Deutsche Chemie soll Putins Raketenkrieg ermöglichen

  29 Januar 2025    Gelesen: 183
  Deutsche Chemie soll Putins Raketenkrieg ermöglichen

Ein belarussisches Unternehmen baut Mikrochips für russische Raketen – was nicht verwunderlich ist, da beide Länder Verbündete sind. Eine Investigativrecherche zeigt: Wichtige Komponenten dafür kommen aus Deutschland.

Auch nach bald drei Jahren Krieg ist Russland immer noch in der Lage, die Ukraine fast täglich mit Raketenangriffen zu überziehen. Dass das trotz zahlreicher Sanktionen immer noch möglich ist, liegt zum Teil auch an der Firma Integral aus Belarus. Das Unternehmen mit Sitz in Minsk baut Mikrochips, die in russischen Raketen wie Iskander oder Kalibr landen. Für die Herstellung dieser Chips wird unter anderem hochreine Salzsäure benötigt - und diese scheint ausgerechnet aus Deutschland zu kommen. Das legt eine Recherche des Belarusian Investigative Centers (BIC) nahe, das seine Dokumente mit ntv.de geteilt hat. Das BIC ist ein exilbelarussisches Medienunternehmen, das auf investigativen Journalismus, Faktencheck und Wirtschaftsanalysen spezialisiert ist.

Hochreiner Chlorwasserstoff, auch als Salzsäure bekannt, wird für die Herstellung von Mikrochips benötigt. Die Wacker Chemie AG in München zählt zu den wenigen Unternehmen weltweit, die diesen Stoff in höchster Reinheit herstellen. Seit der russischen Invasion in die Ukraine vor knapp drei Jahren ist die Einfuhr von Salzsäure nach Russland verboten. Die BIC-Recherche zeigt nun jedoch, dass dieses Embargo mit Hilfe eines Netzwerks von Lieferfirmen umgangen wird.

Russische Raketen auch von ausländischen Komponenten abhängig
Die westlichen Sanktionen zielen darauf ab, die russische Kriegsmaschinerie zu schwächen. Der Zugang zu den für die Herstellung von Raketen und Präzisionswaffen erforderlichen Technologien und Materialien soll erschwert werden. Trotzdem ist Russland nach ukrainischen Angaben aktuell in der Lage, 40 bis 50 Iskander-Raketen pro Monat zu produzieren. Das liegt unter anderem an der belarussischen Firma Integral.

Auf Fotos russischer Raketentrümmer ist das Logo der Firma deutlich auf eingebauten Chips zu erkennen. Zwischen März 2022 und Juni 2024 hat Integral über sechs Millionen Mikrochips im Wert von mehr als 130 Millionen US-Dollar nach Russland geliefert, wie Zolldaten zeigen, die dem BIC vorliegen. Das Geschäft ist äußerst lukrativ: Seit Kriegsbeginn haben sich die Einnahmen des Unternehmens vervielfacht. Für die Produktion ihrer Chips ist die belarussische Firma auch auf westliche Komponenten angewiesen - darunter hochreiner Chlorwasserstoff der Wacker Chemie AG.

Von Ratingen über Kasachstan und Russland nach Belarus

Eigentlich steht Integral als belarussisches Unternehmen, das dem Diktator Alexander Lukaschenko nahesteht, auf den europäischen Sanktionslisten. Dadurch ist der Export von Chemikalien nach Belarus erschwert – aber offenbar nicht unterbunden. Wie die Recherchen des BIC zeigen, wird der wertvolle Chlorwasserstoff über verschiedene Scheinfirmen weiterhin durch Belarus importiert. Dass die Chemikalie aus Deutschland kommt, wird dabei verschleiert.

