Im Kampf gegen die Flüchtlingskrise hat die EU-Kommission bereits Pläne zu einer gerechten Verteilung von Flüchtlingen und zu einem besseren Schutz der Außengrenzen vorgelegt. Jetzt will Brüssel die afrikanischen Staaten stärker in den Blick nehmen.
Was planen Sie?
Dimitris Avramopoulos: Die EU-Kommission wird neue Migrationspartnerschaften insbesondere mit Afrika vorschlagen. Dabei bieten wir zunächst neun Staaten, die Herkunfts- oder Transitländer für Flüchtlinge sind, eine neue umfassende und nachhaltige Partnerschaft an.
Welche Länder sind das?
Jordanien, Libanon, Tunesien, Niger, Mali, Äthiopien, Senegal, Nigeria und Libyen. Es kommen aber im Laufe der Zeit weitere Länder in Afrika und Asien hinzu.
Was ist das Ziel?
Das Ziel ist eine Bekämpfung von Fluchtursachen und ein Rückgang der irregulären Migration nach Europa. Die Idee baut auf Erfahrungen auf, die wir zuletzt mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei gemacht haben. Das wird aber keine bloße Kopie sein. Man kann nicht dieselben Maßnahmen auf alle Staaten übertragen. Wir wollen vielmehr maßgeschneiderte Maßnahmen für jedes einzelne Land.
Konkret?
Wir wollen mit jedem dieser neun Staaten verschiedene Vereinbarungen treffen. Wir wollen sie überzeugen, dass sie illegale Migranten wieder zurücknehmen. Wir möchten zudem erreichen, dass diese Länder konsequent gegen Menschenschmuggler vorgehen und dass sie ihre Grenzen wirksam sichern. Außerdem wollen wir verhindern, dass sich die Flüchtlinge auf die gefährliche Überfahrt nach Europa begeben: Wir werden darum einige Staaten, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Herkunftsländer der Flüchtlinge liegen, ermutigen, noch stärker als bisher den Menschen eine sichere Aufnahme zu gewähren. Und viertens wollen wir legale Wege nach Europa eröffnen, indem die EU-Länder entweder Menschen in Not direkt aus den Herkunftsländern aufnehmen oder legalen Migranten, wie zum Beispiel Hochqualifizierten im Rahmen einer neuen Blue Card, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gewähren.
Was bietet man den Staaten an?
Die EU kann positive und negative Anreize bieten. Wir können denjenigen Ländern, die sich kooperativ zeigen, zusätzlich zu den bisherigen Hilfsgeldern eine weitere substanzielle finanzielle Unterstützung oder etwa den Ausbau von Handelsbeziehungen zusagen. Wer sich nicht an die Vereinbarungen hält, dem können allerdings auch Einschränkungen zukommen.
Wie hoch sollen die Finanzhilfen für die neuen Partnerschaften sein und wie soll das finanziert werden?
Wir werden einerseits Maßnahmen vorschlagen, die kurzfristig umgesetzt und schnell wirksam werden können. Dafür werden wir bereits vorhandene Mittel noch gezielter, flexibler und schneller einsetzen. Allein von 2016 bis 2020 können so etwa acht Milliarden Euro für die Finanzierung der Migrationspartnerschaften bereitgestellt werden. Um langfristig gegen Fluchtursachen vorzugehen, werden wir noch im Herbst dieses Jahres einen umfassenden Investitionsplan vorstellen. Indem wir private und öffentliche Investitionen anstoßen, können bis zu 31 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die Kommission wird dafür bis 2020 3,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Wenn sich auch die Mitgliedsstaaten und andere Partner entsprechend beteiligen, könnten am Ende sogar Investitionen von bis zu 62 Milliarden Euro mobilisiert werden.
Sie haben bereits erwähnt, dass die EU legale Migration durch eine neue Blue Card fördern will. Hat das alte Konzept nicht funktioniert?
