Merkel fährt zu Erdogan: Das notwendige Übel

  12 Oktober 2015    Gelesen: 658
Merkel fährt zu Erdogan: Das notwendige Übel
Der türkische Präsident Erdogan steht nach dem Anschlag von Ankara schwer in der Kritik. Doch die Bundesregierung braucht wegen der Flüchtlingskrise weiter Kontakt zu ihm: Kanzlerin Merkel reist nun zu Gesprächen in die Türkei.

Als Themen nannte Regierungssprecher Steffen Seibert den Syrien-Krieg, die Flüchtlingskrise - und den Kampf gegen den Terror: Kanzlerin Merkel kommt am Sonntag in der Türkei mit Präsident Recep Tayyip Erdogan und Premier Ahmet Davutoglu zusammen. Auch um bilaterale Themen soll es in Ankara gehen.

Der Besuch der Kanzlerin findet rund zwei Wochen vor der Parlamentswahl in der Türkei am 1. November - und wenige Tage nach dem verheerenden Anschlag von Ankara statt. "Eine stabile Türkei ist in deutschem und auch in europäischem Interesse." Die Kanzlerin habe mit "großer Bestürzung" auf den Anschlag reagiert, sagte Seibert.

Bei einem Bombenattentat auf eine regierungskritische Demonstration waren am Samstag nach offiziellen Angaben fast 100 Menschen getötet und mehr als 500 weitere verletzt. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP gibt der Regierung und Erdogan eine Mitschuld.

Doch wegen der Flüchtlingskrise ist Erdogan nach wie vor ein wichtiger Gesprächspartner von Deutschland und der EU. Brüssel will die Türkei dazu bewegen, angesichts des anhaltenden Andrangs noch enger mit der EU zusammenzuarbeiten. Sie erhofft sich davon eine Begrenzung des Flüchtlingszustroms.

"Anschlag macht alles noch komplizierter"

Auch die CDU setzt bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise auf Erdogan - trotz seiner umstrittenen Rolle. "Wir haben viel Kritik an Herrn Erdogan. Er ist in vielem sicher nicht der Wunschgesprächspartner, den man sich erdenken kann. Aber ohne ihn wird eine Lösung nicht möglich sein", sagte CDU-Vize Armin Laschet. "Der Anschlag macht es alles noch komplizierter." In der Türkei lebten aber zwei Millionen Menschen in Flüchtlingslagern. "Denen eine Perspektive dort zu geben, wird nur mit Herrn Erdogan gelingen und deshalb müssen die Gespräche weitergehen", forderte Laschet.

Ähnlich äußerte sich auch EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU): "Wir brauchen die Türkei (...). Ohne die Türkei ist eine Bewältigung der Flüchtlingsströme kaum vorstellbar." Bis zur Parlamentswahl am 1. November werde Ankara aber mit Sicherheit nur eingeschränkt für Verhandlungen und Abstimmungen bereitstehen.

Merkel hatte sich vergangene Woche offen dafür gezeigt, mit der Türkei auch über Visa-Erleichterungen zu reden und dem Land den Status als sicheres Herkunftsland zu geben, wenn die Regierung in Ankara in der Flüchtlingsfrage kooperiere. Über die Türkei kommen derzeit die meisten Flüchtlinge in die EU. Der Status als sicheres Herkunftsland ermöglicht beschleunigte Asylverfahren für Antragsteller aus solchen Ländern.
Die Türkei als Schlüsselland

Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hofft, dass der schwere Anschlag in der Türkei nicht die Verhandlungen um eine engere Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik behindert. "Ich habe Verständnis dafür, (...) dass jetzt prioritär natürlich ermittelt werden muss", sagte der SPD-Politiker am Montag am Rande eines Treffens mit EU-Amtskollegen in Luxemburg. "Aber ich hoffe dennoch, dass die ermutigend begonnenen Gespräche mit der Türkei über eine gemeinsame Migrationspolitik möglich bleiben." Steinmeier bezeichnete die Türkei mit Blick auf Migration und Flüchtlinge als "das Schlüsselland für Europa".

Ganz anders äußerte sich Grünen-Chef Cem Özdemir. Er forderte die EU auf, Gespräche mit Erdogan auf Eis zu legen. "Wir dürfen bis zur Wahl am 1. November nichts tun, was als Stärkung von Erdogan verstanden werden könnte", sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dem mehr als 30 Tageszeitungen angehören. "Jedes Abkommen wäre ein Signal, dass Erdogan für uns ein normaler Gesprächspartner wäre. Das kann aber kein Staatschef sein, der den Tod seiner Bürger, Polizisten und Soldaten in Kauf nimmt."

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