Maßgeblich daran beteiligt zu sein scheint eine Firma aus dem nordrhein-westfälischen Ratingen: die UR SE CO (Ural Service Company) Handels GmbH & Co. KG. Sie liefert die von der Wacker Chemie in München hergestellte Salzsäure an ein Kleinunternehmen in Kasachstan, das laut kasachischem Handelsregister nur wenige Wochen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges 2022 gegründet wurde. Von Kasachstan geht der Chlorwasserstoff BIC-Recherchen zufolge über zwei russische Zwischenfirmen – OOO Siltron und OOO Elektrosnab – weiter zu Integral nach Belarus.

Vor dem Embargo gegen Belarus wurde bei Lieferungen der Salzsäure vom russischen Elektrosnab an das belarussische Integral Deutschland als Herstellungsort angegeben. Doch seit der Verschärfung der Sanktionen wird das kasachische Kleinunternehmen als Hersteller geführt. Das wirkt fragwürdig, da die Firma offiziell nur einen Mitarbeiter hat und außerdem reicht der Reinheitsgrad der Salzsäure, die in Kasachstan produziert wird, für die Herstellung von sensiblen Halbleiterscheiben nicht aus.

Hinzu kommt, dass in Lieferdokumenten der angeblichen kasachischen Säure, die durch die russische Zwischenfirma an Integral geliefert wird, der Markenname der Salzsäure mit SEMICOSIL HLC 5.5 angegeben wird. Und dieser Markenname ist von der Wacker Chemie patentiert. Übereinstimmungen bei Lieferdaten und -mengen deuten ebenfalls darauf hin, dass es sich vermutlich um Salzsäure aus Deutschland handelt.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, teilte die Wacker Chemie AG auf Nachfrage von ntv.de mit, dass der konkrete Verdacht intern geprüft werde und die Geschäftsbeziehungen zur UR SE CO GmbH bis auf Weiteres ausgesetzt seien. Das Unternehmen verpflichte seine Kunden vertraglich dazu, sich an bestehende Sanktionen zu halten, hieß es von Wacker. Bei UR SE CO habe es keine Bedenken gegeben, da die Firma in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sei, aus Deutschland stamme und auf keiner Sanktionsliste stehe.

Familiäre Bindungen

Hinter der Ratinger Firma UR SE CO steht der russische Staatsbürger Alexander Andrejewitsch Schdanow. Laut Firmenunterlagen sind er und die beiden anderen Gesellschafter unter derselben Adresse in einem Einfamilienhaus in Ratingen-Hösel gemeldet. Schdanow lebt seit den 90er Jahren in Nordrhein-Westfalen. UR SE CO handelt mit Chemikalien und laut Webseite gibt es eine Zweigstelle in Moskau. 2022 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von rund elf Millionen Euro und beschäftigte fünf Mitarbeiter. Vor Beginn des Krieges pflegte die UR SE CO auch offiziell Geschäftsbeziehungen nach Belarus, unter anderem zu Integral. Auf Anfrage von ntv.de teilte das Ratingener Unternehmen mit, dass es alle Geschäftsbeziehungen nach Belarus eingestellt habe und sich an geltende Gesetze halte.

Bemerkenswert ist zudem, dass die UR SE CO offenbar familiär mit dem Moskauer Unternehmen Siltron - einer von beiden russischen Zwischenfirmen, die die Salzsäure an Integral liefern - verbunden ist. Im November 2023 gewährte eine Person namens Alexander Alexandrowitsch Schdanow der Firma Siltron ein Darlehen, und im Januar 2025 wurde er Eigentümer von 90 Prozent der Firma. Einträge in der russischen Passdatenbank legen die Vermutung nahe, dass Alexander Schdanow aus Ratingen und Alexander Schdanow aus Moskau Vater und Sohn sind. Darauf deutet auch der Vatersname des jüngeren hin – Alexandrowitsch. In den sozialen Medien interagieren die Männer zudem mehrmals. Eine Anfrage von ntv.de an Alexander Schdanow junior in Moskau blieb bislang unbeantwortet.

Quelle: ntv.de


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