Retten uns die Briten?

  12 Juni 2016    Gelesen: 669
Retten uns die Briten?
Das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union ist zerrüttet. Nun hoffen einige Politiker auf den Brexit.
Selbst die Hymne teilen sie. "Heil dir, Helvetia!", singen die Schweizer aus voller Brust. Auf Parteitagen, an Länderspielen, am 1. August, vereint um die flackernden Höhenfeuer. Die Melodie dazu: God save the Queen, die britische Nationalhymne. Erst 1961 erhält die Schweiz einen eigenen Psalm. Seither treten die Eidgenossen in schleppendem Rhythmus "im Morgenrot daher". Die Königin ist stumm.

Die geliehene Hymne ist eine Anekdote zwar, aber doch viel mehr: Sie zeigt, was die Schweiz und Großbritannien verbindet. Die Erinnerung. Der Geist. Die politische Kultur. Diese special relations bestehen bis heute, da die Briten in zwei Wochen über den Austritt aus der Europäischen Union abstimmen.

In allen anderen europäischen Ländern fürchtet sich das politische Establishment vor dem Exit-Day. Nur Rechtspopulisten und notorische EU-Phobiker hoffen auf das große Beben auf der Insel. Anders in der Schweiz, hier liebäugeln Politiker von links bis rechts mit dem Brexit. Offen und öffentlich.

Ein ehemaliger grüner Nationalrat meint: Der EU-Austritt von Großbritannien würde "die schweizerische Position bezüglich der Bilateralen und der Regelung der Personenfreizügigkeit entscheidend stärken".

Eine frühere Außenministerin würde zwar gegen einen Brexit stimmen, wenn sie könnte. Trotzdem verspricht sie sich viel von einem Vereinigten Königreich, das außerhalb der Union steht – und zusammen mit der Eidgenossenschaft in der Efta sitzt: "Großbritannien in diesem `zweiten Kreis` der europäischen Länder wäre interessanter für die Schweiz als der heutige Status quo."

Ein FDP-Nationalrat weibelt bereits heute für diese "Super-Efta" in Brüssel und London. Während der Präsident der CVP unter seinen Schäfchen die Hoffnung schürt: "Schon die Diskussion über den Brexit ist eine Chance."

Chance, also Glück, brauchen die Schweizer. Ihr Verhältnis zur EU ist zerrüttet, seit sie vor zweieinhalb Jahren die Masseneinwanderungsinitiative angenommen haben. Bis zum 9. Februar 2017 muss das Volksbegehren umgesetzt werden. Muss die Zuwanderung wieder in Bern gesteuert werden. Mit Kontingenten, mit Höchstzahlen, mit einem Inländervorrang. So steht es in der Verfassung. Aber der entsprechende Artikel 121a beißt sich mit den bilateralen Verträgen.

Unentwegt versucht der Bundesrat deshalb in Brüssel zu verhandeln. Dort werden er und seine Gesandten zwar empfangen, geküsst und angehört, aber Mal für Mal auf später vertröstet. Kein Wunder, dass die Schweizer frustriert sind, kein Wunder, dass sie sich am kleinsten Strohhalm festhalten. Eben, dem Brexit.

Also suchen sie nach Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ländern, zum Beispiel dem gegenseitigen Sonderfall. Dort die splendid isolation, hier das Reduit. Sie merken, was sie beide in Europa erkennen: "kein Friedensprojekt, sondern ein Kaufhaus" (Tages-Anzeiger). Vor allem aber finden sie ihre gemeinsame Abneigung gegen die EU. "Alle Probleme kommen vom Kontinent", donnerte Maggie Thatcher. In der Schweiz ist das rechts der Mitte längst Common Sense.

Dass der britische Premier David Cameron mehrmals wiederholt hat, die Schweiz sei für sein Land kein Vorbild, das wischen die helvetischen Brexit-Fans nonchalant vom Tisch.

Dass ein Austritt Großbritanniens die Union in eine politische Krise stürzen würde, die auch die Schweiz erfassen könnte, daran wollen sie gar nicht denken.


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