Laut der Analystin Nataliya Bugayova vom Institut für Kriegsstudien (ISW) hat die ukrainische Offensive in der Region Kursk "eindeutig das Potenzial, Schwung zu erzeugen". Noch sei es zwar zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen, die USA sollten aber der Ukraine helfen, "diesen Schwung zu nutzen, anstatt ihn zu dämpfen, um die Kontrolle über das Tempo des Krieges zurückzugewinnen". Sie kritisiert, dass die Vereinigten Staaten bei der Ukraine-Hilfe nur schrittweise vorgehen würden und der Westen sich lediglich darauf konzentriere, Russland durch Gegenmaßnahmen einzudämmen.
Die ehemalige Geschäftsführerin der "Kyiv Post" fordert in einem Beitrag unter anderem, "sichere Häfen für Russlands Kriegsmaschinerie zu beseitigen" - also Angriffe auf russisches Territorium mit westlichen Waffen grundsätzlich zu erlauben. Noch gibt es dafür unter anderem von den USA strenge Auflagen. Kiew hatte in den vergangenen Monaten mehrfach deutlich gemacht, dass dadurch eine entscheidende Fähigkeit fehle, um die russische Aggression abzuwehren.
Eine große russische Schwachstelle sieht ISW-Analystin Bugayova in der "Unfähigkeit, sich schnell anzupassen". "Der Kreml ist anfällig gegenüber einem Gegner, der in der Lage ist, ihm die Möglichkeit zu nehmen, sich neu zu gruppieren und anzupassen." Russland passe sich jedoch an, wenn es Zeit bekomme. Der Ukraine würde es helfen, wenn der Westen aufhöre, "fortschrittliche Fähigkeiten", also neue Waffensysteme, anzukündigen und durchsickern zu lassen. Denn darauf würde das russische Militär reagieren - wenn auch langsam.
"Wenn die Unterstützung der USA für die Ukraine anhält und an Dynamik gewinnt, wird der Kreml mit wachsenden Problemen rechnen müssen", schreibt Bugayova. Das würde auch wichtige russische Partner wie China oder Iran unter Druck setzen, die helfen, den Krieg aufrechtzuerhalten. "Russlands Partnerschaften erfordern Kompromisse und sind anfällig, wenn beide Partner unter Druck geraten."
Vergangene Erfolge sorgten für "Hysterie"
Bugayova zieht in ihrer Analyse mehrfach Parallelen zwischen dem kürzlichen ukrainischen Vorstoß in der Region Kursk und Erfolgen auf dem Schlachtfeld im Jahr 2022. "Hätte der Westen der Ukraine rasch militärische Hilfe zukommen lassen und weitere Operationen nach der russischen Niederlage in der Schlacht um Kiew im Frühjahr 2022 oder sogar nach der russischen Offensive in Sewerodonezk im Sommer 2022 geplant, wäre die Ukraine einem dauerhaften Frieden näher als heute."
Staatschef Wladimir Putin habe sich in Momenten, in denen er durch anhaltenden Druck herausgefordert wurde, echten Risiken ausgesetzt gesehen, schreibt die Analystin. "Die ukrainischen Erfolge auf dem Schlachtfeld im Herbst 2022 führten zu einer Hysterie im russischen Informationsraum, da die militärische Demütigung im Gegensatz zu Putins Versuch stand, das Bild eines 'großen Russlands' zu vermitteln."
Militärische Niederlagen haben laut Bugayova Konsequenzen im russischen Machtapparat. Durch Misserfolge habe es in der Vergangenheit Risse in Putins nationalistischer Basis gegeben. Auch kürzlich zeigte sich der russische Präsident öffentlich wenig erfreut, als er den Gouverneur von Kursk bei einem Treffen in die Schranken wies.
Druck aufbauen, kein einfaches Unterfangen
Die Fähigkeiten der Ukraine, anhaltenden Druck aufzubauen, wie es Bugayova letztlich fordert, um Russland möglicherweise militärische Niederlagen zuzufügen, sind allerdings aktuell trotz der Erfolge in Kursk weiterhin eingeschränkt. Das liegt zum einen in den anfangs erwähnten strengen Auflagen für Angriffe mit westlichen Waffen auf russisches Territorium, und zum anderen am anhaltend starken russischen Druck im Donbass, vor dem Experten zuletzt immer wieder gewarnt haben.
Hinzu kommen dauerhafte Probleme wie Personalknappheit oder auch schleppende Waffenlieferungen aus dem Westen. Die Ukraine ist immer noch nur geringfügig mit Langstreckenwaffen ausgestattet, wird laut Medienberichten in diesem Jahr nur rund 20 westliche F-16-Kampfjets in die Luft bekommen und auch die Versorgung mit Artilleriemunition von der tschechischen Initiative gelingt laut Angaben aus Prag nicht so umfassend wie erhofft.
Quelle: ntv.de, rog
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