Warum die Schüsse auf Trump die Märkte kaltlassen

  15 Juli 2024    Gelesen: 516
  Warum die Schüsse auf Trump die Märkte kaltlassen

Während Politik und Gesellschaft über Parteigrenzen hinweg mit Entsetzen auf das gescheiterte Attentat auf Donald Trump reagieren, sind an den Börsen kaum Ausschläge zu erkennen. Woran das liegt und welche wirtschaftlichen Folgen ein Wahlsieg des Republikaners hätte, erklärt Marktexperte David Wehner, Fondsmanager bei Do Investment, im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Als Laie könnte man erwarten, dass die Märkte stark auf das gescheiterte Trump-Attentat reagieren - tun sie aber nicht. Warum?

David Wehner: "Politische Börsen haben kurze Beine" lautet eine Börsen-Phrase. Es gibt nur sehr wenige historische Phasen, in denen die Politik lange Zeit Börsen überschatten kann. Märkte konzentrieren sich immer sehr kurzweilig auf politische Ereignisse. Das haben wir vor Kurzem bei der Europawahl erlebt, als Frankreich und Italien auch an den Börsen unter Druck geraten sind - aber nur für kurze Zeit. Wenn sich Wahlausgänge nicht so drastisch etablieren wie erwartet, erholen sich Märkte sehr schnell.

Warum ist das so?

Weil sich die Worst-Case-Szenarien und damit verbundene Panik vor Wahlen realwirtschaftlich nicht niederschlagen. Zum einen weil es meist keine klare oder gar absolute Mehrheit extrem rechter oder auch linker Kandidaten gibt. Zum anderen müssen die Kandidaten am Ende Realpolitik machen, wie man zum Beispiel aktuell in Italien an Meloni sieht. Auch beim Brexit haben sich die Märkte nur kurz damit befasst. Etwa einen Monat lang beherrschte er die Kapitalmärkte. Doch dann zeigte sich, dass der Prozess Jahre dauert und es am Ende bilaterale Gespräche gibt. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet China, wo den Märkten längerfristig das Vertrauen entzogen wurde: wegen des Protektionismus, der harschen Abschottung während der Corona-Pandemie und dem daraus folgenden wirtschaftlichen Abschwung, der Regulierung der chinesischen Techriesen und jetzt den Überinvestitionen in den Immobiliensektor.

Wie sieht es im Fall des versuchten Attentats auf Trump aus?

Was wir gestern erlebt haben, war natürlich sicherheitspolitisch katastrophal und für viele ein gravierender Schock. Aber wahrscheinlich hat die Märkte beruhigt, dass Donald Trump nur leicht verletzt wurde. Wäre er schwerer oder gar tödlich verletzt worden, hätte es Ausschreitungen geben können. Das hätten die Börsen möglicherweise als sehr starke innenpolitische Unsicherheit wahrgenommen, was zu fallenden Kursen geführt hätte. "Sichere Häfen" wie Gold, Silber und US-Staatsanleihen hätten in diesem Szenario zulegen können.

Durch den Anschlag auf Trump wächst aber ja auch die Gefahr einer Gewaltspirale, warum reagieren die Anleger also trotzdem nicht stärker?

Wahrscheinlich haben sie sich schon damit abgefunden, dass Trump in den Umfragen sehr weit vorn liegt, schon seit Bidens desaströsem Auftritt beim TV-Duell. Dieses sehr historische Foto, auf dem Trump mit Schusswunde die Faust in die Luft streckt, hat die Umfragewerte noch einmal nach oben schießen lassen. Aber für die Märkte ist es keine neue Situation, der Abstand zu den Demokraten hat sich nur erhöht.

Viele Investoren gehen jetzt erst recht davon aus, dass Trump das Rennen machen wird.

Aus der jetzigen Perspektive wirkt er uneinholbar. Aber wir haben ja noch ein paar Monate bis zur Wahl. Außerdem könnte Trump seine Politik nur mit einer klaren Mehrheit im Senat oder Repräsentantenhaus umsetzen, zumindest in der Innenpolitik. Da sich eine solche klare Mehrheit noch nicht abzeichnet, sind die Märkte relativ entspannt mit Blick auf die US-Wahl.

