Er lacht. Sekundenlang. Weil Joachim Gauck eben genau diese Frage erwartet hat. "Fühlt sich diese Reise anders an für Sie?"
Es ist Montagnachmittag, gerade hat Gauck mit Rumäniens Staatsoberhaupt Klaus Johannis zusammengesessen, jetzt stehen die beiden im prächtigen Präsidentenpalast Cotroceni vor den Fahnen ihrer Länder. Gemeinsame Pressekonferenz. Sie haben bereits auf Fragen zu den Beziehungen ihrer Staaten geantwortet, zur mühsamen Korruptionsbekämpfung in Rumänien, zur Bündnistreue der Nato. Alles große wichtige Themen. Aber nun kommt diese Frage an den deutschen Bundespräsidenten: Die mit der Reise und dem Gefühl. Und da lacht er erst mal.
Dann sagt Gauck. "Eindeutig nein." Er reise mit derselben Haltung hierher wie zuvor nach China oder in andere Staaten. Und dann geht es auch schon wieder um Russland, das Minsker Abkommen, die deutsche Außenpolitik.
Doch wer Joachim Gauck ein bisschen kennt, ahnt, dass er nicht die ganze Wahrheit gesagt hat. Denn natürlich reist da ein anderer Bundespräsident durch Rumänien und anschließend weiter nach Bulgarien und Slowenien, seitdem er seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit angekündigt hat.
Da gibt es noch einige Herzensangelegenheiten
Die Entscheidung war nicht leicht, er hatte sie schon mal so gut wie getroffen, war dann aber wieder ins Nachdenken gekommen. Am Ende hat Gauck sich für seinen ursprünglichen Impuls entschieden, gegen das Weitermachen. Vor allem aus Altersgründen, mit 76 Jahren. Das hat ihn befreit, als es endlich raus war.
Er ist jetzt das, was die Amerikaner eine Lame Duck, eine lahme Ente, nennen. Aber man hat ja zuletzt an US-Präsident Barack Obama erkennen können, wozu Politiker der Kategorie Auslaufmodell in der Lage sind: Obama dreht noch einmal richtig auf. Das scheint auch der Plan des deutschen Präsidenten zu sein, selbst wenn er das so nicht formulieren würde. Seinen Gastgebern in Bukarest, Sofia oder Ljubljana ist sowieso egal, dass Gauck im kommenden Frühjahr aus dem Amt scheidet. Hauptsache, der deutsche Bundespräsident ist da.
Gauck hat jetzt nur noch achteinhalb Monate als Staatsoberhaupt. Und es gibt so einige Herzensangelegenheiten, die derzeit gar nicht nach seinem Geschmack laufen. Vor allem das Thema Europa.
In Bukarest hat Gauck am ersten Tag seines Besuchs brav alle protokollarischen Pflichten erfüllt: Präsidentenpalast, Parlament, Sitz des Regierungschefs samt Gesprächen mit allen Amtsträgern, zwischendurch legte er noch in der Nachmittagshitze einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten nieder. Abends dann noch ein Staatsbankett mit Amtskollege Johannis. Aber viel wichtiger ist ihm seine Europarede am Dienstagvormittag.
Gauck kommt endlich zum Kern der Krise
Er hat im Februar 2013 schon einmal in Schloss Bellevue über Europa gesprochen. Aber die Rede ist damals ziemlich verpufft, sie war ein bisschen zu blutleer, zu glattgebügelt. Der Bundespräsident wollte seinerzeit den großen Wurf mit dieser Rede landen, zeigen, dass er nach einem knappen Jahr im Amt angekommen war. Daraus wurde nichts.
Nun hat sich Gaucks Präsidentschaft auch ohne große Europa-Rede gut entwickelt - während es Europa immer schlechter geht: Am Donnerstag könnten die Briten für das Verlassen der Europäischen Union stimmen, in der Flüchtlingspolitik ist die EU zerstritten, Griechenland macht weiter Sorgen.
Und was tut Gauck? Der Präsident kommt endlich zum Kern der Krise. Das Problem Europas, sagt er in der Nationalbibliothek Bukarest, sei die zunehmende Diskurs-Unfähigkeit seiner Bewohner. Auf der einen Seite, sagt der Bundespräsident, stünden in Europa die Super-Aufgeklärten - auf der anderen Seite diejenigen, "die mit trotziger Abwehr auf jedes Fremd- oder Anderssein reagieren". Es entstünden "sich voneinander abschließende Meinungsmilieus". Gauck konstatiert: "Die Folgen sind intellektueller Isolationismus und moralischer Autismus." Das trifft aktuell ziemlich gut den unversöhnlichen Kampf in Großbritannien zwischen Brexit-Befürwortern und -Gegnern.
Vehementer Einsatz für die Vernunft
Was also tun? Streit ist gut, sagt der Bundespräsident - aber er muss eben so stattfinden, dass man den Argumenten des anderen erstmal zuhört. Damit, sagt Gauck, "jeder in dem schönen großen Europa nicht mehr nur sein eigenes kleines Universum bewohnt, in dem er von morgens bis abends Recht hat".
Die Briten werden nicht mehr auf den deutschen Präsidenten hören. Gauck hofft, dass sich am Ende doch noch die Brexit-Gegner durchsetzen, dann wäre für den Moment das Schlimmste verhindert. Aber das von ihm freigelegte Grundproblem ist damit ja noch nicht gelöst - auch mit Blick auf Debatten in seinem eigenen Land.
Der Bundespräsident dürfte sich noch mit manchem in Deutschland anlegen bis zum Ausscheiden aus dem Amt. Joachim Gauck will die Sache gut zu Ende bringen, aber er will seine verbleibende Autorität auch noch maximal einsetzen. "Wir brauchen Leidenschaft für Vernunft", sagt Gauck in der Bukarester Nationalbibliothek. Es könnten noch sehr leidenschaftliche Monate werden.
Quelle: spiegel.de
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