Schlafen im Bordell

  16 Oktober 2015    Gelesen: 773
Schlafen im Bordell
Moskau auf eigene Faust: Wer in Russlands Metropole reist, muss mit spannenden Erfahrungen rechnen – das beginnt schon bei der Suche nach einem bezahlbaren Hotel.
Weiß ist er und unfassbar lang. Die Türe der Stretchlimousine der amerikanischen Panzermarke Hummer geht auf, und ein gertenschlankes Bein, verpackt in einen Stilettostiefel aus Lack, klackt auf das Kopfsteinpflaster. Die erste Schönheit im Minikleid, die zweite, die dritte – sieben junge Frauen entsteigen dem VIP-Fahrzeug. Ein Korken knallt, die Damen prosten sich zu mit Blick auf die Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz. Kichernd werfen sie sich in Pose für ein Erinnerungsfoto vor dem Wahrzeichen Moskaus. Und verschwinden wieder in der Stretchlimousine. Eine filmreife Szene. Am helllichten Tag, an einem Sonntag im Herbst in Moskau. Filmreif ist auch ein selbst organisierter Kurztrip in die Hauptstadt Russlands. Das beginnt schon mit der Suche nach einem bezahlbaren Hotel.

Rekordpreise für Zimmer

Im Zentrum, möglichst nah am Kreml, soll die Unterkunft liegen. In der 15-Millionen-Stadt will man schließlich nicht in einem Plattenbau in einem 30 Kilometer entfernten Vorort wohnen. Denn Taxi und Metro fahren soll ja nicht ganz einfach sein. Doch dazu später. Die Hotelsuchmaschinen spucken gewaltige Preise aus, die Moskau-Nacht beginnt bei 250 Euro. Eine Übernachtung im Baltschug Kempinsiki Hotel beispielsweise kommt auf 450 Euro, Frühstück kostet natürlich extra, satte 42 Euro.

Warum sind Hotelbetten in Moskau so überteuert? Ein eklatanter Bettenmangel nach dem Abriss der riesigen sowjetischen Bettenburgen soll dafür verantwortlich sein. Günstige Minihotels oder Privatunterkünfte, wie sie in St. Petersburg bereits angeboten werden, sind nicht zu finden. Also muss es eines der wenigen Mittelklassehotels sein. Und plötzlich blinkt „Alexander Blok“ auf. Ein Hotelschiff auf der Moskwa, zentrumsnah, Zimmerblick aufs Wasser, drei Sterne, gute Bewertungen, 80 Euro die Nacht.

Hotel mit roten Herzen

Der erste Eindruck der „Alexander Blok“ verwirrt ein bisschen. Ein breitschultriger Russe schiebt sich vor den Eingang, mustert die Gäste grimmig und weist sie durch eine Sicherheitsschleuse in den Schiffsbauch. Schwere, dunkelrote Teppiche, überall. „Njet“ raunzt die Rezeptionistin auf die Frage, ob es ein Passwort für das versprochene Internet im Zimmer braucht. Es gibt nämlich gar kein Internet auf dem Schiff. Was es allerdings gibt, sind etliche junge Damen, die sexy gekleidet mit Overknee-Stiefeln im Tigerprint um die Rezeption sitzen und sich schweigend die Nägel feilen. Die Visitenkarte des Hotels schafft Klarheit, dort steht in lateinischen Buchstaben: „Alexander Blok – Exotic Massages“. „Nein, das Hotel ist kein Bordell“, erklärt Taxifahrer Wladimir, „nur am Wochenende“. Da blinken dann am Bug rote Herzen. Rot ist ja auch eine prominente Farbe in Moskau.

Die Seele des russischen Verkehrs

Der Rote Platz: Hinter den Zacken der neun Meter hohen Kremlmauer liegt das Zentrum der russischen Staatsmacht. Und das spürt man auch. Der Bann des autofreien Platzes mit den gigantischen Ausmaßen legt sich über den Besucher: Lenin-Mausoleum, Jugendstilkaufhaus Gum auf der einen Seite, Prachtbau des historischen Museums auf der anderen Seite und die verspielten Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale, die aussehen als stammen sie aus Disneyland. Zar Iwan der Schreckliche gab die neun Kirchen mit den individuell dekorierten Kuppeln im 16. Jahrhundert in Auftrag. Die Baumeister ließ er angeblich blenden, damit sie niemals mehr Vergleichbares bauen könnten. Geblendet ist auch der Tourist angesichts der Kunstschätze, Zarengräber, Kirchen, Museen und Geschichte im Zentrum Moskaus. Doch hinkommen muss er erst mal. Zu Fuß, mit Taxi oder Metro?

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