Wenn Politiker verleumdet werden

  19 Oktober 2015    Gelesen: 555
Wenn Politiker verleumdet werden
„Deutschland verschwindet jeden Tag immer mehr, und das finde ich einfach großartig.“ Dieses Zitat soll von Jürgen Trittin stammen. Gesagt hat er den Satz nie. Im Internet werden ähnliche Fälle verbreitet - absichtlich und mit Methode.
ES ist die einfachste Sache der Welt: die Worte eines Politikers zu verdrehen, sie entstellend aus dem Zusammenhang zu reißen oder ihm einfach welche in den Mund zu legen und sie dann ins Netz zu stellen.

Der islamfeindliche Blogger Michael Mannheimer etwa verbreitet auf seiner Seite, dass Wolfgang Schäuble gesagt habe: „Wir sind dabei, das Monopol des alten Nationalstaates aufzulösen. Der Weg ist mühsam, aber es lohnt sich.“ Mannheimer regt sich ordentlich über das Zitat auf. Er schreibt: „Die Abschaffung des deutschen Nationalstaates ohne Wählerauftrag ist ein Putsch gegen das Grundgesetz und ein krimineller Akt.“ Mannheimer gibt auch eine Quelle an. Wenn man die prüft, sieht man: Zwischen den zwei Sätzen, die er zitiert, stehen noch zwei weitere. Und um die Abschaffung Deutschlands geht es auch nicht. Sondern um die Euro-Krise. Egal, der Dreck hat sich schon im Netz verbreitet. Schäuble ist ein Feind Deutschlands.

Besonders Politikern der Grünen werden solche Zitate gerne in den Mund gelegt. Da gibt es zum Beispiel einen Satz, den Cem Özdemir gesagt haben soll. „Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“ Dieses Zitat wird mit einem Link verbreitet, der zu der Quelle führt: zu einem Video. Darin interviewt Michael Stürzenberger, Mitglied der Partei „Die Freiheit“, Susanne Zeller-Hirzel, ein früheres Mitglied der „Weißen Rose“. Das Interview führt er für den Blog „PI News“ – das steht übrigens für „Politically Incorrect“. Zeller-Hirzel erzählt in dem Video, dass sie mal gehört habe, wie Özdemir den Satz einer Gruppe junger Mädchen gesagt habe. Wo und wann, das sagt sie nicht. Egal. Man hat einen knackigen Satz, und mit Quelle sieht so ein Zitat einfach besser aus. Die Leute von „PI News“ und der Freiheit sind sowieso ganz gr0ß darin, mit Zitaten und angeblichen Belegen um sich zu werfen.

Besonders häufig findet sich folgender Satz: „Deutschland verschwindet jeden Tag immer mehr, und das finde ich einfach großartig.“ Angeblich von Jürgen Trittin. Er hat das nie gesagt, aber bekommt den Satz einfach nicht weg. Obwohl Trittin es versucht. Auf seiner Website kündigt er an, juristisch gegen jeden vorzugehen, der das erfundene Zitat verbreitet.

„Quellen sind frei erfunden

Die Fälschung findet man im Netz mit gleich zwei unterschiedlichen Quellenangaben: Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 2. Januar 2005, Seite 6. Und dem Protokoll einer Plenarsitzung aus dem Bundestag, vom 23. April 1999. Die Angaben sind frei erfunden, dort findet sich das angegebene Zitat nicht. Die beiden Quellen sind online zugänglich, im F.A.Z.-Archiv (kostenpflichtig) oder auf der Seite des Bundestags (gratis). Das falsche Trittin-Zitat wird im Netz häufig sogar mit einem Link veröffentlicht. Es ist mithin einfach, die angebliche Fundstelle zu prüfen. Aber die Leute verbreiten das falsche Zitat trotzdem, mitsamt offenkundig falscher Quelle. Weil ihnen im Grunde egal ist, was Trittin gesagt hat und was nicht. Sie haben sich ihre Meinung schon gebildet. Zitate wie der Trittin-Satz dienen ihnen nur als Beleg für das, was sie eh schon zu wissen glauben: in diesem Fall, dass Trittin Deutschland abschaffen will.

Das falsche Trittin-Zitat findet sich nicht nur auf Seiten mit Namen wie „Wahrheitskampf“, „Volksbetrug“ oder „BRD-Schwindel“, sondern auch auf einer Website der CSU, Ortsverband Landshut-Stadt Ost. Mitsamt der falschen F.A.S.-Quelle. Der Ortsvorsitzende Rudolf Schnur begründet es so: Das wäre nichts, was er Herrn Trittin nicht zutrauen würde. Wenn man Schnur fragt, woher er das Zitat hat, gibt er dieselbe Antwort wie alle anderen, die das Zitat verbreiten, darunter Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker: Er kann sich nicht erinnern. Fände er auch ein bisschen viel verlangt.

Das Zitat wird bei der CSU als Teil einer Liste veröffentlicht. Sie besteht hauptsächlich aus Zitaten von den Grünen, meistens zu den Themen Migration und Islam. Das gefälschte Özdemir-Zitat aus dem Interview mit Zeller-Hirzel ist auch dabei. Aber wie entsteht so eine Liste? Schnur sagt: Man schickt sich im Ortsverein halt „interessante“ Zitate per Mail zu, die man im Netz gefunden hat. Irgendwann hat der Ortsverein entschieden, sie zu sammeln und zu veröffentlichen. Und nein – die Quellen hat Schnur nicht überprüft. Wenn da F.A.S. stehe, dann sei das ja glaubhaft, sagt er. Aber die F.A.S. hat es nie veröffentlicht – das lässt sich mit einem Zeitaufwand von weniger als einer Minute prüfen. Inzwischen, mutmaßlich infolge unserer Anfrage, ist das angebliche Trittin-Zitat von der Website verschwunden. Der Rest der Liste steht noch da.

