Wenn “Reichsbürger“ sich mit Kalaschnikows bewaffnen
Der Anruf bei dem Luxemburger Waffenhändler war schon außergewöhnlich. Am Telefon erkundigte sich ein Kunde nach einer Kalaschnikow. Einer AK47, einem Sturmgewehr. Nicht, dass der Luxemburger Händler so etwas nicht im Sortiment hätte. Eine AK47 aus Rumänien kann man momentan zum Preis von 455 Euro bei ihm erstehen, eine gebrauchte Kalaschnikow aus DDR-Beständen, "wie neu", für 485 Euro. Problematisch war nur, dass der Interessent aus Deutschland anrief, das sah der Luxemburger an der internationalen Telefonvorwahl. Und in die BRD dürfe er keine Kriegswaffen liefern, informierte der Händler den Anrufer.
Dann wurde es merkwürdig. "Der Anrufer sagte, er sei gar kein Bürger der Bundesrepublik, er sei vielmehr ein Bürger des Deutschen Reiches. Und als solcher befugt, Waffen zu kaufen", erinnert sich der Inhaber des Waffenhandels an den weiteren Verlauf des Telefonats. Die AK 47 solle nur eine erste Bestellung sein – weitere würden folgen.
Zur Untermauerung seiner Angaben schickte der Kunde Unterlagen per E-Mail. Zertifikate, Ausweispapiere eines angeblichen Freistaates Preußen, einen Waffenschein in altdeutscher Schrift. Laufende Nummer 101. "Da wurde mir doch mulmig – ich dachte, wer von denen hat denn die anderen hundert Waffen?" Der Luxemburger schaltete das Landeskriminalamt in Düsseldorf ein. Dort fand man heraus, wer der Anrufer war: Ein 32-jähriger Mann aus Warburg im Kreis Höxter, offenbar ein Aktivist des sogenannten Freistaates Preußen, der seinen "Sitz" im Rheinland hat. Ziel der Waffenbeschaffung war vermutlich der Aufbau einer eigenen Polizeitruppe. Im März 2015 stürmte ein SEK das weitläufige Areal des Anrufers im Kreis Höxter, beschlagnahmte eine Reihe Waffen, allerdings eher altertümliche Flinten, wie eine Polizeisprecherin in Bielefeld berichtet.
Nach Einschätzung der Behörden ist der Warburger ein strammer Anhänger der Reichsbürgerbewegung – und die macht immer öfter Probleme. Reichsbürger – manche nennen sich Germaniten, andere "staatliche Selbstverwalter" – galten lange Zeit bloß als Spinner oder Verschwörungstheoretiker. Ihre Thesen klingen abstrus: Das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort, Deutschland befinde sich weiter im Krieg mit den Alliierten, weil es keinen Friedensvertrag gebe, die Bundesrepublik existiere gar nicht als Staat, sondern sei eine Firma, behaupten sie.
Vorfälle häufen sich seit zwei Jahren
Beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beobachtet man seit knapp zwei Jahren immer mehr Vorfälle mit Reichsbürgern. "Wir halten die Bewegung für höchst problematisch", sagt Burkhard Freier, Leiter des Verfassungsschutzes NRW. "Sie stellen sich zum Teil selbst Ausweise aus, es gibt angebliche Reichsminister, und sie traktieren Behörden." Es gebe wohl kaum einen Richter in NRW, der noch nicht mit Reichsbürgern oder ähnlichen Gruppierungen zu tun hatte, teilte das Justizministerium mit.
Die Sorge beim Verfassungsschutz: Aus Reichsbürgern werden Rechtsextreme. Wer tief in der Ablehnung der Bundesrepublik verhaftet ist, sei für den Extremismus der Rechten anfällig. Und umgekehrt: Die Rechten greifen diese Ideologie für ihre Zwecke auf. "Diese Ideologie ist ein Nährboden dafür, dass aus einer reinen spinnerten Ideologie auch mehr werden kann, nämlich Extremismus", sagt Freier. "Extremismus ist auf ein Freund-Feind-Denken ausgerichtet und dieses Freund-Feind-Denken führt zu Gewalt."
