Jets sollten direkt von der A1 zum Angriff starten

  13 Juni 2016    Gelesen: 779
Jets sollten direkt von der A1 zum Angriff starten
Dutzende Stellen auf deutschen Autobahnen wurden im Kalten Krieg als "Notlandeplätze" für Militärflugzeuge vorbereitet. Von der Idee verabschiedete man sich erst in den 1990er-Jahren komplett.
Autofahrer bekamen bald ein Auge für die eigenwillig gestalteten Abschnitte auf den Autobahnen. Sie waren zwischen 2500 und 3500 Meter lang und mindestens 23, in der Regel aber 30 Meter breit. Zwischen beiden Richtungsfahrbahnen befanden sich keine Bepflanzungen, sondern ein Betonstreifen, auf dem eine sogenannte Europa-Leitplanke mit Schnellbefestigungen angebracht war.

Auch die Haltepfosten waren nur gesteckt. Das maximale Gefälle durfte zwei Prozent nicht übersteigen. Hindernisse wie querende Brücken oder Hochspannungsleitungen gab es nicht. Denn es handelte sich um einen NLP, einen "Notlandeplatz", der im Fall eines bewaffneten Konflikts Flugzeugen der Nato als Basis dienen sollte.

Bis zu 30 dieser Notlandeplätze wurden zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren auf bundesdeutschen Autobahnen installiert, die letzten kurz vor der Friedlichen Revolution in der DDR. Auch dort waren "Autobahn-Abschnitte" als mögliche Notlandebahnen eingerichtet worden: für Kampfjets und Militärtransporter für den Fall, dass aus dem Kalten ein heißer Krieg werden würde. Die meisten dieser Anlagen sind mittlerweile verschwunden. Nur noch auf der A7 bei Schleswig hat sich nach Angaben des schleswig-holsteinischen Landesverkehrsministeriums ein originalgetreues Relikt erhalten, allerdings überbaut durch den Rastplatz Brekendorf Moor.

Die NLPs sollten als Reserve dienen, falls die regulären Basen zerstört sein würden, erklärt Heiner Möllers, Historiker am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, die Bauwerke. Sie wurden zwar vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben, aber Verteidigungsministerium und Nato gaben erhebliche Mittel dazu und überwachten die zusätzlichen "baulichen Maßnahmen an den infrage kommenden Straßen", wie es in den Richtlinien für Infrastruktur-Forderungen des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 1964 heißt.

Zu einem NLP gehörten demnach auch "Überrollstrecken an den Enden der Start- und Landebahnen, Schutzstreifen, Abfahrten ins Gelände, Abstellplätze, Markierungen, Befeuerungseinrichtungen und Landehilfen, Anlagen für die Führung, Logistik und das Fernmeldewesen sowie Umfahrungen. Das bedeutete, dass eine Anschlussstelle zu einer Bundes- oder größeren Landstraße vorhanden sein musste, um den Nachschub sicherzustellen. Markant waren auch die trapezförmigen Parkplätze, auf denen bis zu zehn Kampfflugzeuge abgestellt werden konnten.

Notlandeplätze waren keine Erfindung des Kalten Kriegs

Die meisten dieser Notlandebahnen gab es in Norddeutschland. Allein sechs waren in die A1 eingebaut. Weil es im Norden weniger reguläre Militärflugplätze als im Süden gegeben habe, sagt Möllers. Und weil es wegen des in der Norddeutschen Tiefebene erwarteten Großangriffs durch den Warschauer Pakt einen größeren Bedarf solcher Flugplätze in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gegeben habe.

Im Ernstfall konnte ein NLP innerhalb von 24 Stunden eingerichtet werden, mit mobilem Radar und allen anderen notwendigen Führungsmitteln. Als 1984 der NLP auf der A29 beim Kreuz Ahlhorn im Rahmen eines Nato-Manövers übergeben wurde, starteten und landeten dort Jets von Typ F4-Phantom und Tornado sowie Transall-Transporter.

Die Notlandeplätze sind übrigens keine Erfindung des Kalten Krieges. Schon Hermann Göring soll als Oberkommandierender der Luftwaffe des Dritten Reiches diese militärische Umwidmung der "Straßen des Führers" vorangetrieben haben. Sicher ist, dass 1944, als immer mehr reguläre Flugplätze Ziele des alliierten Bombenkriegs wurden, geeignete Autobahnabschnitte umfunktioniert wurden. Vor allem die modernen Düsenjäger, allen voran die zweistrahlige Messerschmitt Me-262, kamen hier zum Einsatz. Voraussetzung war eine Startbahn von 1700 Metern und eine Landebahn von 350 Metern.

Als gegen Ende des Krieges US-Truppen in der Pfalz vorrückten, stießen sie auf der Reichsautobahn Kaiserslautern–Saarbrücken bei Ramstein auf einen solchen Startplatz. Im Laufe der Zeit wurde um ihn herum die wichtigste Basis der US Air Force in Europa ausgebaut. In der Zufahrt haben sich Teile der alten Autobahn-Trasse erhalten.

Erst ab 1995 "nicht mehr erforderlich"

Mit dem Ende des Warschauer Pakts kamen die Notlandeplätze "komplett aus der Mode", erklärt Historiker Möllers. Offiziell stufte das Bundesverteidigungsministerium die Plätze jedoch erst im Juni 1995 "als nicht mehr erforderlich" ein. Die Plätze sollten nach und nach zurückgebaut werden, Treibstofftanks und Telefonleitungen aus der Erde verschwinden, die großen Betonflächen aufgebrochen werden.

Auf insgesamt 17 Plätzen hatte die Luftwaffe nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums zuvor geübt – jeweils nur auf neu gebauten Autobahnabschnitten, die noch nicht für den Verkehr freigegeben waren. Häufig waren auch Flieger aus anderen Nato-Staaten dabei. Das letzte große Manöver dieser Art fand 1984 auf der neu gebauten A29 nahe Ahlhorn statt. Schwieriger sei das Starten und Landen für die Piloten nicht gewesen, sagt Möllers, allerdings habe wie auf einem normalen Flughafen auch darauf geachtet werden müssen, dass die Startbahn sauber war, damit kein Schmutz in die Triebwerke gelangen konnte.

An manchen Stellen können Autofahrer die einstigen Flugplätze auf der Autobahn noch erkennen. Auch in Ostdeutschland, wo nach Angaben des Verteidigungsministeriums sechs solche Plätze betrieben wurden. Doch mit dem Ende der militärischen Nutzung der Plätze verschwinden die Spuren. Sonderausstattungen wie die steckbaren Leitplanken würden bei Reparaturen nicht wieder ersetzt, heißt es aus dem schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium. Da in dem Bundesland zudem aktuell viele Lkw-Parkplätze benötigt werden, seien drei der einst vier auch militärisch genutzten Parkplätze bereits umgebaut.

Quelle : welt.de

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