Man findet nur, wonach man sucht. Das gilt auch für Archäologen. Forscherteams, die seit den Zwanzigerjahren vergangenen Jahrhunderts in der Hauptstadt des antiken Nabatäer-Reiches arbeiten, konzentrierten sich bislang vornehmlich auf die noch sichtbaren Bauwerke der Stadt, die der Archäologe Thomas Edward Lawrence, bekannt als Lawrence von Arabien, um das Jahr 1900 als den "herrlichsten Ort der Welt" bezeichnet hatte.
So geschah es, dass die Experten offenbar knapp hundert Jahre lang nur 800 Meter vom Stadtzentrum entfernt ein Bauwerk übersahen - auch wenn es mit 56 mal 49 Metern ungefähr so groß ist wie ein olympischer Swimmingpool.
Entdeckt haben die Ruine nun die Archäologin Sarah Parcak von der University of Alabama und Christopher Tuttle, Direktor des Council of Overseas Research Center. "Sie lag direkt vor unseren Augen", berichten die Forscher im "Bulletin of the American Schools of Oriental Research". Zugegebenermaßen ist das Monument trotz seiner Größe aber auch leicht zu übersehen.
Tempel für religiöse Zeremonien
Es stehen keine aufrechten Mauern mehr, nur ein flacher, rechteckiger Hügel erhebt sich leicht aus dem steinigen Untergrund Petras. Einst war das Bauwerk eine zweistufige Plattform. Am Ostende umrahmte eine prächtige Säulenreihe eine Monumentaltreppe. Auf der Plattform selbst erhob sich ein kleines Tempelchen, das sich nach Osten zur Treppe hin öffnete. Vermutlich fanden hier religiöse Zeremonien statt.
Steht man heute vor dem Monument, ist die Struktur fast unsichtbar. Sarah Parcak entdeckte sie aus der Luft: auf Satellitenaufnahmen der Ruinenstadt. Diese Art der Archäologie von oben ist ihr Fachgebiet. Erst kürzlich fand sie so in Point Rosee am Ufer des kanadischen St. Lorenz Stroms eine Wikingersiedlung. Tuttle, der seit 20 Jahren in Petra arbeitet, untersuchte dann mit einem Team die merkwürdige Bodenerhebung und bestätigte Parcaks Entdeckung.
Scherben aus den Gründungstagen der Stadt
Auf und um die Ruine fanden die Archäologen Tonscherben aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus. Damit scheint die Plattform ein Gebäude aus den Gründungstagen der Stadt zu sein. Die meisten öffentlichen Gebäude stammen erst aus der Zeit der zweiten Blütezeit Petras, die gegen Ende des ersten Jahrhunderts vor Christus begann.
So gewährt das neu entdeckte Bauwerk einen seltenen Einblick in die Frühgeschichte der Stadt, deren Spuren sonst meist von späteren Gebäuden überbaut sind.
Das ist deshalb so interessant, weil die Nabatäer bis heute ein mysteriöses Volk sind. Bekannt ist lediglich, dass sie vor knapp 2600 Jahren aus dem Inneren Arabiens in das Gebiet des heutigen Südjordaniens einwanderten. Wenig später gaben sie ihre traditionelle Lebensweise, die Viehzucht, auf und stützten sich fortan auf eine lukrativere Einkommensquelle: die Kontrolle der Handelswege, die in Petra zu einem riesigen Knoten zusammenliefen.
Wer von Ägypten nach Syrien oder von Südarabien ans Mittelmeer wollte, musste hier vorbei. Nirgendwo sonst gab es auf dem langen Weg durch das schroffe Bergland genügend Wasser, um alle Tiere einer großen Karawane mit Wasser zu versorgen.
Badewanne mit Ausblick
Der Plan ging auf, schnell wurden die Nabatäer reich und mächtig. Der Reichtum scheint ihnen allerdings gelegentlich zu Kopf gestiegen zu sein. So ließen die Herrscher Petras sich beispielsweise auf einer Klippe in 300 Meter Höhe eine beheizbare Badewanne mit Blick auf das Stadtzentrum bauen. Und wer weiß, was noch für Überraschungen unter der steinigen Oberfläche der Stadt warten.
20 Quadratkilometer der Ruinenstadt haben Archäologen bislang untersucht. Auf dieser Fläche drängen sich bereits rund tausend Gebäude und Gebäudereste. Und doch sind damit erst schätzungsweise 20 Prozent des antiken Petra freigelegt.
Es ist also verzeihbar, dass die Ausgräber die Riesenplattform erst jetzt entdeckt haben. "Ich arbeite seit 20 Jahren in Petra", erklärte Tuttle gegenüber "National Geographic", "und ich wusste zwar immer, dass an der Stelle irgendetwas liegt. Aber es ist sicherlich legitim, es eine Neuentdeckung zu nennen."
Quelle: spiegel.de
Tags: