Der Professor, der Chemieingenieur Channing Robertson, ist begeistert, lässt das Wunderkind ziehen und heuert sogar als ihr technischer Berater an. "Mir wurde klar, dass ich vielleicht gerade dem nächsten Steve Jobs oder Bill Gates in die Augen schaute", sagt Robertson später über Holmes.
Zwölf Jahre später bietet Holmes` Firma Theranos den "Edison" genannten Test an. Mit nur einem Tropfen Blut aus der Fingerspitze, verspricht die Firma, untersuche Edison ebenso präzise wie bisherige Verfahren. Eine medizinische Revolution, die einfachere und schnellere Aids- und Hepatitis-Diagnosen verspricht. 750 Millionen Dollar haben Risikokapitalgeber in Theranos-Anteile investiert, zuletzt zu einer Bewertung von neun Milliarden.
Holmes, der weiterhin mehr als die Hälfte der Firma gehört, ist die jüngste Selfmademilliardärin der Welt. Die blonde Frau mit den oft dunkel geschminkten blauen Augen zierte die Cover der US-Wirtschaftsmagazine "Forbes" und "Fortune", die Zeitschrift "Time" wählte sie in ihre Liste der einflussreichsten Menschen der Welt.
Wenn eine Geschichte zu schön ist, um wahr zu sein, ist sie es meistens auch nicht.
Heute ermitteln die US-Börsenaufsicht, der medizinische Dienst der US-Krankenversicherung Medicare und die Arzneimittelbehörde (FDA) gegen Theranos und seine Gründerin. Es gibt Vorwürfe, dass unqualifiziertes Personal in den Laboren der Technologiefirma gearbeitet haben soll und, schlimmer noch, dass der vielversprechende Bluttest der Firma in Wahrheit eine Luftnummer sei.
Holmes könnte von der Firmenspitze verbannt werden
Zweifel an der Effektivität von Edison kamen bereits im vergangenen Oktober auf, als im "Wall Street Journal" ehemalige Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen ihren Ex-Arbeitgeber erhoben: Der nach dem Glühbirnen-Erfinder benannte Apparat werde so gut wie nie eingesetzt, stattdessen verdünne Theranos die Proben und untersuche sie mit herkömmlichen Analysegeräten von Siemens.
Der angebliche Grund: Der vermeintliche Wundertest sei längst nicht so verlässlich, wie die Firma es verspreche.
Damals stritt Holmes die Vorwürfe weitgehend ab, inzwischen wächst der Druck aber fast täglich. Walgreens, die größte Apothekenkette der USA, droht, Theranos` Blutproben-Behälter aus seinem Sortiment zu verbannen.
Die FDA erwägt sogar, Holmes für zwei Jahre den Besitz und die Leitung von Laboren zu verbieten. Die Zustände in einem ihrer beiden Laboren stellten eine "unmittelbare Gefahr für Patienten" dar, schreiben die Kontrolleure in einem Bericht. Die Firma betont, sie arbeite "eng mit den Regulierungsbehörden zusammen" und zeige sich "bei allen Ermittlungen absolut kooperativ".
Die Ermittlungen könnten dem Milliarden-Startup den Todesstoß versetzen. Und den Ikarus-Flug der Elizabeth Holmes jäh beenden.
Die 32-Jährige gibt sich reuig: Sie sei "erschüttert, dass wir diese Probleme nicht früher und schneller angegangen sind", sagte Holmes gerade in einem Interview mit der "Today Show". Man habe alle Tests in dem kritisierten Labor eingestellt und werde es "von Grund auf" neu aufbauen.
Auch wenn Holmes ernster TV-Auftritt gut ankam - inzwischen wundern sich viele Mediziner und Biotechnologen über die Blauäugigkeit, mit der Investoren wie die Stiftung des mexikanischen Telekom-Multimilliardärs Carlos Slim der jungen Frau jedes Versprechen abkauften.
Experten zweifeln die Theranos-Methode grundsätzlich an
Natürlich riskieren Geldgeber im Silicon Valley ständig Geld, wenn sie in Firmen mit ungeprüftem Geschäftsmodell investieren. Auf jede Erfolgsgeschichte wie Google oder Facebook kommen Dutzende Start-ups, die rasch wieder dichtmachen. Aber neun Milliarden Dollar sind selbst für die zum Enthusiasmus neigende amerikanische Tech-Szene eine steile Bewertung - die deutsche Biotech-Hoffnung Curevac, die an Krebsimpfstoffen forscht, ist nicht mal ein Fünftel davon wert.
Noch immer ist nicht sicher, ob sich Theranos am Ende als völliges Luftschloss erweist. Ihre Testmethode hält die Firma bis heute geheim, Holmes veröffentlichte nicht einmal Teilergebnisse in wissenschaftlichen Journals, wo unabhängige Experten sie hätten überprüfen können.
Inzwischen scheinen die Fortschritte von Theranos ziemlich zweifelhaft: Für 120 Diagnosen hat das Unternehmen die Zulassung seines Verfahrens bei der FDA beantragt, bislang ist Edison nur für einen einzigen Herpes-Test zugelassen.
Kein Wunder, schreibt Norman A. Paradis, Medizinprofessor am renommierten Dartmouth College, im Wissenschaftsmagazin "Scientific American". Der Edison-Test könne gar nicht das Gleiche leisten wie bisherige Verfahren. Im Blut der Fingerspitze sei die Konzentration bestimmter Moleküle eine andere als in den Venen.
Und der bereits zugelassene Herpes-Test? Bei dem, schreibt Paradis, müsse nur die Existenz von Erregern festgestellt werden, nicht aber deren Konzentration. Kurz: Die versprochene Medizin-Revolution sei mehr als fragwürdig.
Entscheidet die FDA gegen Holmes, muss sie binnen acht Tagen abtreten. Trotzdem halten ihre Investoren noch zu ihr: Nicht die Medien, sondern "der freie Markt und die wissenschaftliche Community werden über die Zukunft der Firma entscheiden", sagte Aufsichtsrat David Boies gerade in einem Interview.
Es ist fraglich, ob deren Urteil gnädiger ausfallen wird.
Zusammengefasst: Die Studienabbrecherin Elizabeth Holmes ist die jüngste Selfmademilliardärin der Welt. Ihre Firma, das Blutanalyse-Startup Theranos, wird von Investoren mit neun Milliarden Dollar bewertet und machte die 32-Jährige zum gefeierten Superstar des Silicon Valley. Doch nun könnte sich die revolutionäre Methode, die Holmes erfunden hat, als Luftnummer herausstellen. Mehrere US-Behörden ermitteln gegen Theranos, seiner Gründerin droht ein Berufsverbot.
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