Die russische Intervention in Syrien als Game Changer

  19 Oktober 2015    Gelesen: 812
Die russische Intervention in Syrien als Game Changer
Der syrische Präsident Bashar al-Assad hat in einem kürzlich abgegebenen Statement angedeutet, seine Armee hätte „Probleme dabei, Menschen zum Kämpfen zu finden“. Darüber hinaus war seine Regierung selbst in ihrer Hochburg Latakia kürzlich von Protesten betroffen. Die Menge forderte die Bestrafung Suleiman Assads, ein Mitglied der Herrscherfamilie, der infolge an einen Streit im Straßenverkehr einen Polizeibeamten getötet haben soll. Ähnliche Proteste brachen nach der Ermordung eines drusischen Führers in as-Swayda aus, in dem eine erhebliche Anzahl an regierungstreuen syrischen Drusen lebt. Menschen organisierten Demonstrationen rund um Regierungsgebäude und zerstörten Statuen von Hafez al-Assad. Zudem hatte die Opposition in der Provinz Idlib mit mehreren Siegen eine Position erreicht, die ein weiteres Vorrücken auf Latakia, die Assad-Bastion, als möglich erscheinen ließ.

In einem solchen Umfeld trat die Russische Föderation in der zweiten Septemberwoche auf den Plan und kündigte an, künftig als aktiverer Part in den Syrienkonflikt eingreifen zu wollen. Russland, das Assad von Beginn an unterstützt hatte, kündigte an, eine Basis und eine Hafenanlage in Latakia zu errichten und ein ganzes Hilfspaket zur Verfügung zu stellen, das russische Kampfflugzeuge ebenso umfassen sollte wie Helikopter, Panzer und einige andere schwere Waffen. Am Ende hat Russland auch mit umfassenden Luftoperationen begonnen, um Assad im Umfang des von der Duma genehmigten Mandats in seinem Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. In der ersten Phase der Luftoffensive hat die russische Luftwaffe offenbar vor allem Ziele in Hama, Homs und Latakia getroffen.

Russlands Eingreifen in Syrien ändert vor allem die militärische Balance im Land zu Gunsten der Armee, und das in einer Zeit, da die Regierung Assad tatsächlich drohte, die Macht zu verlieren. Dies wird einen neuen Ausgang als wahrscheinlich erscheinen lassen, was den Zuspruch zu Assad wohl wieder ansteigen lassen und die Motivation der Kämpfer stärken dürfte. Im Oktober 2015 kontrolliert die Regierung etwa 30 Prozent des Territoriums. Russland wird sich vor allem dafür einsetzen, die Wiederherstellung der Kontrolle durch die Regierung und die Beseitigung von Gefahren in relativ dicht bevölkerten Regionen zu erreichen. Auch wird Moskau mögliche Bedrohungen für die Städte Latakia und Idlib bekämpfen, wo die Regierung unter Druck gekommen war und Russland eine eigene Basis errichtet hat. Dadurch, dass Russland für Assad stabilisierend wirkt, wird die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts innerhalb des Regierungslagers selbst geringer. Die Regierung wird die Chance nutzen, um selbst zu mobilisieren und den Rückenwind durch die russischen Luftschläge für sich zu nutzen.

Mehr als eine teilweise Wiedereroberung von Gebieten, die zuvor der IS und andere dschihadistische Oppositionsgruppen eingenommen hatten, wird es aber wahrscheinlich nicht geben. Russlands Einsatz wird nicht anstreben, der Regierung die Wiederherstellung der Kontrolle über das gesamte Territorium Syriens wiederherzustellen. Der IS hat seit Beginn der Operation der von immerhin 60 Ländern unterstützten Anti-IS-Koalition unter US-Führung seine Geländegewinne in Syrien sogar erweitern können. Russland wird helfen, die militärischen Kapazitäten der Opposition zu schwächen, die Kontrolle Assads in von der Armee gehaltenen Territorien zu sichern und einige taktisch besonders wichtige wiederzuerlangen. Die Regierungstruppen werden aber nicht in nördliche und östliche Regionen vorrücken, in denen sie kaum noch präsent sind.

