Rheinmetall-Chef Armin Papperger schwärmt von einer "Epoche der Aufrüstung" in Europa und noch nie da gewesenen Wachstumsperspektiven für sein Unternehmen. Schon seit Beginn des Ukraine-Kriegs erfährt die hiesige Rüstungsindustrie einen Boom, den Donald Trump inzwischen massiv verstärkt. Der US-Präsident will die Ukraine nicht weiter mit Milliardenhilfen unterstützen. Nachdem es in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland eher ein Tabu war, in der Branche zu arbeiten, wird sie heute als ein immer attraktiverer Arbeitgeber wahrgenommen.
In der Produktion von Waffen, Munition und Kampffahrzeugen ist die Zahl der Beschäftigten hierzulande im Vergleich zu vor dem Ukraine-Krieg um 22 Prozent gestiegen, wie aus den jüngsten Daten der Arbeitsagentur hervorgeht. Im vergangenen September waren demnach insgesamt knapp 17.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in diesen Zweigen tätig. Dabei handelt es sich nur um einen Bruchteil der insgesamt für die Branche arbeitenden Angestellten. Das Wirtschaftsministerium zählte bereits vor Russlands vollständiger Invasion in der Ukraine rund 105.000 Beschäftigte in der Verteidigungsindustrie plus 282.000 Mitarbeiter in der Sicherheitsindustrie.
Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) kam vor zehn Jahren auf fast 136.000 direkt in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Beschäftigte plus mehr als 273.000 indirekte und induzierte Jobs und damit in Summe mehr als 400.000 Arbeitsplätze in Deutschland, die mit der Branche verbunden sind. Der Verband lässt die Zahlen zurzeit neu berechnen. "Im Moment ist die Dynamik wahnsinnig groß", sagt ein Sprecher im Gespräch mit ntv.de. Allein seit Jahresbeginn seien mehr als 60 Unternehmen dem Branchenverband beigetreten, der inzwischen mehr als 300 Mitglieder zählt.
Dazu gehören neben Rüstungskonzernen wie Rheinmetall oder Hensoldt auch Unternehmen wie beispielsweise die Telekom, EY, Mercedes, Getriebehersteller oder Lufthansa Technik. Die Rüstungsindustrie ist schwer in Zahlen zu fassen. Denn wo beginnt diese: beim Stahlkonzern, der eine Stahlwanne für ein Kampfschiff liefert, beim Wanderstiefel-Produzenten, der auch Kampfstiefel herstellt oder beim Waffenhersteller? Zählt ein Softwareanbieter, der auch die Bundeswehr bedient, als Rüstungsunternehmen?
Helfer bis Experten gesucht
In der Waffen-, Munitions- und Kampffahrzeugproduktion ist die Zahl der Jobs auf allen Qualifikationsniveaus gewachsen, von Helfern bis zu Experten. Letztere haben in der Waffen- und Munitionsherstellung am stärksten zugenommen (plus 23 Prozent), bei Kampffahrzeugen stieg dagegen die Anzahl der Helfer am stärksten (43 Prozent).
Auch die gemeldeten Arbeitsstellen haben in diesen Zweigen seit Kriegsbeginn zugenommen, die Summe liegt allerdings im niedrigen dreistelligen Bereich. Der Arbeitsagentur wird allerdings nur ein Teil der offenen Jobs gemeldet. Gerade im Hochtechnologiebereich dürften Unternehmen stärker auf anderen Wegen nach Mitarbeitern suchen, wie eine Sprecherin der Behörde ntv.de erklärt.
Bewerber suchen öfter im Rüstungsbereich
Nicht nur Arbeitgeber sind auf der Suche, auch Bewerber interessieren sich zunehmend für Rüstungsunternehmen, wie das Jobportal Indeed berichtet. Mit dem Lockern der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben Ende März hat sich dort die Zahl der Suchanfragen nach Begriffen und Unternehmen aus dem Verteidigungs- und Rüstungsbereich im Vergleich zu Anfang Februar gar verdreifacht. "Die geplanten Verteidigungsausgaben wirken wie ein Konjunkturpaket für die Rüstungsindustrie und dies erhöht auch die Arbeitgeberattraktivität", sagt Virginia Sondergeld, Ökonomin bei Indeed. "Verteidigungsunternehmen werden derzeit oft als Beschäftigungsalternative genannt, vor allem für Fachkräfte aus dem angeschlagenen Automotive-Bereich, deren Qualifikationen auch in der Rüstungsindustrie gefragt sind."
Rheinmetall beispielsweise hat bereits vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeitern des Automobilzulieferers Continental ein Übernahme-Angebot gemacht. Deutschlands größter Rüstungskonzern soll außerdem am kriselnden VW-Werk Osnabrück interessiert sein, die Kooperation der beiden Konzerne in der Fahrzeugproduktion könnte ausgeweitet werden.
Die Rüstungsbranche kann nicht nur Fachkräften der kriselnden Autoindustrie helfen, sondern die gesamte Konjunktur ankurbeln. "Wenn Europa die nächste Generation von Rüstungstechnologie und andere Waffen vor Ort entwickeln könnte, anstatt sie aus den USA zu kaufen, könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen zusätzlicher Verteidigungsausgaben weit über kurzfristige fiskalische Multiplikatoreffekte hinausgehen und das Wachstum mittelfristig ankurbeln", sagt etwa der Chef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, Moritz Schularick.
Überdurchschnittliche Gehälter
Rüstungsaktien verloren zwar angesichts der jüngsten Spekulationen über eine Waffenruhe in der Ukraine gerade wieder an Wert. Doch auch nach Ende des Kriegs ist mit höheren Verteidigungsausgaben zu rechnen als in der Vergangenheit. Zum einen dürften die EU-Mitgliedstaaten Trump bei seinen Forderungen danach entgegenkommen. Zum anderen sind die Europäer viel mehr auf eigene militärische Stärke angewiesen, wenn die USA unter Trump dem russischen Aggressor weniger Einhalt gebieten. Die EU will bis 2030 rund 800 Milliarden Euro in die Verteidigungsindustrie investieren.
Schon mit Beginn des Ukraine-Kriegs begann der Imagewandel der Rüstungsindustrie, wie BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien nur Wochen danach ntv.de sagte. Die Branche werde nun nicht mehr nur in Rüstungsexportfällen wahrgenommen, sondern "als Garant für eine verteidigungs- und abwehrbereite Bundeswehr". Vor Kurzem sagte Rüstungsrecruiterin Eva Brückner dem "Handelsblatt", sie erhalte deutlich mehr Bewerbungen. "Viele sehen jetzt, dass die Rüstungsindustrie nicht nur wichtig, sondern auch ein sicherer Arbeitgeber ist."
Als Arbeitgeber attraktiv machen die Unternehmen auch die vergleichsweise hohen Gehälter. Nicht nur der Branchenverband BDSV gibt den Durchschnittsverdienst als überdurchschnittlich an. Vom Jobportal Stepstone heißt es: "Das durchschnittliche Jahresgehalt bei einem deutschen Waffenhersteller liegt bei circa 68.000 Euro brutto, Mitarbeiter in leitenden Funktionen verdienen oft sechsstellig."
Trotzdem ist es laut Brückner schwer, das zusätzlich gebrauchte Personal zu finden: "Wir können froh sein, wenn wir einen Teil der benötigten Stellen besetzt kriegen." Die Hoffnungen der Recruiterin ruhen nun unter anderem ausgerechnet auf den USA. Trumps Kürzungspläne bei Forschungsgeldern könnten "dazu führen, dass Talente aus den USA nach Deutschland oder Europa wechseln".
Quelle: ntv.de
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