Unterricht in Ruinen - DEUTSCHLAND

  17 September 2015    Gelesen: 1034
Unterricht in Ruinen - DEUTSCHLAND
Quer durch Deutschland verfallen Schulen, werden gerade so weit instand gesetzt, dass sie noch den Brandschutzbestimmungen entsprechen. Mehr nicht. Quer durch Deutschland haben sich Eltern und Schüler daran gewöhnt, dass Kommunen nur eingreifen, wenn Eltern lautstark protestieren, die Lokalpresse berichtet oder die Schließung einer Schule droht.

Würde man die Deutschen ganz allgemein fragen, wie es um ihr Land bestellt ist, würde eine große Mehrheit sagen: ganz gut. Es gibt natürlich Probleme. Aber im Grunde funktioniert alles. Mit Blick auf die Schulen muss man aber sagen: stimmt nicht. Dort, wo die Grundlage für den Wohlstand von morgen gelegt wird, gleicht Deutschland einer Bildungsbaracke. Es herrscht ein Investitionsstau, der so groß ist wie beim Straßenbau. Aber Schlaglöcher bekommen eben mehr Aufmerksamkeit.

Wie sieht es in den Schulen Ihrer Kinder aus? Rund 3.000 Eltern haben geantwortet, und fast die Hälfte von ihnen gibt an: Die Ausstattung der Schule ihrer Kinder sei "eher schlecht" oder wirklich "schlecht". Und fast 90 Prozent der Eltern geben an, sie seien schon einmal aufgefordert worden zu streichen, zu renovieren oder mit Sachspenden auszuhelfen, weil die Schule allein die Instandhaltung der Gebäude nicht mehr bewältigt bekommt.

MARODE SCHULEN
In welchem Zustand sind Deutschlands Schulen? Wir haben die Eltern gefragt; etwa 3.000 haben uns geantwortet. Sie berichteten von stinkenden Klos, Löchern in den Wänden, kaputter Technik und wackligen Mauern. Ihre Antworten und unsere eigenen Recherchen zeigen: In Deutschland, einem reichen Land, sind solche Schäden der Normalfall. Im Überblick:

Unterricht in Ruinen: Wie vergammelt sind deutsche Schulen? – Warum dauert die Sanierung so lange? Protokolle aus München – Was sagen die Eltern? Die wichtigsten Zahlen und Zitate (erscheint in Kürze) – Viele Kinder gehen vor Ekel nicht mehr auf die Schultoilette (erscheint in Kürze) – Die Lichtblicke: Wo Schule funktioniert – Einstürzende Schulbauten in Berlin: Der Start der Umfrage

Ein Rundgang durch das Campe-Gymnasium in Holzminden ist wie der Besuch einer Ruine. Alle paar Meter bleibt Schulleiter Adolf Muschik stehen: Mal lässt sich die Holzverkleidung einer Wand lösen, dahinter sammeln sich Moder und Milben. Mal ist das Fenster einer Hoftür eingeschlagen und notdürftig mit Pressspan ausgebessert worden. Mal wachsen aus der Decke des Gebäudes aus den Siebzigern kleine weiße Stalaktiten. Welcher Stoff aus dem Betongemisch sich da löst? Weiß keiner. Als im Frühjahr ein Wasserrohr in einem Nebengebäude brach, weichten zwei Decken vollständig durch. Aber statt einer Baufirma rief Muschik den Schlüsseldienst. Bis heute sind die Klassenzimmer gesperrt.

Säßen in der Schule keine Teenager, lungerten im Treppenhaus nicht Oberstufenschülerinnen herum, man könnte das Campe-Gymnasium für ein verlassenes Gebäude halten. Und auf eine Art ist es das ja auch: Es ist ein Haus, das schon vor Jahren sich selbst überlassen wurde. Wie kann das sein?

Der Landkreis Holzminden, der für die Schule verantwortlich ist, liegt sehr idyllisch im Süden Niedersachsens, eines der wohlhabenderen Bundesländer. Die Hügel sind waldig, die Städte gepflegt und hübsch. Es gibt hier mittelständische Unternehmen mit globalen Märkten und sogar eine Fachhochschule, an der man Wirtschaftsingenieurwesen und Soziale Arbeit studieren kann. Holzminden ist nicht Berlin-Wedding und auch nicht Duisburg-Marxloh, kein latentes Krisengebiet, das gerade noch so den Zentrifugalkräften der Gesellschaft widersteht.

Es ist der Normalfall.

Fragt man die Schulleiter und Eltern, aber auch die zuständigen Bürgermeister und Landräte überall im Land, warum ihre Schulen so marode sind, ist die Antwort im Grunde immer die gleiche: Es sei doch was gemacht worden, nur eben zu wenig.

In Holzminden zum Beispiel war ein Neubau geplant, das Modell steht noch in Adolf Muschiks Büro: Ein großer, sehr eckiger Bau quer durch den Hinterhof des Schulareals. Doch der Bau sollte fast 40 Millionen Euro kosten. Geld, das der Landkreis gerne aufgebracht hätte – aber nicht hatte.

Viele Kommunen haben schlicht nicht genug Geld, um ihre Aufgaben ordentlich zu erledigen. Also pfuschen sie, machen nur das Dringlichste und hoffen, dass das reicht. Tut es aber nicht.

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