Schon trudeln Ratschläge zur Schadensbegrenzung ein: Jetzt müssten sich halt "alle demokratischen Kräfte" (Sigmar Gabriel) zusammenraufen, und die etablierten Parteien müssten nur "ordentlich arbeiten", dann werde der freundlich lächelnde, aber stramm rechte Norbert Hofer von den "Freiheitlichen" die Stichwahl in einem Monat verlieren und nicht als Bundespräsident in die Wiener Hofburg einziehen.
Man braucht schon viel Marillenschnaps, um daran zu glauben. Was, wenn genau solch routiniertes Abmoderieren Teil des Problems ist?
Die peinliche Wahrheit ist leider, dass heute niemand weiß, wie man den Aufstieg der Rechtspopulisten stoppen kann. Sie sind in nahezu allen westlichen Ländern im Aufwind, die Führungsmacht USA und neuerdings Deutschland eingeschlossen. Der Hannoveraner Mini-Gipfel am Montag war da sehr sprechend. Obama, Merkel, Hollande, Renzi, Cameron – die führenden Politiker der (linken und rechten) Mitte haben alle mit populären rechten Strömungen zu kämpfen. Und die Bilanz ist bitter.
Als die "Freiheitlichen" unter Jörg Haider im Jahr 2000 mit der konservativen ÖVP koalieren wollten, verhängte die EU unter deutscher Führung Strafmaßnahmen. Vom Trotz gegen die Sanktionen profitierte Haider.
In Dänemark und den Niederlanden wurde das Gegenteil versucht: Mitte-rechts-Regierungen ließen sich von rechts außen dulden und übernahmen sogar weite Teile von deren Agenda. Die Hoffnung, die Rechtspopulisten so klein halten zu können, trog. Sie hatten nun Einfluss ohne Verantwortung – und wuchsen weiter.
Was die Strategie der Anpassung mit den Etablierten macht, sieht man in Frankreich, in den USA und wiederum in Österreich: Sarkozy wollte Le Pen überflüssig machen – und zerstörte mit frivolen Auftritten ("die Banlieue kärchern") die konservative Partei. Die Republikaner übernahmen die Ideologie der Tea Party und haben nun Donald Trump nichts entgegenzusetzen. In Österreich schließlich wurde die abrupte Wende hin zu einer restriktiven Flüchtlingspolitik mit dem historischen Sieg jenes Gegners belohnt, dem man doch zuvorkommen wollte.
Wenn Boykottieren, Einbinden und Anpassen nichts bringen, was bleibt? Kann es sein, dass schon die Perspektive falsch ist – dass die Fixierung auf die andere Seite alles verhext?
Die Erosion der Mitte ist die eigentliche Gefahr für liberale Gesellschaften
Klammheimliche Berliner Genugtuung darüber, dass die Wiener Regierung für ihre Untreue zu Merkel bestraft wurde, ist voreilig. Auch in Deutschland zerbröselt die Mitte: Der Erfolg der AfD erzwingt einstmals undenkbare Bündnisse. Die werden dann mit bunten Etiketten wie "Kenia" beklebt wie jetzt Rot, Schwarz, Grün in Sachsen-Anhalt – ein fragiles, glanzloses Notbündnis. Merkel und Seehofer streiten über sinnlose Fragen wie die, ob Zuwanderung eine Obergrenze habe oder ob in Deutschland "Unrecht" herrsche. (Auflösung: Erste Frage: Ja, aber keiner kennt sie. Zweite: Nein.)
Kann man in Zeiten von Terrorismus, autoritärer Versuchung und Flüchtlingszustrom die Mitte (wieder-)gewinnen? Ein paar gute Vorsätze: Ohne Ressentiment von Identität und Heimat reden (was natürlich auch die Zugewanderten einschließt). Einem Autokraten wie Erdoğan klare Grenzen setzen, damit sich nicht der Eindruck festsetzt, wir seien erpressbar. Den Nationalstaat – die beste Schutzmacht der Schwachen und das bislang einzige Gehäuse der Demokratie – nicht gegen Europa ausspielen. Ohne moralische Überheblichkeit über Verantwortung in der globalisierten Welt streiten.
Zu lange hat das politische Zentrum auf die neue Rechte gestarrt. Die Erosion der Mitte ist die eigentliche Gefahr für die liberalen Gesellschaften des Westens.
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