Jonathon Davey, 23 Jahre alt, geboren in Hampshire an der Südküste Englands, ist ein sportlicher Typ mit blondem Seitenscheitel. Er erzählt seine Geschichte im High 5 Hostel, einem urigen Fachwerkhaus in der Danziger Altstadt, das etwa 1300 Kilometer Luftweg von seiner Uni entfernt liegt. Davey sitzt an einem Holztisch, er telefoniert über Skype. Um ihn herum stehen fünf Doppelstockbetten, von den Postern an den Wänden blicken Mick Jagger und Kurt Cobain. Er sei gerade der einzige Mieter des Zimmers, sagt er. "Wintersaison, sehr angenehm."
Warum tut man sich das an?
Davey studiert Anthropologie im zweiten Semester, seit vergangenem September pendelt er zwischen England und Polen. Damit er mittwochs pünktlich um 10 Uhr im Hörsaal in London sitzt, steht er in Danzig morgens um 3.40 Uhr auf und nimmt den 4.30-Uhr-Zug Richtung Flughafen. Um 6 Uhr hebt der Flieger ab. Dieses Spiel wiederholt sich, Woche für Woche.
Warum, um Himmels willen, tut Jonathon Davey sich das an? Die Antwort ist einfach: Es geht ums Geld.
Wohnraum in London wird immer knapper, die Mietpreise für Studenten sind zwischen 2010 und 2013 um 25 Prozent gestiegen. An der University of London (UCL), zu der auch das Goldsmiths College gehört, kostet das günstigste Zimmer in einer Campusunterkunft monatlich 542,36 Pfund, rund 685 Euro. Doch etliche Studierende zahlen mehr, umgerechnet über tausend Euro, dazu kommen jedes Semester Tausende Pfund Studiengebühren.
Davey bekommt einen staatlichen Studienkredit, 9000 Pfund im Jahr, das entspricht rund 11.400 Euro. "Warum über die Hälfte davon für Miete verpulvern?", fragt er. Er findet, anderswo sei das Geld besser angelegt, in Reisen zum Beispiel. "Lernen fürs Leben" nennt er das. 74 Länder hat Davey schon besucht, sein Ziel ist es, alle 193 Staaten der Erde zu sehen, so viele wie möglich während des Studiums. Als er vergangenen Sommer mit dem Zug durch die Ukraine tourte und der Uni-Start in London bevorstand, fasste er einen Entschluss: Er werde keine Unsummen für ein Zimmer ausgeben, sondern das System überlisten.
Danzig bot das beste Gesamtpaket
In einem Hostel in Kiew setzte sich Davey vor den Laptop und recherchierte stundenlang, welche Städte für ihn zum Pendeln infrage kommen. Zurück in die englische Heimat, wo seine Mutter wohnt, wollte er nicht, er suchte eine andere, günstige Lösung, außerdem wünschte er sich das Leben in einer größeren Stadt. Also studierte er Flugrouten, Fahrpläne, verglich Hostelpreise in Prag, Riga, Vilnius. Weil Danzig das beste Gesamtpaket bot, kaufte Davey an einem Tag gleich 35 Flug- und Bustickets. Bei einer Billigfluglinie bekam er Frühbucherrabatt. Der Trip von London nach Danzig und zurück kostet ihn aktuell 35 Pfund, etwa 45 Euro. Zusammen mit Bus- und Bahnfahrten und Unterkunft im Hostel zahlt Davey für ein Semester in Polen etwa 2100 Pfund, 2660 Euro. Das ist rund die Hälfte des durchschnittlichen Zimmerpreises auf dem UCL-Campus.
Im Hostel in Danzig sei sein Bett reserviert, erzählt Davey, mit dem Eigentümer hat er einen Langzeitvertrag "zu speziellen Konditionen" ausgehandelt. Eine Nacht kostet 6,50 Euro, inklusive Bettwäsche, Frühstück und WLAN, in der Lobby kann er Xbox spielen. "So einen Deal würdest du in London nie bekommen", sagt er. Die drei Tage, die er in England ist, übernachtet er bei Bekannten in einer Studenten-WG, auf der Couch, umsonst.
Seine Freunde hielten Davey anfangs für verrückt, als er ihnen von seinem Plan erzählte. "Rechnet das doch mal durch", erwiderte er nur. Sein soziales Leben habe sich durch das Leben in Polen nicht verändert, er beschränke sich nach wie vor auf einige wenige Leute in England. In Danzig brauche er keine engen Kontakte, im Hostel lerne er doch genug Menschen kennen, sagt Davey. Jeden Tag könne er sich mit neuen Gästen unterhalten, die meisten sprächen Englisch, wollten "a fun time", schwärmt er.
Quelle : spiegel.de
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