Die russische “Wagner-Einheit“ zieht in den Syrien-Krieg
Im März wurde im Städtchen Balaschicha bei Moskau ein Mann zu Grabe getragen. Ernsthafter Blick, ein heller Oberlippenbart, mehrere Orden – so sieht der Major Sergej Tschupow auf dem Trauerfoto aus. Auf seinem Grab liegen Kränze – von Kampfkameraden und Omon – der gefürchteten Sondereinheit der russischen Polizei. Nach der Militärschule in der Sowjetunion wurde er mit seiner Fallschirmjäger-Brigade nach Afghanistan geschickt. In den 90ern diente er bei Omon, unter anderem im Tschetschenien. In diesem Winter starb er mit 51 Jahren in der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus.
Offiziell werden Menschen wie Tschupow nicht von der Statistik der russischen Verluste in Syrien erfasst. Sie gehören nicht zur russischen Armee, sondern zu einer Einheit, die von den russischen Medien "Wagners private Sicherheitsfirma" getauft wurde. Sie kämpften und starben an der Seite syrischer Truppen. Offiziell sind seit dem Beginn der Operation nur sechs russische Soldaten ums Leben gekommen. Russische Medien vermuteten allerdings, dass auch mehrere Dutzend Kämpfer der Wagner-Einheit ums Leben gekommen sind. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür jedoch nicht.
"Wagner" ist der Deckname des 46-jährigen Oberstleutnants Dmitri Utkin. Er diente bei Spezialeinheiten des russischen Militärgeheimdienstes GRU und arbeitete später für eine private Sicherheitsfirma. 2013 kam er zum ersten Mal als Teil einer Einheit von über 250 russischen Kämpfern nach Syrien. Sie wurde von einer Firma namens Slavonic Corps Limited zusammengestellt, registriert in Hongkong. Die Einheit kämpfte auf der Seite der syrischen Armee, allerdings erfolglos. Nach rund einem Monat in Syrien kam sie zurück. Die Chefs der Firma wurden festgenommen und angeklagt – denn Söldnertum und private Armeen sind in Russland verboten.
Russische Orden für mysteriöse Uniformierte
Als "Wagner" tauchte Utkin – nun mit seiner eigenen Einheit – 2014 auf der Krim und im Krieg in der Ostukraine auf. Kämpfer und Kosaken im Gebiet Luhansk erzählten immer wieder über "Wagner-Leute", die angeblich nicht nur gegen die ukrainische Armee kämpften, sondern auch ungehorsame Rebellen-Kommandanten entwaffneten und beseitigten. Die Einheit trainierte in Südrussland – auf einem Übungsplatz im Dorf Molkino, wo auch eine Brigade der Spezialeinheit der Militärgeheimdienstes GRU stationiert ist. Es ist nicht das Einzige, was für die Nähe der Wagner-Einheit zur russischen Armee spricht. Die St.-Petersburger Zeitung "Fontanka" veröffentlichte Dokumente, die belegen, dass zwei russische Kämpfer, die im Winter 2015 bei der ukrainischen Stadt Debalzewe starben, mit staatlichen Orden ausgezeichnet wurden. Sie gehörten zur Wagner-Einheit. Auch ein in Syrien getöteter Kämpfer bekam einen Tapferkeitsorden. Seit dem vergangenen Jahr beteiligen sich Utkins Leute an den Kämpfen in Syrien. Sie agieren in einer Grauzone, denn offiziell gehören sie nicht zur Armee.
Nach dem Sturm von Palmyra veröffentlichte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Fotos, die angeblich in den Mobiltelefonen von getöteten russischen Kämpfern gefunden wurden. Die Bilder zeigen Männer in Militäruniform ohne Hoheitsabzeichen.
Für ihre Arbeit bekommen die Söldner knapp 3200 Euro im Monat. Im Fall des Todes bekommt die Familie eine Entschädigung von rund 40.000 Euro, erzählt Denis Korotkow, einer der wenigen russischen Journalisten, die über Wagner und seine Einheit schrieben. Er arbeitete lange bei der Polizei, bei privaten Sicherheitsberatungen und hat Quellen in der Umgebung der Wagner-Einheit. Nach seiner Schilderung seien es derzeit nicht gerade Elitesoldaten, die angeheuert werden. "Die Anforderungen sind gesunken", sagt er. "Das sind Männer, die schon mal einen Wehrdienst geleistet haben, nicht vorbestraft sind und keine Schulden haben." Das Geld werde bar ausgezahlt. Der Lohn ist für sie eine starke Motivation zu kämpfen und zu schweigen, denn das Thema bleibt in Russland heikel.
Russland hat genug Veteranen für heikle Einsätze
Zum einen ist völlig unklar, woher das viele Geld kommt. Es ist zu bezweifeln, dass die Hintermänner, die Kämpfer für die Ostukraine und Syrien anheuern, damit Profit machen. "Das ist keine klassische private Sicherheitsfirma", sagt Korotkow. Zum anderen ist das Ganze strafbar. Es gibt nur einige private Sicherheitsfirmen für die Überwachung von Schiffen oder der Öl- und Gasinfrastruktur in Krisenregionen. Trotzdem fehlen Gesetze, die Tätigkeit solcher Firmen regulieren würden. Vorschläge gab es, doch der Gesetzgebungsprozess kam nicht voran.
"Früher oder später wird so ein Gesetz verabschiedet werden", sagt der Sicherheitsexperte Iwan Konowalow. "Die Nachfrage für Dienste von privaten Sicherheitsfirmen wäre da. Es gibt eine Reihe von Ländern, die antiwestlich und prorussisch gestimmt ist." Wenn sich eine ausländische Regierung mit der Bitte um Militärberater an Russland wenden würde und der Einsatz für die Armee zu heikel sei, könne das über eine private Firma laufen, schildert er ein mögliches Szenario. Außerdem gebe es in Russland genug Veteranen und Männer mit professioneller militärischer Erfahrung, die gerne für eine solche Firma arbeiten würden.
Bis jetzt zeigt die Putin-Regierung jedoch wenig Interesse an solch einem Gesetz. Und das Beispiel der Wagner-Einheit zeigt, dass Moskau bereits jetzt keine gesetzliche Grundlage für die inoffizielle Einsätze in den ausländischen Grauzonen braucht.
Quelle: welt.de