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Die Opposition hat organisatorisch im Laufe der letzten Jahre massiv an Kampfstärke und Manövrierfähigkeit gewonnen, sie kann gemeinsames Vorgehen unterschiedlicher Gruppen koordinieren, sich auf bestimmte Zentren konzentrieren und einige größere Gruppen lassen sich fast schon selbst als kleine Armeen betrachten. Im Unterschied zu dem, was regierungsamtlich vermeldet wird und was auch weltweit die öffentliche Meinung prägt, besteht die syrische Opposition – von Teilen des IS und al-Nusras abgesehen – nicht vorwiegend aus ausländischen Kämpfern. Das erhöht die Akzeptanz in der Bevölkerung und die Ziele der Opposition beschränken sich nicht mehr auf die Errichtung eines Staates nach dem Vorbild Saudi Arabiens oder Taliban-Afghanistans.

Auch werden Russlands Möglichkeiten trotz der bisherigen Effizienz der Luftoperationen begrenzt bleiben. Das Mandat wird beschränkt bleiben, zumal der Staatshaushalt weiterhin angespannt bleibt auf Grund der Sanktionen und der niedrigen Ölpreise. Mit Luftangriffen alleine wird es allerdings kaum gelingen, die Opposition entscheidend zurückzudrängen. Diese Erfahrungen mussten bereits die USA machen, die der kurdischen YPG massive Luftunterstützung gegen den IS gegeben hatten, wobei diese jedoch trotzdem nur minimale Geländegewinne verzeichnen konnte. Es erscheint deshalb auch für die zuletzt in Bedrängnis befindliche Armee als äußerst unwahrscheinlich, lediglich von russischen Luftschlägen sekundiert auf ganzer Linie das Blatt wenden zu können.

Russlands Hilfe mag Assad mehr an Effizienz ermöglichen, am Ende zählt für Moskau jedoch vor allem, seine eigenen Positionen in der Region zu stärken. Assads Regierung wurde mit Fortdauer des Bürgerkrieges immer stärker von ausländischer Unterstützung abhängig. So dankbar Damaskus dem Iran und der Hisbollah auch für ihre großteils sehr effiziente Unterstützung war, blieb dennoch stets die Befürchtung, dass der Iran auf diesem Wege die faktische Kontrolle über das Land erlangen könnte. Indem Assad jetzt auch Russland mit ins Boot holt, sorgt er auf diese Weise auch für ein mehr an Balance zwischen seinen Verbündeten. Der Iran ist über diese Entwicklung nicht unbedingt unglücklich – immerhin stellt die Unterstützung durch Russland eine weitere Motivation für den Iran dar und entlastet dessen eigenen Haushalt. Auch die koordinierte Anstrengung dürfte jedoch allenfalls dazu führen, dass sich die Opposition aus einzelnen Territorien zurückzieht, dennoch aber dürfte die Regierung wieder in die Lage kommen, aus eigener Kraft zu überleben.

Bis dato stimmen alle in Syrien involvierten Akteure – im Inneren wie im Äußeren – darin überein, dass es eine militärische Lösung nicht geben wird, aber auch, dass die territoriale Einheit Syriens erhalten bleiben soll. Was Letzteres betrifft, geht die praktische politische Entwicklung jedoch geradewegs in eine entgegengesetzte Richtung. Die Interessenlagen und das Gebaren der Akteure von außen wie auch die Dynamik von innen werden die faktische Aufteilung des Landes in gefestigte und voneinander abgetrennte Einflusssphären weiter zementieren und die von allen gewünschte territoriale Einheit immer mehr wie einen Wunschtraum erscheinen lassen. Russlands Eingreifen wird den Desintegrationsprozess des Landes weiter vorantreiben, aber die Beherrschung eines bestimmten Landstriches durch eine von Moskau beherrschte Regierung wird dafür sorgen, dass die Opposition ihr Ansinnen, einen kompletten Fall Assads und eine Eroberung von der Armee gehaltener Territorien zu erreichen, aufgeben muss. Dies wird dann den Weg frei machen für eine politische Lösung.