Sind die Märkte zu Recht entspannt?

Es verwundert schon ein bisschen. Denn falls er eine Mehrheit im Kongress bekommt, wird das zu geopolitischen Unsicherheiten führen. Er plant Protektionismus mit hohen Zöllen, Strafzöllen gegenüber Asien, vor allem China, aber auch Europa. Das sehen wir am heutigen Tag an den europäischen Börsen. Sie reagieren nicht stark, sind aber negativ. Die US-Börsen sind positiv in den Tag gestartet, die europäischen leicht negativ. Das gilt für den Dax und den französischen Leitindex ebenso wie für den Euro. Während die Renditen in den USA leicht steigen, fallen sie in Europa leicht.

Warum, welche wirtschaftlichen Folgen hätte eine zweite Amtszeit von Donald Trump?

Der Protektionismus würde dazu führen, dass in den USA die Inflation wohl steigen würde. Denn durch Zölle werden Importe aus Europa und Asien teurer, und diese Preisanstiege würden an die Konsumenten weitergegeben. In Europa hätte das eine konjunkturelle Abschwächung zur Folge, denn die Nachfrage nach europäischen Produkten dürfte sinken. Amerikanische Unternehmen würden in Ländern mit günstigeren Zollbedingungen oder bei US-Zulieferern einkaufen oder sogar Produktion in die USA verlagern.

Lässt das die Anleger dauerhaft kalt?

Durch die gestern losgetretene Euphorie sind die Börsen noch in einer Stärkephase, aber es würde mich nicht wundern, wenn der ein oder andere Investor die Situation nochmal überdenkt und die Konsequenzen einer Wiederwahl Trumps neu bewertet. Wir könnten also in den kommenden Wochen durchaus noch Korrekturbewegungen an den US-Börsen sehen.

Welche wirtschaftlichen Risiken hätte denn ein Wahlsieg Trumps für die USA?

Durch Protektionismus und Importzölle würde, wie gesagt, die Inflation steigen. Der amerikanische Staat ist aktuell hoch verschuldet, und die Zinsen sind bereits so hoch, dass die Zinslast den Staat momentan erdrückt. Weitere Zinserhöhungen gegen die Inflation wären also schwierig, da steigende Zinsen die wirtschaftliche Aktivität abbremsen könnten und eine weitere Belastung für den Staat, Unternehmen und Konsumenten darstellen. Auf der anderen Seite würde eine hohe, erneut steigende Inflation die US-Bürger in ihrem Konsum weiter einschränken, der wiederum ein wichtiger Teil der US-Wirtschaft ist. Das hätte also auch konjunkturelle Folgen. Eine verzwickte Situation. Ich teile deshalb die Euphorie der Märkte nicht, sondern sehe auch Risiken.

Aber nach Trumps erstem Wahlsieg 2016 lief es doch ganz gut für die US-Wirtschaft.

Ja, vorher war zwar ein Schreckensszenario aufgebaut worden, aber die Wahl fiel in eine wirtschaftsfreundliche Phase. Die Wirtschaft in den USA kam aus einer Schwäche, Zinsen und Inflation waren niedrig. Durch eine sehr ausgabefreundliche Fiskalpolitik und Investitionspolitik hat er die Wirtschaft angekurbelt. Wir hatten weltweit einen konjunkturellen Aufschwung, davon profitierten 2017 auch erst einmal die globalen Börsen.

Mögen die Märkte Trump deshalb?

Wir Fondsmanager versuchen immer, historische Zusammenhänge herzustellen. 2015 wuchs Chinas Wirtschaft nur noch vergleichsweise schwach, 2016 kam dann die Entscheidung für den Brexit. Die Stimmung war relativ schlecht, die Börsen in einem volatilen Seitwärtsgang. Dann kam Trump mit seiner Politik der Deregulierung. Es gab zwar auch Protektionismus, etwa der Handelsstreit mit China, aber auch eine wirtschaftsfreundliche Politik mit Investitionen. Die Staatsverschuldung stieg, die Weltkonjunktur erholte sich. Das hatte mehrere Ursachen, auch China wertete seine Währung ab und betrieb eine wirtschaftsfreundliche Politik. Aber die konjunkturelle Aufwärtsphase fiel genau in die Zeit, als Trump als Präsident vereidigt wurde. Die Märkte antizipieren das quasi für eine zweite Amtszeit von Trump und spekulieren auf eine Wiederholung.