Im Visier des Verfassungschutzes

Immer wieder stößt man im Netz auf diese Listen, über sie kommen die falschen Zitate überhaupt erst in Umlauf. In den Kommentarspalten werden sie kopiert und verbreitet, oft mit einem Link zur entsprechenden Seite. Die meisten Listen tragen die Worte „deutschlandfeindlich“ im Titel. Das erfundene Trittin-Zitat findet sich praktisch auf allen wieder. Diejenigen im Netz, die glauben, dass Deutschland abgeschafft wird und die Grünen das Land islamisieren wollen, hegen und pflegen diese Listen, sie teilen und aktualisieren sie. Kaum jemand macht sich aber die Mühe, eine solche Liste selbst zusammenzustellen. Man kopiert sie.

Eine der frühesten Listen findet sich auf der Website von Marc Doll. Der ist Mitbegründer der Partei „Die Freiheit“. Die rechtspopulistische und antiislamische Kleinpartei wird in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet. Am 14. September 2010 veröffentlichte Doll auf seiner Seite eine Liste mit dem Namen „Deutschland-feindliche Zitate von Deutschen“. Ganz oben auf der Liste stand das falsche Trittin-Zitat. Direkt darunter der angebliche Satz von Özdemir. Mit einem Link zu dem Interview, das Stürzenberger mit Susanne Zeller-Hirzel führte.

Stürzenberger und Doll kennen sich, sie waren beide in der „Freiheit“, sie haben beide auf „Politically Incorrect“ veröffentlicht – ebenso wie der anfangs erwähnte Michael Mannheimer. „Politically Incorrect“ ist ein Blog, der sich gegen eine angebliche „Islamisierung Europas“ richtet. Alle drei sind große Bewunderer der „Weißen Rose“, einer studentischen Widerstandsgruppe im Dritten Reich. Die Gruppe um die Geschwister Sophie und Hans Scholl druckte und verteilte Flugblätter, in denen sie die Verbrechen des Nazi-Regimes thematisierte. Dafür wurden mehrere Mitglieder zum Tode verurteilt. 2012 gründeten Doll, Mannheimer und Stürzenberger gemeinsam mit Zeller-Hirzel und Conny Meier, dem Geschäftsführer des antiislamischen Vereins „Pax Europa“, die „Weiße Rose“ neu.

Argumente, die man auch bei Pegida hört
Ein erstaunliches Unterfangen in einem Rechtsstaat, doch die Beteiligten sehen sich in der Tradition der Geschwister Scholl. Die Kernbotschaft der neuen „Weißen Rose“ lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Nazis waren im Grunde links. Sie sind wieder da und sitzen in Gestalt der Achtundsechziger in den Institutionen. Entsprechend ist der Pakt zwischen der Linken und der faschistoiden Ideologie des Islams folgerichtig.

Marc Doll hat seine Liste nach eigener Aussage selbst zusammengestellt. Die meisten anderen Listen im Netz gehen auf seine zurück. Oder sie sind glatte Kopien. Fragt man jedoch Doll, woher er das erfundene Trittin-Zitat hat, kommt die bekannte Antwort: Er weiß es nicht mehr. Erstaunlich. Denn Doll gehört zu einer Kerngruppe von Leuten, die wissen müssen, woher das falsche Zitat stammt und wie es verbreitet wurde.

Denn im Dunstkreis von „PI News“ und „Pax Europa“ kursiert ein 500 Seiten langer „Minority Report“ aus dem Jahr 2007. Untertitel: „Die zugelassene Islamisierung Europas“. These: Der Islam unterwandert die westlichen Gesellschaften, mit dem Ziel, sie zu unterwerfen. Und die Politiker, vor allem die Grünen, fördern das. In dem Text finden sich alle Argumente, die man heute auf Pegida-Demos hört. Auch das erfundene Trittin-Zitat steht darin: „Deutschland verschwindet immer mehr, und das finde ich schön – der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin.“ Die Website, über die man den Text runterladen konnte, war auf einen Funktionär von „Pax Europa“ registriert. Auch auf PI News wurde für den Text geworben. Außerdem verbreitet der Verfasser seinen „Minority Report“ selbst in verschiedenen Internetforen. Manchmal gibt er sich als Autor zu erkennen, lässt sich loben und verlinkt schadenfroh auf Seiten, auf denen über den Report gestritten wird. Manchmal tut er so, als sei er zufällig auf den Report gestoßen. Zum Beispiel in einem Diskussionsforum für Studenten.

Die Mitglieder von „Pax Europa“ wissen, wer der Autor ist, sie wollen es aber nicht verraten. Er ist zu feige, seinen richtigen Namen zu nennen. Im Netz nennt er sich „Frundsberg“. Es braucht halt nicht viel Mut, um einem Politiker Worte in dem Mund zu legen und ihn zu verleumden. Im Gegenteil: Es ist sogar sehr einfach.

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