Überraschend kam die in nüchternem Börsendeutsch verkündete Ad-hoc-Mitteilung freilich nicht mehr. Nach dem teils emotionalen (Hummels junior) teils dilettantischen (Hummels senior) Verbalgeplänkel der vergangenen Woche hatte sich abgezeichnet, dass nach dem größten BVB-Talent Mario Götze (2013), dem besten Borussen-Stürmer Robert Lewandowski (2014) nun also auch der Wortführer des Dortmunder Klassenkampfs zu jenem Klub überlaufen möchte, gegen den er jahrelang verbal opponiert hatte – bei dem er allerdings auch einst zum Fußballprofi ausgebildet wurde. Hummels` Entscheidung gegen seinen Herzens- und für seinen Heimatverein ist eine Art logischer Tabubruch.
Titel und Familie schlagen BVB-Faktoren
Die Titelaussicht und die weichen Faktoren, wie sie BVB-Boss Hans-Joachim Watzke erstaunlich verständnisvoll genannt hatte, überzeugten den von seiner Frau Cathy, einer Münchnerin, "beratschlagten" Hummels letztlich mehr als der Umstand, dass in Dortmund unter Thomas Tuchel gerade wieder eine der aufregendsten Fußballmannschaften Europas heranzuwachsen scheint.
Aber auch wenn nach dem Erlöschen der "echten Liebe" nun wahlweise das Ende der Fußball-Romantik oder gar der Fußball-Bundesliga beklagt wird und Hummels` Facebook-Profil seitdem unflätige Abschiedswünsche aufgebrachter Fans zieren – der Poker fängt gerade erst an. Dass er mit einem Wechsel im Sommer endet, wie von Hummels erbeten, ist wahrscheinlich. Sicher ist es keineswegs. So schmerzhaft die Entscheidung von Mats Hummels für Borussia Dortmund ist: Bis auf Weiteres hält der BVB alle Trümpfe in der Hand. Eine Ausstiegsklausel im Kontrakt des Mannschaftskapitäns gibt es nicht. Ein Überblick über die möglichen Szenarien.
35 Millionen plus x: Borussia Dortmund wird seinen Kapitän gehen lassen – sofern das Schmerzensgeld stimmt. Ein Wechsel hängt laut BVB letztlich nur davon ab, "ob Bayern München Borussia Dortmund ein dem außerordentlichen fußballerischen und sonstigen Stellenwert des Spielers entsprechendes, äußerst werthaltiges Angebot unterbreiten wird". Heißt: Der BVB will sich dafür üppig entschädigen lassen, dass er durch den Verlust seines Kapitäns, Abwehrchefs, emotionalen Leaders und einzigen echten Weltmeisters an den Erzrivalen viel mehr verliert als die Bayern gewinnen. Wenn sich das Ende der Dortmunder Fußball-Romantik schon nicht verhindern lässt, soll es für die Münchner wenigstens richtig teuer werden.
Laut BVB-Boss Hans-Joachim Watzke müsse die Ablöse deutlich über Hummels` Marktwert liegen. Wurde zunächst über 30 Millionen Euro spekuliert, gelten inzwischen 40 Millionen Euro als BVB-Schmerzgrenze – was für einen Spieler ein Jahr vor Vertragsende eine opulente Summe wäre. Allerdings: Dass Hummels unbedingt im Sommer 2016 wechseln will, statt 2017 ablösefrei, deutet auf eine Absprache mit der BVB-Führung hin. Um der Borussia einen letzten Ehrendienst zu erweisen: in Form einer Ablöse von 35 Millionen Euro plus x.
Götze wird verrechnet: Schon bevor die Personalie Mats Hummels richtig Fahrt aufnahm, heizte ein möglicher Weltmeister-Wechsel zwischen FC Bayern und Borussia Dortmund die Gerüchteküche an. Seit Wochen wird darüber spekuliert, dass Mario Götze von der Münchner Ersatzbank zu seinem Heimatklub BVB zurückkehren könnte. Auch der Vertrag des Offensivspielers läuft 2017 aus. BVB-Boss Watzke hat die Tür für eine Rückkehr zuletzt mehr als einen Spaltbreit geöffnet. Was läge näher, als die beiden gegeneinander zu verrechnen? Bei einem Preis von 20 Millionen Euro für Götze würde der BVB immer noch einen netten Gewinn einstreichen, mit dem sich ein Hummels-Nachfolger finanzieren ließe. Die Münchner wiederum wären einen Edelreservisten los, für den sie keine rechte Verwendung zu haben scheinen, sie sollen auf einen Tauschdeal spekulieren. Laut "Süddeutscher Zeitung" (SZ) ist die vermeintliche Win-Win-Situation für den BVB aber keine. Dort strebe man vielmehr an, dass Götze 2017 ablösefrei nach Dortmund zurückkehrt. Allerdings: Vergangene Woche hatte die SZ BVB-Boss Watzke mit den Worten zitiert: "Um Mats werde ich kämpfen, wie ich noch nie um einen Spieler gekämpft habe." Darauf angesprochen sagte Watzke zu Wochenbeginn, er habe diesen Satz zwar überall gelesen – nur gesagt haben will er ihn nie.
Lewandowski (II): Beim BVB legen sie Wert auf die Feststellung, Hummels habe sich "absolut offen und korrekt verhalten". Das soll die BVB-Fans beruhigen, die Hummels am Samstag gegen den VfL Wolfsburg dennoch einen hitzigen Empfang bereiten dürften. Zum anderen sind Dortmunds Bosse darum bemüht, die Wogen zu glätten – einerseits wegen der Verdienste, die Hummels um den BVB in achteinhalb Jahren hat. Andererseits, weil Hummels ja auch in der nächsten Saison das BVB-Trikot tragen könnte. Dann nämlich, wenn sich die Borussia mit dem FC Bayern nicht auf eine angemessene Ablöse einigen kann und auf Vertragsverfüllung besteht, Robert Lewandowski lässt grüßen.
Mit der Bestätigung des Wechselwunsches sei "überhaupt nicht gesagt, dass Mats nicht im nächsten Jahr weiterhin in unserem Trikot spielt", wird Watzke in der SZ zitiert und bislang hat er die Echtheit dieses Zitats nicht abgestritten. In Dortmund wollen sie entweder das große Geld mit Hummels machen, oder im nächsten Jahr mit ihm noch einmal einen Angriff auf den FC Bayern in Jahr 1 nach Guardiola wagen. Im Fall Lewandowski zahlte sich die Dortmunder Widerborstigkeit aus, der Stürmer garantierte dem BVB die erneute Rückkehr in die Champions League und wurde sogar Torschützenkönig für den Verein, für den er gar nicht mehr spielen wollte. Bei Hummels scheint Watzke im Fall der Fälle auf eine ähnliche Reaktion zu hoffen, sagte er zu Wochenbeginn bei Sky: "Ich weiß zu 1000 Prozent, dass Mats kein Problem damit hätte, weiterhin für Borussia Dortmund zu spielen."
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