Akten zum Freihandelsabkommen: Mysteriöse Lücken im TTIP-Raum

  13 Mai 2016    Gelesen: 792
Akten zum Freihandelsabkommen: Mysteriöse Lücken im TTIP-Raum
Der TTIP-Leseraum soll Abgeordneten Einblick in die umstrittenen Freihandelsgespräche geben. Nun räumt das Wirtschaftsministerium ein: Wann Dokumente dort landen müssen, ist nicht klar geregelt.
Keine Handys, keine Kopien, keine Begleitung: Wenn Bundestagsabgeordnete in einem speziellen Leseraum des Bundeswirtschaftsministeriums Unterlagen zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) einsehen wollen, müssen sie strenge Regeln befolgen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte den Raum bei der Eröffnung Ende Januar als "weiteren Schritt in Sachen Transparenz" bezeichnet.

Deutlich weniger klar geregelt als die Vorschriften für Abgeordnete ist jedoch, ab wann sie Dokumente im Leseraum zu Gesicht bekommen. Dabei handelt es sich zunächst um sogenannte konsolidierte Texte, in denen US-Regierung und EU-Kommission ihre Positionen nebeneinander stellen.
"Für die Erstellung eines konsolidierten Verhandlungstextes gibt es keine festen Kriterien", antwortete Wirtschaftsstaatssekretärin Brigitte Zypries (SPD) jetzt schriftlich auf Fragen der Grünen. Auf ihren Antrag hatte der Bundestag am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde über TTIP diskutiert.

Selbst wenn ein Text nach den nicht nachvollziehbaren Kriterien für konsolidiert erklärt wurde, landet er damit nicht automatisch im Leseraum. Nach Verständnis der Bundesregierung würden konsolidierte Texte dann zugänglich gemacht, "wenn diese von beiden Seiten, also EU-Kommission und US-Seite geprüft wurden", so Zypries. "Bevor dies der Fall ist, werden die Texte jeweils noch fachlich geprüft."

Mithilfe solch schwammiger Regelungen könnten besonders kritische Inhalte von TTIP möglichst lange zurückgehalten werden, befürchten Oppositionsvertreter schon länger. Tatsächlich scheint der Informationsfluss zwischen der EU-Kommission als Verhandlungsführerin und den Mitgliedsländern nicht reibungslos zu funktionieren.

So heißt es in einem Kommissionbericht vom 27. April, von 25 bis 30 angestrebten Vertragskapiteln lägen bislang "17 konsolidierte Texte auf dem Tisch". Einer entsprechenden Auflistung zufolge sind darunter auch Texte aus den Kapiteln Handelserleichterungen (Trade Remedies) und Finanzdienstleistungen (Financial Services).

Keiner der beiden Texte war laut einer Auflistung von Anfang Mai jedoch im Leseraum für die Bundestagsabgeordneten verfügbar. Zypries verwies auf Nachfrage zwar selbst auf den Kommissionsbericht, wonach es zu diesen Kapiteln "konsolidierte Texte geben soll". Jedoch: "Zu diesen beiden wurden bislang keine Texte von der Europäischen Kommission an die EU-Mitgliedstaaten übermittelt."

Motto: verstecken oder verschleppen?.

"Ob ein TTIP-Text in den Leseraum kommt oder nicht, wird offenbar völlig willkürlich entschieden", kritisiert die Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge. "Klare Kriterien gibt es nicht, und die Bundesregierung nimmt das komplett desinteressiert hin." Das Motto von deutscher Regierung und EU-Kommission laute offenbar "verstecken oder verschleppen".

Der Widerstand gegen TTIP hatte kürzlich neue Nahrung bekommen, als die Umweltschutzorganisation Greenpeace einen Teil der Verhandlungsunterlagen veröffentlichte. Daraus geht unter anderem hervor, dass die USA sich weiterhin gegen höhere europäische Verbraucherschutzstandards wie das sogenannte Vorsorgeprinzip wehren. In manchen Bereichen gilt der US-Verbraucherschutz jedoch als strenger, etwa bei Finanzdienstleistungen. Hier könnte also auch europäischer Widerstand der Grund dafür sein, dass es das entsprechende Kapitel bislang nicht bis zu den Bundestagsabgeordneten geschafft hat.

Deutsche Minister scheinen sich persönlich bislang nicht in den Leseraum verirrt zu haben. Zypries erklärte auf eine entsprechende Frage, der Raum werde "von allen Bundesressorts je nach fachlicher Betroffenheit auf Fachebene frequentiert". Ihr Chef Gabriel hatte sich im Bundestag zuletzt selbst betont TTIP-kritisch gezeigt. "TTIP, so wie es sich die Amerikaner vorstellen, darf und wird es nicht geben", sagte er.
Beim parallel mit Kanada ausgehandelten Freihandelsabkommen Ceta macht Gabriel jedoch Druck. In einem von Greenpeace veröffentlichten Schreiben dringt das Wirtschaftsministerium darauf, Ceta bei einem Treffen der EU-Außen- und Handelsminister am Freitag ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Dabei solle auch betont werden, dass es sich bei Ceta um ein sogenanntes gemischtes Abkommen handelt. Einem solchen müssten die nationalen Parlamente erst zustimmen. Jedoch könnten Teile des Abkommens vorläufig angewandt werden, die allein in die Zuständigkeit der EU fallen.

Dazu könnten auch die besonders umstrittenen Schiedsgerichte zählen, warnt Greenpeace. In Nachverhandlungen hatten sich Kanada und EU zwar auf einen Investitionsgerichtshof geeinigt, der für mehr Transparenz als die bisherigen Verfahren sorgen soll. Kritiker halten das System von einseitigen Investorenschutzlagen gegen Regierungen aber weiterhin für undemokratisch.

Quelle: spiegel.de

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