US-Teenager und das erste Mal

  07 Juni 2016    Gelesen: 1078
US-Teenager und das erste Mal
Amerikanische Teenager haben oft mehr Sex als Intimität. Ihr Weg ins Erwachsenwerden verläuft zwischen Enthaltsamkeitskult und Nackt-Selfies. Das liegt vor allem daran, dass über Sexualität kaum gesprochen wird.
Sex bei Teenagern ist in den USA eine kontroverse Angelegenheit: Im "Land of the Free" versprechen auf Purity Balls (Reinheitsbällen) Zehntausende weiß gekleidete Mädchen ihren Vätern feierlich, bis zur Hochzeit keinen Sex zu haben. Zugleich ist an vielen High Schools "Hookup" angesagt. Hookup steht für "Rummachen" und kann vom Kuss bis zum Geschlechtsverkehr alles umfassen. Die Hauptsache dabei: keine romantischen Gefühle entwickeln. Dazu trinken die Teens sich meist vorher - und in den USA unter 21 Jahren unerlaubterweise - Mut an.

Doch trotz Keuschheits-Versprechen einerseits und Girlpower andererseits ist die langsam sinkende Quote der Teenager-Schwangerschaften in den USA immer noch deutlich höher als in den meisten entwickelten Ländern: 2014 brachten in den USA 24 von 1000 Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren ein Baby zur Welt. In Deutschland waren es 2013 knapp 8 von 1000. Aufklärung ist an US-Schulen vielerorts ein heikles, von Konservativen immer wieder bekämpftes Thema. Doch gerade im Republikaner-dominierten Süden, wo Slogans wie "True love can wait" besonders verbreitet sind, gibt es viele Teenie-Mütter.

Die Journalistin Peggy Orenstein hat es in dieser vielschichtigen Gemengelage mit ihrem neuen Buch hoch in die "New York Times"-Sachbuchcharts geschafft: "Girls & Sex", fußend auf Dutzenden Interviews mit weiblichen Teenagern diverser Hautfarben und Schichten, ist als Wegweiser durch die aktuelle Landschaft sexueller Ersterkundungen gedacht und sorgt für Diskussionsstoff. Denn es zeigt sich: So selbstbewusst wie junge Amerikanerinnen erzogen werden und auftreten, sind sie in sexuellen Dingen offenbar nicht.

Kaum Empathie

"Sie nutzen ihre Sexualität vor allem dazu, anderen zu gefallen", sagt Orenstein. Die Gespräche brachten ans Licht, dass die jungen Mädchen in der Regel sehr wenig über ihren eigenen Körper und ihre Bedürfnisse wissen. Viele hatten selbst noch niemals Spaß am Sex, befriedigten aber regelmäßig Wünsche ihrer jungen Hookup-Partner, deren "Kenntnisse" wiederum oft aus Pornos stammen. Besonders verbreitet ist demnach Oral-Sex - jedoch nur als Einbahnstraße Girl to Boy. Die meisten der interviewten Mädchen betrachten so genannte Blow Jobs als unvermeidlichen Teil des normalen Datings. Viele tun es, weil sie nicht als prüde dastehen wollen.

"Ich habe die Mädchen gefragt: Wenn jemand immer wieder will, dass Du ihm ein Glas Wasser aus der Küche holst, findest Du es dann nicht komisch, dass er Dir nie ein Glas Wasser holt?", sagt Orenstein. Manchen sei das Missverhältnis da erstmals bewusst geworden. Wie weitreichende Folgen das Fehlen von Einvernehmen und Empathie jedoch haben kann, zeigen seit Jahren die Eklats und Prozesse um sexuelle - und meist Alkohol-vernebelte - Gewalt an US-Hochschulen.

Über all dem wölbt sich ein medialer Himmel mit körperbetonten Stars wie Beyoncé, Rihanna oder Kim Kardashian. Deren Selfies sind für viele junge Mädchen so etwas wie Blaupausen zum "Sich-sexy-Fühlen" geworden. Was Orenstein feststellte: Viele ihrer Interviewpartnerinnen spielten diese Rollen und Posen praktisch nach. Sie fühlten sich dann "hot", wenn ihnen ihr eigenes Bild von sich gefiel - echten Spaß an der Intimität hatten hingegen wenige.

Risiken statt Schönheit

Selbst liberale amerikanische Eltern führen mit ihren heranwachsenden Sprösslingen vergleichsweise selten offene Gespräche über Sex. Wenn doch, werde vor allem mit Mädchen fast nur über das Risiko geredet, über Verhütung und Schutz vor Krankheiten, beklagt Orenstein. "Es geht kaum um die schönen Seiten der Sexualität." Hier könnten Amerikaner auch nach Ansicht der Soziologin Amy Schalet (University of Massachusetts, Amherst) von Europäern lernen. Sie verglich US-Aufklärung mit der in Holland. Dort zeigten Untersuchungen, dass Teenager später ersten und öfter einvernehmlichen Sex haben als in den USA. Es gibt deutlich weniger Teenager-Schwangerschaften, aber mehr Wissen, das auch durch Gespräche mit den Eltern erworben wurde. "Wir müssen einfach tief Luft holen und reden, auch wenn es uns furchtbar peinlich ist", sagt Orenstein. Für ihr nächstes Projekt will sie männliche Teenager zum gleichen Thema befragen.

Ratlosen Eltern schlägt sie vor, in diesen Gesprächen zu neuen Bildern zu greifen. In den USA sind beim Sex bisher Vergleiche mit Baseball üblich, die anzeigen sollen, welche "Base" das intime Miteinander erreicht hat. Ein "Homerun" entspricht dabei dem Geschlechtsverkehr. "Das klingt nach Wettbewerb, nach Gewinner und Verlierer. Wir sollten Sex lieber als gemeinsames Pizzaessen beschreiben", sagt Orenstein. "Man wählt den Lieblingsbelag und dann wird mit Genuss gegessen."

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