Der Kampf gegen den Terrorismus ist dabei ein Prätext, der Russland sehr gelegen kommt, um jetzt die Schritte zu tätigen, die Moskau den Schutz seiner langfristigen Interessen in der Region erlaubt. Die militärische Präsenz der russischen Truppen wird sich daher auch nicht auf die Dauer des syrischen Bürgerkrieges beschränken. Die Abhängigkeit der syrischen Regierung von Moskau und das Machtvakuum, das die sich immer stärker in Selbstbeschränkungen übenden USA in der Region hinterlassen, gibt Russland die Chance, im östlichen Mittelmeer eine dauerhafte Militärpräsenz zu unterhalten. Russland kann nun, wo die Intervention begonnen hat, auch nicht mehr anders als die faktische Desintegration Syriens voranzubringen – denn ansonsten würde man auch die eigene Glaubwürdigkeit, Reputation und Abschreckungsfähigkeit einbüßen. Es ist deshalb unabhängig von ökonomischen, politischen und sicherheitstechnischen Überlegungen sehr wahrscheinlich, dass in Syrien eine Region unter russischem Schutz entstehen wird.

Die Russische Föderation adaptiert mit ihrem Schritt in Richtung Syrien auch in gewissem Maße die Bush-Doktrin und trägt den Krieg zu den Terroristen, bevor diese in die Lage kommen, diesen auf russisches Territorium zu tragen. Vor allem das stark von usbekischen Kämpfern dominierte „Imam Bukhari Bataillon“ und die kaukasisch dominierte „Jaish al-Muhajireen wal-Ansar“ stehen dabei im Fokus der russischen Armee. Ein Teil der Jaish al-Muhajireen wal-Ansar hat sich mit dem „Islamischen Staat“ verbündet, ein anderer paktiert mit dem Bündnis aus der Al-Nusra-Front und dem „Kaukasischen Emirat“, das vor allem für terroristische Aktivitäten in Russland bekannt ist. Durch die Verstärkung der eigenen militärischen Präsenz in Syrien will man nun diesen Gruppen bereits außerhalb der eigenen Grenzen entgegentreten. Für Russland schafft dies natürlich im Gegenzug das Risiko eines Mehrfrontenkrieges, da Moskau gegen alle terroristischen Gruppen eine Front eröffnet hat – und diese alles tun werden, um jetzt erst recht den Terror auf russisches Territorium zu tragen.

Zwischen Russland und der Türkei wird das Vorgehen Moskaus für Verstimmung sorgen. Aus Russlands Sicht fallen alle Gruppen, die bewaffnet gegen die Regierung Assad agieren, unter den Begriff „Terrorismus“. Die Türkei sieht nur den IS und Al-Nusra als terroristische Verbände an, alle anderen als legitime Kräfte, die ein aus ihrer Sicht illegitim gewordenes Regime bekämpfen – und die Türkei unterstützt diese Kräfte sogar. Dass Russland auch Stellungen so genannter „moderater Rebellen“ in Latakia, Aleppo, Idlib, Hama und Homs angreift, schafft hier zusätzliche Konfrontation. Zwar wird die russische Offensive bis zu einem gewissen Grad Abschreckung entfalten, auf der anderen Seite werden die gegen Assad kämpfenden Kräfte aber auch noch enger zusammenrücken und ihre externen Unterstützer ihnen gegenüber noch spendabler werden.

Auch die Tatsache, dass Putin vor der UN-Generalversammlung neben der syrischen Armee auch noch die der PKK nahestehende PYD und deren „Volksverteidigungskräfte“ YPG, die wiederum von der Türkei als Terroristen und Gefahr für die eigene nationale Sicherheit gesehen werden, als bedeutende Anti-IS-Kraft gewürdigt hat, schafft in der Türkei Unmut. Auch die USA hatten in der Vergangenheit mit den YPG kooperiert.

Angesichts der Entwicklung stellt sich nun die Frage, was aus der Schutzzone werden soll, die vonseiten der türkischen Regierung mit den USA vereinbart worden war und die ein Territorium zwischen dem Bezirk Azaz und Jarablus umfassen soll. Die russische Militärbasis in Latakia ist nur einen Steinwurf weit davon entfernt und deshalb wird Russland zumindest keine flächendeckende Flugverbotszone über diesem Gebiet akzeptieren. Da das Interesse Ankaras, die Zukunft des Nachbarlandes Syrien in seinem Sinne zu beeinflussen, nicht so weit gehen dürfte, eine militärische Konfrontation mit der Russischen Föderation auf syrischem Territorium zu riskieren, ist davon auszugehen, dass die Türkei wohl zum einen Modifikationen hinsichtlich des Wunsches nach einer Schutzzone hinnehmen und zum anderen bei jedem künftigen militärischen Schritt und auch dem weiteren Support für die Rebellen den Faktor russischer Präsenz zu berücksichtigen wird.

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