Strassburger Richter verurteilen die Schweiz im Fall Perincek

  15 Oktober 2015    Gelesen: 822
Strassburger Richter verurteilen die Schweiz im Fall Perincek
Es ist das wohl letzte Kapitel im jahrelangen Rechtsstreit um den türkischen Nationalisten Dogu Perincek: Dessen Leugnung des Völkermordes an den Armeniern falle unter das Recht auf freie Meinungsäusserung, fand nun auch die letzte Instanz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat im Fall Dogu Perincek das Urteil der Vorinstanz bestätigt: Die Schweiz hat mit der Verurteilung des türkischen Ultranationalisten wegen Rassendiskriminierung die Meinungsäusserungsfreiheit verletzt.

Meinungsfreiheit höher gewichtet
In ihrem Urteil hält die Grosse Kammer fest, sie sei sich der Bedeutung der Ereignisse von 1915 bewusst und der Tragweite, welche diese für die Armenier hätten. Das ottomanische Reich hatte damals die Deportation und Ermordung von Armeniern angeordnet und durchgeführt. Perinçek hatte an öffentlichen Veranstaltungen in der Schweiz bestritten, dass es sich dabei um einen Genozid an den Armeniern handelte.

Der Gerichtshof in Strassburg sieht die Würde der damaligen Opfer und der armenischen Identität heute durch Artikel 8 der Menschenrechtskonvention geschützt. Der Artikel statuiert ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Für ihr Urteil musste die Grosse Kammer diesen Artikel und das Recht auf freie Meinungsäusserung in Einklang bringen.

Wie bereits die Vorinstanz hält sie fest, dass es in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei, Perincek wegen seinen Äusserungen zu verurteilen, um die Rechte der Armenier schützen zu können. Die Beurteilung der Massaker an den Armeniern durch Perincek stehen gemäss dem Strassburger Gericht im Zusammenhang mit einer Frage öffentlichen Interesses. Seine Äusserungen seien nicht als Aufruf zu Hass oder Intoleranz zu werten.

Andere Sicht der Schweiz
Der 1942 geborene Dogu Perincek ist Präsident der türkischen «Heimat»-Partei. 2005 hatte er bei mehreren Reden in der Schweiz den Genozid von 1915 bis 1917 an den Armeniern im Osmanischen Reich als «internationale Lüge» bezeichnet. Die Waadtländer Justiz verurteilte ihn dafür wegen Rassendiskriminierung zu einer bedingten Geldstrafe.

Das Bundesgericht bestätigte das Urteil 2007. Es vertrat die Ansicht, dass die Ereignisse von 1915 von der Wissenschaft und der Öffentlichkeit als Völkermord qualifiziert würden und darüber Konsens herrsche.

Im Dezember 2013 rügte die kleine Kammer des Strassburger Menschenrechtsgerichtshofs die Schweiz dafür. Eine Mehrheit der Richter befand, die Verurteilung habe Perinceks Meinungsäusserungsfreiheit verletzt. Dieses ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert.

Die Schweiz zog das Urteil dann an die höchste Instanz, die grosse Kammer des Strassburger Gerichts, weiter. Ein Schritt, der von der unterlegenen Minderheit der kleinen Kammer ausdrücklich begrüsst wurde, da sich das Gericht noch nie abschliessend zur Thematik geäussert hatte. Die Anhörung fand im Januar statt. Dabei wurden neben Perincek und Vertretern von Armenien und der Schweiz verschiedene Nichtregierungsorganisationen angehört.

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