Ich fahre ja mittlerweile gern und viel elektrisch. Der anfänglichen Depression eines Petrolheads im Angesicht des Gedankens, irgendwann keine Verbrenner mehr vorzufinden, ist die Erkenntnis gewichen, dass sich auch zylinderlos recht spaßig fahren lässt. Aber für den Moment lasse ich die neue Welt mal neue Welt sein und entere ein Gefährt, wie es nicht mehr klassisch sein könnte: nämlich den Mercedes E 450d 4Matic. Diesel, drei Liter Hubraum und Reihensechszylinder. Doch ganz ohne Elektroaggregat geht es auch hier nicht - ein kräftiger Kurbelwellenstarter unterstützt das 367 PS starke Selbstzünder-Ungetüm.
Und dann erwische ich mich selbst bei der Freude über eine Banalität, die man bei den elektrischen Antrieben schmerzlich vermisst: Traumreichweiten von 800 Kilometern und mehr schüttelt der Vierfuffzig locker aus dem Tank. Der Gedanke ist schon cool - einfach Strecke kloppen, Tankstelle anfahren und binnen fünf Minuten Energie für weitere 800 bis 1000 Kilometer ziehen. So schnell lässt sich ein Akku derzeit noch nicht nachladen.
Was das reine Fahren betrifft, wirkt dieser komplexe Diesel mit aufwendiger Abgasreinigung und Elektrifizierung dann doch ungehobelt im Vergleich. Moment, nein. Das kann man so natürlich nicht stehen lassen. Diesel sind hier grundsätzlich im Nachteil gegenüber Benzinern, allerdings haben sie längst aufgeholt. Aber die richtige Sahne-Laufkultur bietet kaum ein Selbstzünder in einer Businessklasse (im Gegensatz zur besser gedämmten Oberklasse), auch nicht beim Premiumanbieter.
Auch als Sechszylinder läuft der Hightech-Diesel kernig
Allerdings ist der Sechszylinder auch weit davon entfernt, in irgendeiner Form lästig zu sein. Sagen wir mal - er läuft kernig. Was die Fahrleistungen angeht, muss sich der E 450d-Besitzer jedenfalls keine Sorgen machen. Der Topdiesel verwandelt sie sonst gediegene E-Klasse in eine veritable Sportlimousine. Bei Bedarf geht es innerhalb von 4,8 Sekunden auf 100 km/h. Das ist verdammt hurtig und wirkt sich in Form von Druck im Kreuz aus. Und freilich geht es im Galopp auf 250 km/h (begrenzt).
Traktionsprobleme gibt es nicht, bei dieser Motorisierung ist der Allradantrieb gesetzt, was dem W214 die sperrige Bezeichnung "4Matic" beschert. Anfahrschwäche aus dem Stand? Gibt es im Vergleich zum elektrischen Antrieb schon ein bisschen. Weder Mildhybrid (hier mit der Potenz von 23 zusätzlichen PS) noch Turbo bringen es fertig, raue Drehmomentmengen - bis zu 750 Newtonmeter - gleich ab Start zur Verfügung zu stellen. Und so kommt der Punch verzögert, dann aber kommt er. Und er kommt zuverlässig, denn sogenanntes Derating (Leistungsabfall unter hoher Dauerbeanspruchung) kennt der Verbrenner schlicht nicht. Jedenfalls nicht im spürbaren Bereich.
Gut so, denn wie sollte ein Topdiesel in der oberen Mittelklasse schon eingesetzt werden? Natürlich lässt du ihn laufen auf freien Strecken. Und dann kann die (virtuelle) Tachonadel auf verkehrsarmen Abschnitten auch mal ein paar Minuten am Stück im oberen Drittel verharren. Und das bei richtig guter Effizienz. Wenn man überlegt, dass der Sechsender in der Praxis selbst dann kaum mehr als acht Liter je 100 Kilometer trinkt, wenn man massiv Gebrauch von seiner schieren Power macht - Chapeau! Und die Rede ist hier von wirklich forcierter Fahrt. Bei zurückhaltender Gangart kann sogar eine Fünf vor dem Komma stehen.
Als schneller Autobahnexpress ist der Diesel nach wie vor die erste Wahl, zumal nur selten Tankstopps nötig werden. Selbst ein leistungsstarker Benziner hätte hier Nachteile, geschweige denn ein batterieelektrischer Antrieb. In der Teillast und im städtischen Betrieb hingegen wünscht man sich manches Mal den elektrischen Antrieb zurück. Denn so sämig der Neungang-Wandler auch die Gänge wechselt, manchmal kann er sich eine klitzekleine Zugkraftunterbrechung eben doch nicht verkneifen.
