Ukraine gewinnt ESC mit Lied über Vertreibung

  15 Mai 2016    Gelesen: 600
Ukraine gewinnt ESC mit Lied über Vertreibung
Der Sieg der von Russland kritisierten Krimtartarin Jamala gibt dem Gesangswettbewerb politisches Gewicht. Deutschland landete wie im Vorjahr auf dem letzten Platz.
Mit ihrem nachdenklichen Lied "1944" hat die Ukrainerin Jamala den Eurovision Song Contest 2016 gewonnen. Die 32-jährige Popsängerin überholte die lange Zeit in Führung liegende Australierin Dami Im am Samstagabend in letzter Sekunde. Auf Platz drei landete Russland. Deutschland holte in Stockholm mit dem Lied "Ghost" von Jamie-Lee Kriewitz lediglich elf Punkte und kam auf den letzten Platz – wie schon im Vorjahr Ann Sophies mit "Black Smoke".

Im Stockholmer Popfest stach Jamalas Lied heraus: Sie sang über die Deportation der Krimtataren, zu denen auch ihre Großmutter gehörte, aus ihrer Heimatregion durch Josef Stalin im Jahr 1944. Damals wurden die Krimtataren in völlig überfüllten Zügen nach Zentralasien abgeschoben. Tausende starben bei der Fahrt oder verhungerten nach der Ankunft in der dürren Steppe. Den Krimtataren wurde bis in die 1980er Jahre hinein nicht erlaubt, auf die Krim zurückzukehren. Jamala selbst, die bürgerlich Susana Jamaladinova heißt, wurde in Kirgistan geboren.

Ukraine - Brisanter Beitrag für den European Song Contest
Die 32-jährige Sängerin Jamala tritt beim European Song Contest für die Ukraine mit dem selbstkomponierten Lied „1944“ an. Darin beschreibt die Krimtartarin die Deportation ihrer Vorfahren unter stalinistischer Herrschaft.

Dass solch ein Lied den Gesangswettbewerb gewinnt, gibt dem ESC auch eine politische Dimension. Russlands Annexion der Krim 2014 wird in dem Lied nicht erwähnt. Doch durch den Sieg Jamalas könnte dieses Thema aber wieder stärker in den öffentlichen Fokus rücken. Die Krimtataren, die eine turksprachige, überwiegend muslimische Minderheit darstellen, berichten davon, dass ihre Unterdrückung seit der russischen Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel zugenommen habe.

Russland wollte ukrainischen Beitrag verhindern

Russland hatte der Ukraine vorgeworfen, mit dem Beitrag zu politisieren und den ESC aufgefordert das Lied zu sperren. Die Organisation entschied, dass es nicht gegen die Regeln des Wettbewerbs verstößt. Politische Lieder sind beim ESC nicht zugelassen, Jamalas Lied beruhe jedoch auf einer persönlichen Geschichte.

Die 32-jährige Popsängerin überholte die lange Zeit in Führung liegende Australierin Dami Im am Samstagabend in nahezu allerletzter Sekunde. Auf Platz drei landete Russland. Deutschland holte in Stockholm mit dem Lied "Ghost" von Jamie-Lee Kriewitz lediglich elf Punkte und kam auf den letzten Platz – wie schon im Vorjahr Ann Sophies mit "Black Smoke". Erstmals wurden in diesem Jahr die Punkte von Jury und Publikum getrennt vergeben. Die 18-Jährige bekam zehn Punkte von den Zuschauern und einen Punkt von der Jury Georgiens.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko schrieb noch in der Nacht zum Sonntag auf Twitter: "JA!!! Unglaublicher Auftritt und Sieg! Die ganze Ukraine dankt dir von Herzen, Jamala!" Regierungschef Wladimir Groisman kommentierte: "Bravo, Jamala ist die Beste! Ich gratuliere sehr zum Sieg! Ruhm der Ukraine!"

Lob kam auch vom Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko. "Jamala, du bist ein Prachtkerl! Ich habe an dich geglaubt. Dass die Ukraine mit deiner Stimme erfolgreich erklingt. Denn du bist echt", schrieb der Ex-Boxer. Außenminister Pawel Klimkin betonte: "Die Wahrheit gewinnt immer, wie Jamala und die Ukraine heute Nacht. Gratulation und vielen Dank. Und nicht vergessen, die Krim gehört zur Ukraine."
Australien klinkt sich ein, USA schauen zu

Die Ukraine, Australien und Russland zählten neben Frankreich und Gastgeber Schweden zu den Favoriten in diesem Jahr. Zum zweiten Mal in Serie durfte Australien an dem Gesangswettbewerb teilnehmen, weil es in Down Under eine besonders große ESC-Fangemeinde gibt. Viele der geschätzt 200 Millionen Zuschauer schalten dort ein. In diesem Jahr übertrug auch ein US-Sender erstmals live das ESC-Finale. US-Sänger Justin Timberlake trat außer Konkurrenz auf, wünschte den Teilnehmern viel Glück und sang unter anderem seinen neuen Hit "Can`t Stop The Feeling".

Der Wettbewerb sei 1956 geschaffen worden, um einen nach dem Krieg zerrissenen Kontinent zu einen, betonte Moderator und Vorjahressieger Måns Zelmerlöw zum Auftakt der Finalshow. Moderatorin Petra Mede – die bereits 2013 in Malmö moderierte – ergänzte, wenigstens einmal im Jahr schaffe Europa eine völkerverbindende Show über die Musik.

Mede und Zelmerlöw führten humorvoll und selbstironisch durch die Show, gaben während der Zuschauerabstimmung unter anderem einen Klischee-Grand-Prix-Lied zum Besten ("Love Love Peace Peace"), das auf allerhand frühere Teilnehmer und Sieger wie etwa die finnischen Hard-Rock-Monster Lordi von 2006 anspielte oder die russische Oma-Truppe Buranowskije Babuschki (Großmütter aus Buranowo) von 2012.

Die "The Voice of Germany"-Siegerin Jamie Lee trat in einem blauen fantasievollen Manga-Outfit-Kleid mit Kopfschmuck und Waldbühnenbild auf. Die 18-Jährige war Ende Februar beim deutschen Vorentscheid gekürt worden. Ursprünglich hatte der bei der ARD zuständige NDR Xavier Naidoo schicken wollen, dessen Nominierung als einzigen Kandidaten aber wieder kassiert, als Proteste gegen einige politische Äußerungen des Sängers ("Dieser Weg") laut geworden waren.

Vergangenes Jahr in Wien hatte der smarte Måns Zelmerlöw ("Heroes") gesiegt, 2015 die bärtige Dragqueen Conchita Wurst für Österreich ("Rise Like A Phoenix"). Deutschland hat bislang zweimal gewonnen, 1982 mit Nicole ("Ein bißchen Frieden") und 2010 mit Lena ("Satellite"). Mit dem Sieg ist kein Geld, sondern nur eine Trophäe und die ESC-Austragung im Folgejahr verbunden.

Nach dem Sieg von Jamala wird der nächste ESC 2017 in ihrem Heimatland stattfinden – in dem nach wie vor der Ukraine-Konflikt schwelt.



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