Die Blue Card, die hoch qualifizierten Angehörigen aus Drittstaaten einen Aufenthalt und einen Arbeitsplatz in der EU ermöglicht, ist eine Möglichkeit, um eine geordnete Migration zu erreichen. Wir schaffen einen legalen Weg für diejenigen, die nach Europa kommen wollen und sich an unsere Regeln halten. Aber die alte Blue Card war zu restriktiv. Sie hat eigentlich nur in Deutschland funktioniert. Im Jahr 2014 wurden in der EU 13.852 Blue Cards ausgegeben, rund 12.000 davon in Deutschland.
Wie soll die neue Blue Card aussehen?
Wir wollen einen Gesetzesvorschlag vorlegen, der die Blue Card attraktiver und flexibler macht. Europa braucht angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren dringend Fachkräfte aus Drittstaaten, damit der Wohlstand und die Produktivität auf unserem Kontinent gesichert werden können. Es wird eine Reihe von Neuerungen geben: Künftig können sich auch Flüchtlinge, die sich bereits in einem EU-Land befinden, ein Recht auf Asyl besitzen und hoch qualifiziert sind, um eine Blue Card bewerben.
Was ändert sich noch?
Die Zugangsvoraussetzungen für die Blue Card sollen erleichtert werden: Der Bewerber muss nur noch einen Arbeitsvertrag vorlegen, der mindestens über sechs Monate läuft und nicht mehr wie bisher für ein Jahr gilt. Der Besitzer einer Blue Card kann sich schon nach drei statt fünf Jahren um ein dauerhaftes Bleiberecht bewerben. Außerdem können die Einkommensgrenzen zum Erwerb der Blue Card um bis zu einem Drittel gesenkt werden – damit dürfte sich die Reichweite deutlich erhöhen. Hinzu kommt, dass der Familiennachzug für Hochqualifizierte aus Drittstaaten erleichtert wird. Schließlich wird sich der Besitzer einer Blue Card künftig viel unbürokratischer innerhalb der EU bewegen und niederlassen können. Es soll ihm zudem erlaubt werden, neben seiner Arbeit als Angestellter auch als Selbstständiger zu arbeiten – das soll Unternehmensgründungen fördern. Gleichzeitig soll es aber auch Maßnahmen geben, die verhindern, dass es durch den Zuzug von hoch qualifizierten Drittstaatenangehörigen in bestimmten Sektoren zu Verzerrungen oder gar Nachteilen für Inländer kommt. Es ist ein ausgewogener Ansatz.
Wie viele Blue Cards wird es geben?
Das ist schwer zu sagen und hängt wesentlich von den Einkommensschwellen in den einzelnen Ländern ab. Aber wir schätzen, dass unter dem neuen, von uns heute vorgeschlagenen System in der EU künftig zwischen 32.000 und 137.000 Blue Cards im Jahr ausgegeben werden könnten.
Wie sollen die Flüchtlinge integriert werden?
Die Integration von Flüchtlingen ist vor allem Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Jedes Land weiß am besten, was vor Ort zu tun ist. Wichtig ist nur, dass sich alle um erfolgreiche Integration bemühen. Die Integration von Flüchtlingen ist eine politische, moralische und ökonomische Pflicht für alle EU-Länder, um den Zusammenhalt und den Wohlstand zu fördern. Wir erwarten, dass die Flüchtlinge unsere Werte und Regeln anerkennen. Aber wir müssen ihnen auch Möglichkeiten bieten, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.
Welche Rolle kann die EU spielen?
Wir können die Mitgliedsstaaten vor allem finanziell unterstützen. Etwa beim Aufbau von sogenannten Willkommensklassen oder Online-Sprachkursen, der besonderen Förderung von unbegleiteten Jugendlichen oder bei der Integration in Sportvereine. Unser neuer Aktionsplan zur Integration umfasst viele Maßnahmen, aber am Ende liegt die Verantwortung in den Mitgliedsländern.
Quelle: n24.de
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