Wie starb Osama bin Laden wirklich?

  02 Mai 2016    Gelesen: 1511
Wie starb Osama bin Laden wirklich?
Er ist ein Jahrzehnt lang der gesuchteste Mann der Welt, am 2. Mai 2011 endet die Hatz: US-Spezialkräfte erschießen in Abbottabad Osama bin Laden. Darüber, wie der Einsatz in Pakistan genau abläuft, gibt es bis heute Streit.
Die Jagd auf Osama bin Laden beginnt am 17. September 2001. Sechs Tage zuvor rasten zwei Flugzeuge in die Twin Towers des New Yorker World Trade Centers, ein weiteres in das Pentagon in Washington. Nach Tagen des Chaos` und des Schocks spricht US-Präsident George W. Bush aus, was alle als sicher ansahen: Al-Kaida-Chef Osama bin Laden ist "Hauptverdächtiger". Ob er den Terrorfürsten töten wolle? "Ich will Gerechtigkeit", sagt der Texaner. "Und es gibt ein altes Poster aus dem Westen, auf dem stand, ich erinnere mich, `Wanted – Dead or Alive`."

Tatsächlich sollte es fast zehn Jahre dauern, bis die USA ihren Staatsfeind Nummer eins erlegt hatten. Nach zehn Jahren des Anti-Terror-Kriegs in Afghanistan mit zehntausenden Toten und der lange Zeit erfolglosen Suche nach bin Laden geht das Leben des gebürtigen Saudis in den frühen Morgenstunden des 2. Mai 2011 zu Ende.

Das Foto aus dem Situation Room des Weißen Hauses ist berühmt geworden: US-Präsident Barack Obama, sein Vize Joe Biden und mehrere hochrangige Regierungsoffizielle verfolgen auf einem Bildschirm die "Operation Neptune`s Spear". Gebannt hält sich Außenministerin Hillary Clinton die Hand vor den Mund. Was sie sieht: Spezialkräfte der Navy Seals dringen in ein Anwesen im pakistanischen Abbottabad ein. Wie sie bin Laden töten, wird angeblich nicht gezeigt. "Geronimo E-KIA", bellt ein Kommandeur in Pakistan lediglich in sein Headset. "Geronimo" ist der Codename für bin Laden. "E-KIA" heißt: "Enemy killed in action" – der Feind wurde getötet.

Was ist genau geschehen? Als Barack Obama kurz darauf vor die Mikrofone tritt, beginnt er damit, die offizielle Version zu verbreiten. Und die ist alles andere als unumstritten. Es gibt die üblichen hanebüchenen Verschwörungstheorien, etwa jene, nach der bin Laden schon kurz nach 9/11 an einem Nieren- und Leberleiden gestorben sei. Sein Tod sei verschwiegen worden, um den Afghanistankrieg beginnen und fortsetzen zu können, so die Argumentation. Aber es gibt auch ernstzunehmende Gegenentwürfe zur Erzählung der Regierung.

Die bedeutendste stammt von dem US-Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh. Der US-Reporter deckte während des Vietnamkriegs Gräueltaten der US-Armee auf, war maßgeblich daran beteiligt, den Folterskandal von Abu Ghuraib bekannt zu machen. Er beruft sich auf weitgehend anonyme Quellen und kommt auf einige Unterschiede zur Fassung der Obama-Regierung. Für ihn spricht sein guter Name und in Teilen die Plausibilität seiner Angaben. Aber gesichert sind beide Versionen nicht. Die wesentlichen Unterschiede:

Woher wussten die USA, wo bin Laden steckt?

Das Weiße Haus sagt, CIA-Mitarbeiter hätten von Guantanamo-Häftlingen die Namen von Al-Kaida-Kurieren herausbekommen. Diese seien systematisch über Monate beschattet worden, bis sicher gewesen sei, dass sich bin Laden in dem Anwesen in Abbottabad befand. Hersh dagegen gibt an, ein hochrangiger Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdiensts habe dem CIA den Aufenthaltsort verraten – für eine fürstliche Belohnung von 25 Millionen Dollar und ein neues Leben in den USA als Gegenleistung. Fraglich ist, woher dieser Informant wissen sollte, wo bin Laden war. Aber das führt zum zweiten wesentlichen Unterschied zur Regierungslinie.

Versteckte sich bin Laden oder wurde er gefangen gehalten?

Nach Hershs Erzählung versteckte sich bin Laden nicht in Abbottabad, sondern war dort Gefangener der pakistanischen Regierung. Seit 2006 sei er eine Geisel gewesen, mit deren Hilfe Islamabad Zugeständnisse von Al-Kaida erpresste. Saudi-Arabien habe die Unterbringung finanziert. Diese Variante bestreiten die USA. Zum einen schmälert dies die Leistung des CIA bei der Ergreifung bin Ladens, der Informant wäre den USA ja sozusagen in die Arme gelaufen. Aber eine weitere Implikation, die Hersh formuliert, wäre den USA noch unangenehmer.

War Pakistan über "Operation Neptune`s Spear" informiert?

