stand die 100-Stundenkilometer-Marke in 4,1 Sekunden. Leistungen auf der Höhe eines Tesla Model X oder BMW iX - die ebenfalls fast 2,5 Tonnen gen Horizont schieben.
WLTP-Reichweite über 500 Kilometer
Die austauschbare Long-Range-Batterie mit 100 kWh Kapazität ermöglicht laut WLTP-Zyklus eine Reichweite von 510 Kilometern. Alternativ ist auch eine Standard-Batterie mit 75 kWh Kapazität erhältlich. Und der kombinierte Norm-Stromverbrauch nach WLTP liegt zwischen 21,2 und 23,1 kWh auf 100 Kilometer.
Bei Technik und Computerleistung macht den Chinesen ohnehin kaum ein Europäer noch etwas vor - kein Wunder: Die serienmäßige Luftfederung etwa wird vom Zulieferer Continental geliefert, der auch den Mercedes EQC damit ausstattet. Zudem stammt die Lenkung von Thyssen und wird in ähnlicher Form auch im BMW X5 verbaut. Die Konzentration der eigenen Techniker liegt dafür auf Merkmalen, mit denen sich der Nio vom Wettbewerb absetzen soll. Ähnlich wie Tesla setzen auch die Chinesen auf ein komplett eigenes Betriebssystem und klar gegliederte und logisch aufbauende Bedienoberflächen. Im Heimatland bietet der Hersteller sogar ein eigenes Smartphone, das auf dem gleichen System aufbaut. Android Auto oder Apple CarPlay gewährt Nio aber keinen Zugang; in Europa sicher für viele Interessenten ein Ausschlusskriterium.
Akku wechseln autonom
Der EL8 ist neben fast unzählbaren Sensoren und Kameras auch mit sehr hoher Rechnerleistung ausgestattet, Voraussetzung für hochautomatisierte Funktionen wie dem selbstständigen Fahrspurwechsel auf der Autobahn. Darüber hinaus kann das Fahrzeug auch autonom in spezielle Stationen fahren, in denen der ganze Akku gewechselt werden kann, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. 500 Kilometer Reichweite in 3 Minuten - das ist schon ein Argument, bei dem der elektrische Wettbewerb passen muss. Wichtig gerade in dieser Klasse der großen Reise-Fahrzeuge. 15 Akkuwechselstationen gibt es derzeit in Deutschland, Ende des Jahres sollen es knapp 20 sein.
Der Akku übrigens ist in den offiziellen Preisen nicht inkludiert - es ist ja im Wechsel stets ein anderer. Die 82.900 Euro (Executive: 87.900 Euro), ab denen der EL8 zu haben sind, können deswegen etwa mit den 97.990 Euro des Tesla Model X oder 77.300 des BMW iX nicht eins zu eins verglichen werden. Denn bei Nio fallen nochmindestens 169 Euro Akku-Leihgebühr an oder gleich 12.000 Euro extra für den Kauf des Akkus. Für die größere Batterie sind es sogar 289 beziehungsweise 21.000 Euro. Drei Batteriewechsel pro Monat zum schnellen Nachladen sind beim Abo-Modell gratis.
Ein günstiger Spaß ist der große Nio EL8 also nicht, wer sich mit seinem SUV allerdings von den üblichen Angeboten von BMW & Co. abheben will, findet in ihm eine erstaunlich ausgereifte Alternative.
Quelle: ntv.de, Peter Weißenberg, sp-x
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