Ein bisschen mehr Platz zu den Seiten hin dürfte es schon geben
Und sonst so in der E-Klasse? Im W214 hat sich die Mittelkonsole etwas breit gemacht, muss man sagen. Das schränkt den Raum für die Passagiere in der ersten Reihe etwas ein, vor allem stoßen die Knie gern mal an die Konsole. Jammern auf hohem Niveau ist das sicherlich, aber ein exklusives Segment sollte auch beim Platz Exklusivität bieten. Dafür entschädigt der beim Testwagen verbaute Beifahrermonitor, jedenfalls den Beifahrer, der ein bisschen klimpern darf. Und die langstreckentauglichen Sessel entschädigen sowieso, hier sitzt man schon ordentlich. Auf Wunsch betätigen sie sich auch als Masseur, das ist ganz lustig, aber nicht lebensnotwendig.
Ein bisschen ungewohnt ist die Selfie-Kamera, man fühlt sich beobachtet. Sie ist im Paket mit dem Beifahrerdisplay enthalten. Nur mal so für den Hinterkopf, wenn es an die Kreuzchen geht bei der Konfiguration. Kurzer Blick nach hinten. Beinfreiheit gibt es traditionell in akzeptablen, aber nicht überbordenden Dosen. Geht in Ordnung. Als Reiselimousine ist dieser souveräne Benz jedenfalls brauchbar, dafür sprechen nicht bloß 540 Liter Kofferraumvolumen.
Und der 2,1-Tonner fährt außerdem gediegen. Eine der wenigen verbliebenen Komfort-Offerten mit dem Schwerpunkt, schlechte Straßen etwas besser glattzubügeln als der Wettbewerb, dafür steht der Stern. Geht das nicht auf die Dynamik? Nö, längst vorbei die Zeiten, da es mit Mercedes eher steif durch Kehren geht. Rüstzeug gibt es jedenfalls für beide Disziplinen - auf der einen Seite bürgt die variable Luftfederung namens Airmatic für flauschiges Überrollen von maroden Fahrbahnen und auf der anderen Seite steht die Hinterachslenkung für zügiges und sicheres Umrunden kurvenreicher Passagen. Beide Features sind im Paket für etwas mehr als 3000 Euro Aufpreis zu haben und ergänzen sich gut.
Und dann wäre da noch das große Infotainment-Besteck, mit dem Mercedes am Wettbewerb vorbeigezogen ist. Das kann man ruhig mal so sagen. Denn kaum eine Marke baut derzeit Autos, mit denen man besser verbal kommunizieren kann. Das gilt sowohl für das Repertoire an Funktionen (die per Sprachsteuerung bedient werden können) als auch für das Mikrofon. Selbst unverständliches Genuschel deutet das System meist richtig. Head-up-Display und viel Monitorfläche ergänzen das Informationsangebot für den Passagier.
Dass die volle Bestückung mit USB-C-Anschlüssen allerdings mit knapp 400 Euro abgegolten werden muss, ist dann doch ein bisschen schwäbisch-kleinkariert. Aber hey, wer sagt, dass dieser Benz günstig ist? Sicher nicht, die Schwaben bitten mit schlappen 81.344 Euro zur Kasse. Wobei sich die im Konfigurator ermittelten Preise ganz schnell ändern können gemäß Mercedes' neuer Preisstrategie. Und das hier beim Testwagen gewählte "Verdesilber" (ist in Wirklichkeit ein markantes Grün) kostet noch mal einen Tausender extra.
Fazit: Wer einen feinen Autobahnexpress wünscht, wird mit dem Mercedes E 450d 4Matic sicherlich glücklich. Er besticht durch einen sparsamen wie souveränen Antrieb. Auch das Infotainment ist auf der Höhe. Vorn könnte die mit 4,95 Metern Außenlänge gesegnete Businessklasse einen Tick luftiger ausfallen. Dafür ist es den Schwaben gelungen, die E-Klasse mit ein paar Kniffen in die Neuzeit zu hieven und für andere Kulturkreise zu öffnen. Dazu gehören nicht zuletzt verspielte Gimmicks wie sternförmige LED-Rückleuchten oder die angesprochene Selfie-Kamera (in asiatischen Ländern der Renner). Ganz witzig ist, dass der Stuttgarter Routinen erlernen kann. Schaltet man an kühlen Tagen immer die Sitzheizung ein, tut es das Auto irgendwann von selbst. Am Ende bleibt die Businessklasse aber mit einem konservativen Touch und der Preis ist gesalzen. Isch halt an Benz.
Quelle: ntv.de
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