Dabei ist die Ausgangssituation heute eine ganz andere.

Ja, solche Prognosen sind sehr schwer zu treffen, denn die wirtschaftliche Situation war eine ganz andere als heute. Heute sind die Staaten hoch verschuldet, die Zinsen sind sehr hoch, und die Inflation auch immer noch. Die Löhne sind gestiegen, aber der Mittelstand steht immer noch stark unter Druck wegen der hohen Lebenshaltungskosten. Deshalb ist der historische Vergleich aus meiner Sich zu leicht gegriffen. Vor allem weil man noch nicht weiß, wie sich das US-Parlament zusammensetzen wird. Die Kapitalmärkte könnten durchaus in eine Schwächephase fallen. Aber Märkte neigen kurzfristig gerne zu einer gewissen Leichtfertigkeit.

Wäre Biden also für die Wirtschaft der bessere Präsident?

Für die europäische Wirtschaft wäre ein demokratischer Kandidat die bessere Wahl. Da erleben wir zwar auch einen gewissen Protektionismus, vor allem gegenüber China. Dieser wird sich auch auf europäische Produkte niederschlagen, solange es kein Handelsabkommen gibt. Aber nicht so stark wie bei einer Wiederwahl Trumps. Auch für die globale Wirtschaft, etwa durch G7- oder G20-Entscheidungen wäre ein demokratischer Kandidat wahrscheinlich die bessere Wahl.

Welche Folgen hätte Trumps "America first" für die globale Wirtschaft?

Die Globalisierung war einer der entscheidenden Treiber der vergangen 30, 40 Jahre für unseren Wohlstand. Der weltweite Handel hat zu günstigeren Produkten geführt, für Unternehmen wie Konsumenten. Über Jahrzehnte aufgebaute Standort- und Produktionsvorteile haben zu den wirtschaftlichen Erträgen und damit auch Vermögens- und Börsenwerten beigetragen. Durch Protektionismus werden diese Wohlstandsvorteile zumindest zum Teil wieder zurückgedreht. Die USA haben in den vergangenen Jahrzehnten mit am stärksten von der Globalisierung profitiert und Standortvorteile generiert, vor allem im Technologiebereich. Den größten Profit haben sie aus dem Import von Fachkräften gezogen. Durch ihre Vormachtstellung in Bereichen wie Technologie könnten die USA aber auch die Nachteile einer Deglobalisierung besser abmildern als andere Regionen auf der Welt. Außerdem sind sie bei wesentlichen Basisprodukten wie Energie und Nahrung Selbstversorger.

Kann der Wahlausgang auch durch die Annahmen von Investoren beeinflusst werden?

Jein. Sollten die Börsen vor der Wahl doch noch unter Druck geraten, wäre das wohl ein weiterer Belastungsfaktor für die Demokraten. In den USA sind ja viele Dinge wie die Rente privatisiert, viel mehr Menschen als hierzulande besitzen Aktien. Wenn die Börsen steigen, sind Anleger wahrscheinlich eher geneigt, den jetzigen Präsidenten oder einen anderen Demokraten zu wählen. Sollten die Börsen jetzt unter Druck kommen, könnte das den Demokraten angehängt werden, weil die meisten Anleger ja keine Tiefenanalyse durchführen.

Warum favorisieren Investoren grundsätzlich eher die Republikaner?

Sie stehen für Deregulierung, eine Stärkung der Wirtschaft, eine ausgabefreudige Fiskalpolitik und sprechen sich gern für eine Niedrigzinspolitik aus. Sie wollen nach eigenen Angaben ein wirtschaftsfreundliches Umfeld generieren. Der Kapitalmarkt ist in so einem Fall relativ einfach gestrickt und bevorzugt natürlich diese unternehmens- und börsenfreundlichen Positionen.

Mit David Wehner sprach Christina Lohner

Quelle: ntv.de


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