Die inzwischen leerstehende Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf war einst das geistige Zentrum der kontrakulturellen Bewegungen in der Weimarer Republik. Hier hielten Missionare der gleichnamigen islamischen religiösen Bewegung ihre Vorlesungen. Menschen verschiedener Ansichten und Konfessionen kamen hierher, um Antworten auf ihre philosophischen Fragen zu finden, denn nach dem Ersten Weltkrieg waren viele Europäer vom Christentum enttäuscht und suchten nach einem alternativen Glauben. Einer der ersten Besucher dieser Vorlesungen war der Schriftsteller Thomas Mann. Viele Besucher der Wilmersdorfer Moschee konvertierten am Ende zum Islam.
Nach der ersten muslimischen Migrationswelle nach Europa Anfang des 20. Jahrhunderts zeigten sowohl einfache Bürger als auch ganze Regierungen solcher Länder wie Großbritannien, Deutschland, Frankreich oder die Niederlande Interesse für den Islam, so „Foreign Policy“. Noch während des Ersten Weltkriegs hatten Frankreich und Großbritannien auf ihre Soldaten aus den afrikanischen Kolonien besonders geachtet, mit denen sie sehr rechneten: Sie wurden mit Halal-Lebensmitteln versorgt, während beispielsweise für jüdische Soldaten kein koscheres Essen vorgesehen war.
In der Friedenszeit hatten die nach Europa gekommenen Muslime Zugang zur Krankenversorgung und zur Sonderernährung. Es wurden viele Moscheen gebaut: Die säkulare Regierung Frankreichs gab dafür große Geldmengen aus, so „Foreign Policy“. Um die Große Pariser Moschee zu finanzieren, konnten die Behörden vom Fehlen eines Gesetzes über die Trennung von Kirche und Staat (1905) profitieren. Dabei ging es allerdings nicht um die Bemühungen um die Gunst der muslimischen Einwohner, sondern eher um das eher zynische Ziel, den reichen Besuchern der Moschee die ganze Stärke der Kolonialmacht Frankreich zu zeigen. Die Regierung behauptete, die Moschee müsste aus Dankbarkeit für die Soldaten aus den Kolonien gebaut werden, doch das wahre Ziel war nichts als Propaganda, sind zahlreiche Historiker überzeugt. Laut „Foreign Policy“ lebten die meisten Einwanderer aus Nordafrika weit weg von der Moschee und konnten sie nicht besuchen. Zudem entsprach der Gebetszeitplan nicht den Arbeitszeiten in den Fabriken, wo die Migranten arbeiteten. Und die hohen Preise im Restaurant und in der Badeeinrichtung bei der Moschee waren offenbar für die französische und die marokkanische Elite bestimmt.
Und diese interessierte sich tatsächlich für die islamische Welt. Europäische Intellektuelle und Aristokraten sahen darin eine neue philosophische Strömung, und die immer größere Zahl von Moscheen in der Alten Welt spielte dafür eine wichtige Rolle. So zeigte das Londoner Establishment großes Interesse für die Ahmadiyya-Moschee, die etwa 50 Kilometer von der britischen Hauptstadt entfernt lag.
Unter den Europäern, die damals zum Islam konvertiert waren, erwähnt „Foreign Policy“ beispielsweise den Iren Peer Rowland George Allanson-Winn, der als Baron Headley und Scheich Rahmatullah al-Farooq bekannt war. Es gab viele Briten, die seinem Beispiel folgten und Muslime wurden. In den 1920er-Jahren pilgerte Baron Headley nach Mekka, schrieb viele Werke über die Religion und prophezeite, der Islam würde auf dem britischen Boden gedeihen. Zu dieser Zeit konvertierte auch der Holländer Pieter van der Hoog zum Islam, Dermatologe und Gründer einer Kosmetikfirma, die immer noch besteht.
Der jüdische Philosoph Hugo Marcus hatte mehrere muslimische Lehrlinge und konvertierte Ende 1925 zum Islam. Er nahm den Namen Hamid an und wurde unter diesem Namen zu einer wichtigen Figur in den muslimischen Kreisen in Berlin. Er gehörte dem Verwaltungsrat der Ahmadiyya-Moschee an und schrieb viele Artikel für die „Moslemische Revue“. Damals philosophierte er über das Wesen des „neuen Menschen“ und behauptete, dass ein wichtiger Teil von diesem der muslimische Glaube wäre.
Ein anderer bekannter Jude — der Schriftsteller, Journalist und Diplomat Leopold Weiß — konvertierte zur selben Zeit zum Islam und nannte sich fortan Muhammad Asad. Er ist als Autor des Buchs „Der Weg nach Mekka“ und der klassischen Übersetzung des Korans ins Englische bekannt.
Das alles zeigt ganz deutlich, dass der Islam in Europa einst eine sehr wichtige Rolle spielte und dass es diesen Glauben nicht als ein Symbol der Terrorgefahr oder der Ungebildetheit wahrnahm. Und obwohl die europäischen Regierungen von der Loyalität der Muslime profitierten und sie teilweise besänftigten, kam das Interesse der einfachen Europäer für den Islam von innen, weil sie aus der grausamen Gegenwart weglaufen wollten und nach einer neuen Philosophie suchten. Und ausgerechnet dieses ungerechterweise in Vergessenheit geratene Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen dem Westen und dem Osten sollte uns helfen, zu begreifen, dass Muslime in Wahrheit durchaus berechtigt sind, mit den Europäern friedlich zu koexistieren, schlussfolgert „Foreign Policy“.
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