Angeblich, so Hersh, konfrontierte die US-Regierung Pakistan mit der Information, bin Laden werde in Abbottabad festgehalten. Islamabad räumte das demnach ein und bot den USA bin Laden an – im Gegenzug soll es Militärhilfen gegeben haben. Später sollen die Pakistaner darauf bestanden haben, dass es die USA so aussehen lassen, als haben sie bin Laden gefunden und bei einer Militäraktion getötet. Pakistanische Geheimdienstleute hätten der Operation dann den Boden bereitet – auf dem Anwesen des Strom abgeschaltet; das Radarsystem deaktiviert, um die Hubschrauber unbemerkt ins Einsatzgebiet fliegen zu lassen; am Vortag Anwohner dazu aufgerufen, sich zu gegebener Zeit in ihre Häuser zurückzuziehen.

Leisteten bin Laden und seine Leute Gegenwehr oder nicht?

Diese Frage schließt sich unweigerlich an. Wenn die Pakistaner bin Laden den Navy Seals überlassen haben, war die Gegenwehr höchstens inszeniert. Bewaffnete Gefolgsleute kann es in dieser Logik ebenso wenig gegeben haben wie einen Terrorfürsten, der selbst Widerstand leistete. Die USA vertreten dagegen die Geschichte: Unbemerkt landeten 23 Soldaten und ein Hund mit zwei Hubschraubern mit Stealth-Technologie auf dem Anwesen. Einer der beiden Helikopter stürzte aus geringer Höhe ab. Denn auf dem Anwesen hielten bin Ladens Getreue dagegen. Nach Feuergefechten stellten sie bin Laden. Da auch er eine AK-47 trug, erschossen ihn die Soldaten. Hatten sie überhaupt vor, ihn lebend zu fangen? In Büchern der beteiligten Navy Seals Matt Bissonnette und Chuck Pfarrer wird jeweils von Gefechten berichtet. Doch dass bin Laden seine Waffe nicht in der Hand hielt, gilt mittlerweile als erwiesen. Die beiden Seals stellen es an keiner Stelle ihrer Bücher so dar, dass sie bin Laden am Leben lassen wollten. Damit hätten die USA ja auch die Gefahr in Kauf genommen, dass Al-Kaida durch Geiselnahmen versuchen würde, Bin Laden freizupressen.

Was fanden die US-Kräfte auf dem Anwesen von Abbottabad?

Wenn bin Laden Gefangener war, muss die geheimdienstliche Ausbeute dessen, was auf dem Anwesen gefunden wurde, spärlich ausgefallen sein. Die USA gaben dagegen an, Hunderttausende Dokumente über Al-Kaida sichergestellt zu haben: Computer, Laufwerke, USB-Sticks, DVDs, CDs, Papiere. Der allergrößte Teil davon ist bis heute unter Verschluss. Hershs Angaben zufolge existieren die Dokumente überhaupt nicht. Die wenigen Veröffentlichungen seien gefälscht. Ihre vorgetäuschte Existenz soll demnach nur die These untermauern, bin Laden habe sich versteckt gehalten.

Was geschah mit bin Ladens Leiche?

Die USA bemühten sich nach der Meldung über den Tod bin Ladens, den Eindruck zu zerstreuen, Muslimen vor den Kopf zu stoßen. Sie gaben an, die Leiche bin Ladens mitgenommen zu haben. Nach der zweifelsfreien Feststellung seiner Identität habe man ihn muslimische Riten respektierend im Arabischen Meer bestattet. Hersh Variante klingt etwas martialischer: Der Körper des Terrorfürsten sei derart von Kugeln durchschrotet gewesen, dass er noch in Abbottabad zerfiel. Die Navy Seals nahmen die Teile mit, warfen unterwegs einige davon jedoch aus dem Hubschrauber. Den Rest versenkten sie ohne Weiteres im Meer. Ein solches Vorgehen wirkt allerdings etwas unmotiviert. Warum sollten die Soldaten die Trophäe ihrer Aktion derart achtlos behandeln? Dass es, nach beiden Varianten, keine sterblichen Überreste mehr gibt, facht die Fantasie mancher Verschwörungstheoretiker an. Es ist allerdings nachvollziehbar, dass die USA so handelten: Al-Kaida-Kämpfer hätten durch Geiselnahmen versuchen können, in den Besitz der Leiche zu kommen.

Sicher ist auch fünf Jahre nach dem Tod bin Ladens wenig. Dass es mittlerweile auch mehrere fiktionale Narrative gibt, hat den Nebel eher verdichtet. Mit "Zero Dark Thirty" sicherte sich die US-Regierung per offenherziger Mithilfe an dem Projekt der angesehenen Filmemacherin Kathryn Bigelow ihren Anteil an der Deutungshoheit. Auch andere Projekte wie das Buch "The Finish" des Erfolgsautors Mark Bowden unterstützte die Obama-Administration. Kein Wunder: Die Ergreifung bin Ladens war für den damals angeschlagenen Präsidenten ein gigantischer politischer Erfolg. Ein Jahr später wurde der Demokrat in seinem Amt bestätigt.

Quelle: n-tv.de

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