Auch die Bundesregierung sieht in der sogenannten Reichsbürgerbewegung eine Gefahr für die innere Sicherheit. Es bestehe das "Risiko, dass radikalisierte Einzeltäter ähnliche Straftaten" begingen wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik oder die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, hieß es 2012 in einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke.
Reichsbürger lehnen die staatliche Autorität der Bundesrepublik, kommunale Behörden und Gerichte ab. Manche versuchen, sich vor Steuerforderungen zu drücken, andere missachten Urteile. Manchmal brechen sie wegen eines Parkknöllchens einen Grundsatzstreit vom Zaun. So geschehen in Sundern im Sauerland. Weil ein Anhänger der Reichsbürgerbewegung das Knöllchen als ungerechtfertigt ansah, als einen Akt staatlicher Schikane, drohte der Mann einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes hohe Schadensersatzforderungen an. "Mein Kollege hat das als bedrängend, bedrohend empfunden", sagt Sunderns Ordnungsamtsleiter Stephan Urny. "Die Reichsbürger gehen die Mitarbeiter direkt an, nicht die Behörde, die sie ja nicht akzeptieren." Besonders kritisch findet Urny dabei, dass "horrende Schadensersatzforderungen direkt die Mitarbeiter betreffen, also nicht die Behörde. Und das ist schon sehr, sehr grenzwertig."
Reichsbürger legen eigene Schuldnerverzeichnisse an
Im Siegerland fordert zurzeit ein Anhänger der Reichsbürgerbewegung Behörden und Gerichte heraus. Den Siegener Landrat, einen Bürgermeister und einen Verwaltungsmitarbeiter hat er in ein Schuldnerverzeichnis im Internet eingetragen, offenbar, weil sie seine Schadensersatzforderungen nicht bezahlen. Auf journalistische Nachfragen reagiert der Mann nicht.
Auch die Siegener Amtsrichterin Susanne Kuschmann steht in dem Schuldnerverzeichnis. 7,5 Millionen Euro, zahlbar in Feinsilber, fordert der Mann von ihr. Als Grund dafür vermutet Richterin Kuschmann, dass sie eine Anordnung aus einem Urteil gegen den betreffenden Mann nicht zurückgenommen hatte. "Es ist ein Versuch, Behinderungen auszuüben und das System ein bisschen zu blockieren. Letztlich gelingt das nicht, es macht alles aber aufwendiger", sagt Kuschmann.
Wenn es den Reichsbürgern gelingt, ihre angeblichen Schadensersatzforderungen nicht nur in selbst angelegten Internet-Schuldnerverzeichnisse einzutragen, ist das meistens nur der Versuch einer Rufschädigung. Brenzliger wird es, wenn die Forderungen im Schuldnerverzeichnis von Malta landen – wie schon mehrfach von Reichsbürgern praktiziert. "Inhaltlich ist das Unsinn, aber das Problem ist, da hat man einen Vollstreckungsbescheid eines EU-Staates, und da muss man juristisch gegen vorgehen", rät der Verfassungsschutz.
Erfahrungen wie die des Ordnungsamtsleiters und der Richterin machen derzeit Behörden in vielen nordrhein-westfälischen Städten. Das Landesinnenministerium hat bereits Handlungsempfehlungen an die Kommunen verschickt. Darin wird geraten, sich nicht auf Diskussionen einzulassen, Forderungen auch juristisch durchsetzen – und verstärkt auf Eigensicherung beim Kontakt mit Reichsbürgern zu setzen.
Das auch vor dem Hintergrund, dass viele Reichsbürger eine Nähe zum Rechtsextremismus haben. "Waffenbesitz bei Ideologen, die eigentlich die Bundesrepublik Deutschland ablehnen, ist höchst gefährlich, und deswegen sind wir als Sicherheitsbehörden da besonders sensibel", sagt Burkhard Freier. "Hier besteht die Gefahr, dass die Waffen möglicherweise eingesetzt werden."
Der Vertreter des "Freistaates Preußen", der eine Kalaschnikow kaufen wollte, wurde kürzlich vom Landgericht Paderborn freigesprochen. Weil dem Waffenhändler rechtzeitig auffiel, wie abstrus die Legitimation des Reichsbürgers war, sei es beim nicht strafbaren Versuch geblieben, urteilte das Gericht.
Quelle: welt.de