Japan spekuliert dieser Tage, denkt sich Szenarien aus, und überlegt, was diese bedeuten könnten: Wäre es klug für den US-Präsidenten, im Namen seiner Nation für die Atombombenabwürfe im August 1945 über Hiroshima und Nagasaki um Entschuldigung zu bitten? Kann der Besuch wirklich Fortschritte in den zähen Verhandlungen über die atomare Abrüstung erzwingen, wo gerade Japan als Nicht-Atommacht, aber US-Verbündeter, eine schizophrene Haltung dazu hat? Und was würde ein Zeichen amerikanischer Reue für die japanische Gesellschaft bedeuten?
Dass Barack Obama unmittelbar nach dem G7-Gipfel in der Präfektur Mie gen Westen nach Hiroshima reist, ist in Japan eine politische Sensation. Zeitungen machen seit Tagen mit dem Thema auf, im Fernsehen diskutieren sogar Comedians darüber. Nicht wenige sehen in Obamas Besuch einen Sieg des japanischen Pazifismus, der sich seit 1945 auch trotz der Politik durch Premierminister Shinzo Abe noch bewahre – die geprägt ist von militärischer Aufrüstung und einer Neuinterpretation der bisher klar kriegsverneinenden Verfassung. Es ist schwer, heute einen Japaner zu finden, der nicht über Obamas Besuch spricht. Das Land, das Ende des Zweiten Weltkriegs als bis heute einzige Nation militärisch durch Atombomben angegriffen wurde, scheint zutiefst bewegt.
Wie tief aber genau? Eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr zeigte jedenfalls, dass die Mehrheit der Schüler aus Hiroshima und Nagasaki nicht weiß, an welchen Tagen die Atombomben fielen. In anderen Landesteilen sind junge Menschen im Schnitt noch schlechter informiert. Ähnlich sieht es aus, was die Gräuel des eigenen Militärs im Ausland angeht: Japan vergisst so langsam, und das ohne die eigene Geschichte jemals so richtig aufgearbeitet zu haben. So ruft der derzeitige Medienhype um den Obama-Besuch ein Geschichtskapitel ins Gedächtnis, das zumindest die jüngeren Japaner immer seltener im Kopf haben.
Ansonsten wird gegen dieses Vergessen wenig getan. "Davon, dass Japan vor dem Abwurf der Atombomben einen Aggressionskrieg in ganz Asien führte, erfuhr ich erst in einem Manga (japanischer Comic), das ich privat las", sagt Yui Mukoji, eine 22-jährige Politikstudentin aus Hiroshima. Bei gelegentlichen politischen Diskussionen daheim sahen ihre Eltern immerzu Japan auf der Opferseite. Das entspricht dem Schulunterricht, dessen Geschichtsbücher kaum die japanische Kriegsschuld thematisieren. Im vergangenen Jahr führte die Regierung zudem eine Regel ein, die Schüler und Lehrer davon abhalten soll, in der Schule politisch aktiv zu sein. Was offiziell als Versuch zählt, einen ideologisch ungefärbten Unterricht zu leisten, sieht tatsächlich eher danach aus, als wollte man den Nachwuchs zu unpolitischen Menschen erziehen.
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