Gauck brauchte ja auch noch einen zweiten Anlauf, bis er 2012 von einer ganz großen Koalition in der Bundesversammlung zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. Aber dann machte Bundespräsident Gauck seinen Job nach Meinung vieler ziemlich gut - nur will er nun nicht mehr: Nach einer Amtszeit ist Schluss. Und plötzlich ist wieder Grünen-Politiker Trittin gefragt: Er hat SPD-Chef Sigmar Gabriel nach SPIEGEL-Informationen unter anderem vorgeschlagen, seine Parteifreundin Claudia Roth ins Rennen um Bellevue zu schicken.
Aber es kursieren ja neben der Bundestags-Vizepräsidentin von den Grünen viele Namen im Moment: Die CDU-Politiker Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble sind im virtuellen Kandidaten-Pool, Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD ist laut Umfragen der Favorit der Bürger (was aber nicht ausschlaggebend ist, weil es sich um keine Direktwahl handelt), die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger gilt manchem Genossen ebenfalls als präsidiabel. Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird gehandelt - sowie als möglicher Kandidat mit Migrationshintergrund der Schriftsteller Navid Kermani.
Spekulationen dürften wochenlang anhalten
Es wird viel spekuliert in diesen Tagen - und damit dürfte es auch noch einige Wochen so weitergehen, denn Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sieht in Sachen Gauck-Nachfolge keine Eile: Merkel lässt sich gern so lange Zeit wie möglich, um politische Entscheidungen zu treffen, angesichts der komplizierten Gemengelage dürfte das in diesem Fall aber auch geboten sein.
CDU und CSU werden in der Bundesversammlung am 12. Februar 2017 zwar mit Abstand die meisten Wahlleute (knapp 550) stellen, aber für die in den ersten beiden Wahlgängen erforderliche absolute Mehrheit von 631 Stimmen reicht das nicht. Dafür braucht die Union entweder den Koalitionspartner SPD (knapp 390 Wahlleute) oder die Grünen (knapp 150 Wahlleute). Erst im dritten Wahlgang könnten CDU und CSU einen Kandidaten mit relativer Mehrheit durchsetzen.
Daher stellt sich für Merkel die Frage, welche Art von Kandidaten sie aufstellen wird: Ein Konsens-Angebot, wie seinerzeit Gauck - oder doch eine Person aus den eigenen Reihen, mit der sie dann auf eine Entscheidung im dritten Wahlgang setzt? Von Merkels Entscheidung wiederum hängt ab, wie sich SPD, Grüne und Linkspartei verhalten werden. Auch die FDP dürfte gespannt auf den Vorschlag der Kanzlerin sein, während AfD und NPD ohnehin mit eigenen Kandidaten in der Bundesversammlung antreten werden.
Am wahrscheinlichsten ist es, dass Merkel auf eine Konsens-Lösung setzt. Das entspricht ihrem Politikverständnis und würde zudem die Lage mit Blick auf das Super-Wahljahr 2017 beruhigen, in dem neben dem Bundespräsidenten auch noch die Landtage in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Saarland gewählt werden - und vor allem im Herbst ein neuer Bundestag. Die Kanzlerin möchte deshalb keine zusätzliche Polarisierung bei der Bestimmung des Staatsoberhauptes. Das Problem: In der Union wünschen sich viele einen Kandidaten aus den eigenen Reihen. Und natürlich bleibt die Frage, ob Merkel eine Person findet, die wie Gauck auf breite Akzeptanz in der Bundesversammlung stoßen würden.
Als weniger wahrscheinlich gilt, dass die CDU-Vorsitzende jemanden aus der Union vorschlägt, um ihn oder sie im dritten Wahlgang durchzusetzen. Denn funktionieren würde das nur, wenn sich keine relative Mehrheit dagegen fände, beispielsweise durch eine Verständigung bei SPD, Grünen und Linken. Gemeinsam könnten sie im dritten Durchgang ein Staatsoberhaupt wählen - und schon jetzt gibt es im linken Lager Bestrebungen, das zu versuchen.
Ein solches breites linkes Bündnis - der SPIEGEL spricht von der "Operation Breilibü" - könnte nach Meinung seiner Fans ein wichtiger Schritt zu einer rot-rot-grünen Mehrheit bei der Bundestagswahl sein. Zuletzt sprach sich sogar Linkspartei-Doyen Oskar Lafontaine für einen gemeinsamen Bundespräsidentschafts-Kandidaten aus. Allerdings hätte auch hier eine überparteiliche Lösung Priorität - also nicht eine Partei-Kandidatin wie Claudia Roth.
Offen ist allerdings, ob die Bekenntnisse aus der Linkspartei nicht nur taktisch begründet sind, um am Ende der SPD abermals den Willen zur gemeinsamen Sache abzusprechen. Tatsächlich ist Parteichef Sigmar Gabriel in Sachen Breilibü sehr zögerlich. Und dann wären da ja auch noch die Grünen: Ob sie für eine linke Mehrheit in der Bundesversammlung zur Verfügung ständen , ist ebenfalls offen.
Sehr unwahrscheinlich ist, dass CDU und CSU eine Person mit dem Ziel aufstellen, sie im ersten Wahlgang nur mit der SPD oder den Grünen zum Staatsoberhaupt zu wählen. Um eine der beiden Parteien dazu zu bewegen, müsste Merkel jemand Sozialdemokratisches oder Grünes aufstellen - das würde die Union nicht akzeptieren. Ein schwarzer Kandidat wiederum wäre für die SPD nicht wählbar. Und auch bei den Grünen ist schwer vorstellbar, dass sie sich darauf einlassen würden. Zu offensichtlich wäre dann eine Festlegung auf Schwarz-Grün mit Blick auf die Bundestagswahl 2017.
Zurück zu Claudia Roth: Die Grünen-Politikerin müsste schon in die CDU eintreten, um eine reelle Chance auf Bellevue zu haben. Und soweit dürfte ihr Ehrgeiz dann doch nicht gehen.
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