Let`s have fun in Kurdistan

  23 Mai 2016    Gelesen: 1165
Let`s have fun in Kurdistan
Der IS ist nah. Doch in Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion, kann man das schnell vergessen – besonders bei einem Besuch im Vergnügungspark.
Shivaz sitzt in einem Karussell, das treffend "Playball" getauft wurde. Die 16-Jährige dreht sich so schnell, dass ihr Gesicht verschwimmt. Auch ihre Silhouette ist schwer zu erkennen. Mal ist sie nah, dann wieder ein Dutzend Meter entfernt. Mal blitzt sie in rotem, mal grünem, mal blauem Licht auf.

Durchgerüttelt wie eine Flipperkugel steigt sie ein paar Minuten später aus und kichert, während sie einen Fuß vorsichtig vor den anderen setzt. "Ich kann doch nicht die ganze Zeit an meine Klausuren denken", sagt sie. "Ich muss mich ablenken!"

Ablenken von Klausuren? Nicht vom Islamischen Staat (IS)?

Shivaz verbringt diesen Abend nicht in irgendeinem Vergnügungspark, sondern im "Family Fun Park" in Erbil. Erbil im Norden des Irak. Vor anderthalb Jahren stürmten die Männer des IS bis auf 40 Kilometer an die Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion heran. Nach Makhmur, wo heute die Front verläuft, sind es Luftlinie rund 60 Kilometer, zur IS-Hochburg Mossul weniger als 100.

Wer die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes für die Region liest, kann sich kaum vorstellen, dass Gedanken an die Terrormiliz hier nicht vollends den Alltag überlagern. "Die Sicherheitslage ist aufgrund der Nähe zum IS-kontrollierten Gebiet angespannt", heißt es. "Wegen der anhaltend erhöhten Gefahr von Terroranschlägen wird von nicht notwendigen Reisen in die Region abgeraten."

Als der IS 2014 für viele überraschend in Syrien und im Irak erstarkte, türmten etliche Investoren aus der Region Kurdistan. Sie hinterließen unvollendete Bauprojekte, die in Erbil in Form gewaltiger Beton- und Stahlgerippe bis heute Zeugnisse jener Panik sind. Auch viele Bürger packten ihre Sachen und waren bereit, jederzeit zu fliehen. Doch die Stimmung hat sich verändert.

"Ich habe keine Angst vorm IS", sagt Shivaz. "Ich lebe mein Leben so wie immer." Und da sie Englischlehrerin werden möchte, denke sie nun mal vor allem an ihre Examen. "Manchmal mache ich mir ein bisschen Sorgen um unsere Peschmerga", fügt sie hinzu.

Die Peschmerga sind die offiziellen Streitkräfte der kurdischen Autonomieregion. Nach Angaben der deutschen Bundeswehr gibt es 14 Brigaden und rund 40.000 Kämpfer. Bei anderen Quellen sind die Zahlen mitunter deutlich höher, gehen in die Hunderttausende. Sie sind ein Grund dafür, dass Gedanken an den IS den Alltag der Kurden nicht vollends vereinnahmen.

Es gibt Eis - ohne Beigeschmack

Mahmoud Abdul Salam verschwindet beinahe zwischen Frucht-Shake-Mixern, Eiswaffeln und Soft-Drink-Dosen. "Ich arbeite schon eine Weile hier", sagt der 21-Jährige, der an einem Stand im "Family Fun Park" arbeitet. "Die Leute wirken wieder genauso gut gelaunt wie vor dem Erstarken des IS", sagt er. "Hier in Kurdistan sind wir ganz schön privilegiert." Salam lässt den Blick über das bunte Areal schweifen, das ihn umgibt. Er sieht das glitzernde Riesenrad und die Go-Kart-Piste, Teenager und junge Familien.

Die Sonne verschwindet allmählich hinter dem Horizont und mit abnehmender Hitze strömen immer mehr Menschen auf die Anlage. Darunter sind auch viele, die aus Städten wie Anbar geflohen sind, Städte, die der IS überrannt hat. Auch Flüchtlinge aus Bagdad sind dabei.

Während die irakische Zentralregierung und ihre Sicherheitskräfte dem tödlichen Treiben des IS kaum Einhalt gebieten können und in Bagdad Terroranschläge zum Alltag gehören, kam es in Erbil nur zu zwei Vorfällen. Im November 2014 tötete ein Selbstmordattentäter mehrere Menschen im Stadtzentrum. Im April 2015 schlug ein weiterer im christlichen Viertel Ankawa zu. Auch damals gab es Tote und Verletzte. Doch seither passierte nichts mehr.

Journalisten sprechen von einem Überwachungsstaat

Genau genommen sind es nicht nur kurdischen Peschmerga, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Menschen in Erbil so sicher fühlen. Es gibt die Zeravani, Spezialeinheiten der Peschmerga, die irgendwo zwischen Armee und Polizei einzustufen sind. Es gibt Anti-Terror-Einheiten, die Militärkräfte des Kurdistan Army Command (FLK) - so viele Truppen, dass zumindest für Außenstehende nicht ganz klar ist, wie sie sich voneinander abgrenzen. Hinzu kommt der Geheimdienst Asayîş, mit dem wohl jeder, der sich in Erbil bewegt, bewusst oder unbewusst in Berührung kommt.

Auch der kurdische Journalist Hunar Hassan fühlt sich angesichts dieser geballten Militär- und Polizeimacht ziemlich sicher vor dem IS. So sicher, dass ihm die Präsenz der Sicherheitsdienste aber auch schon wieder zu weit geht. "Es gibt fünf Millionen Kurden im Norden des Iraks", sagt Hassan. "Eine Millionen sind irgendwie mit dem Militär- und Polizeiapparat verbunden." Für Hassan hat das nichts mehr mit innerer Sicherheit zu tun. "Viele der Einheiten sind doch nicht dafür da, das Volk zu beschützen. Sie sind dafür da, die beiden großen Parteien in Kurdistan vor dem Volk zu schützen."

Die meisten der Einheiten stehen entweder der PDK oder der PUK nahe. Hinter diesen Parteien stehen die beiden einflussreichsten Familien im irakischen Kurdistan, die Barzanis und die Talabanis. Die liegen seit Jahrzehnten im Clinch. Rüstet die eine Seite auf, zieht die andere nach. Mitte der 1990er-Jahre kam es gar zu einem Bürgerkrieg. Heute geht die Rivalität immer noch so weit, dass die internationalen Militärausbilder ihre Trainings für die Peschmerga gerecht auf die Einheiten der beiden Parteien verteilen müssen - effektive Terrorabwehr also auch ein Nebeneffekt von Clan-Rivalitäten?

Von der Front aufs Plastikauto

Das perfekte Beispiel für die Omnipräsenz der Sicherheitsdienste fährt gerade auf einem orangefarbenen Auto mit Pedalantrieb vorbei. Lazgin Taher ist 30 Jahre alt. Normalerweise kämpft er in der Nähe von Mossul gegen den IS. Jetzt hat der Peschmerga ein paar Tage Fronturlaub. Mit an Bord seines Riesentretautos hat er seine beiden Töchter, die keinen Hunger mehr auf ihre Lamm-Sandwiches haben und sie genüsslich in die Plastiksitze schmieren.

Anders als der Journalist Hassan, der Kurdistan wie eine DDR light aussehen lässt, verliert Taher kein kritisches Wort über den gewaltigen Sicherheitsapparat.

Taher unterscheidet sich von den anderen Gästen des "Family Fun Parks". Er nimmt die Gefahr durch den IS anders wahr, wohl auch, weil sie ihm normalerweise tagtäglich an der Front vor Augen geführt wird. Selbst während seines Fronturlaubs ist sie ihm näher als den anderen. Er stehe in ständigem Kontakt zu seinen Kameraden, sagt er. "Wir sagen unseren Familien immer: Alles wird gut, aber ich bin jederzeit bereit, mich auf den Weg zu machen, wenn ich gebraucht werde."

Genießen kann Taher den Abend trotzdem. Nur gibt er als Grund nicht an, dass ihm die Fahrt mit dem Plastikauto besonderen Spaß bereitet. Auch die Aussicht auf eine Runde im Playball-Karussell, in dem schon wieder kichernde Mädchen durchgerüttelt werden, nennt er nicht. Taher sagt: "Ich fühle mich großartig, dass ich hier mit meinen Kindern spielen kann. Dafür kämpfen wir doch."

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