Leonid Sluzki brauchte nicht viele Worte. "Als Erstes und Wichtigstes möchte ich mich bei den russischen Fans für unsere Leistungen hier entschuldigen", begann er. "Ob im Stadion oder zu Hause am Fernseher – das haben sie nicht verdient." Im Folgenden bat Russlands Trainer, die Verantwortung doch bitte nur ihm zu geben. "Ich hatte genug Zeit, die Spieler auszuwählen und vorzubereiten", erklärte er den Journalisten. "Bitte konzentrieren Sie sich nicht auf einzelne Spieler, sondern auf mich." Wären doch seine Kicker nur auch mal so vorangegangen.
Die boten beim 0:3 gegen Wales eine schlimme Vorstellung. Allein wie ungestört Gareth Bale immer wieder über das Feld galoppieren durfte – teilweise legte er sich den Ball dabei selbst vor –, stellte den Russen ein erbärmliches Zeugnis aus. Wieder einmal zeigten sie in einem entscheidenden Match keine Wettkampfhärte, ja nicht mal sonderliches Interesse.
2012, 2014, 2016 – es war das dritte Turnier nacheinander, in dem Russland mit Chancen auf den Einzug in die K.-o.-Runde in die letzte Gruppenpartie ging. Griechenland, Algerien und Wales erwiesen sich dabei als unüberwindliche Hürden, und diesmal war es nicht mal knapp. 2018 wird nun bekanntlich die Weltmeisterschaft im eigenen Land gespielt. Dort werden sie solche Blamagen erst recht nicht gern sehen wollen.
Das Gejammer ist jedenfalls groß. "Wir haben wieder versagt. Die russische Nationalmannschaft wurde zerquetscht, zerstört, erniedrigt und beleidigt", schrieb die Zeitung "Sport Express".
Russlands Nationaltrainer zieht sich auf alten Posten zurück
"Nach solchen Leistungen braucht es einen neuen Trainer", sagte der massige Sluzki, der 45 Jahre alt ist, aber – bei einem Mann darf man das ja sagen –, um einiges älter aussieht. Er wird sich jetzt wieder auf sein langjähriges Amt als Trainer von ZSKA Moskau zurückziehen. Einen Vertrag hatte er sowieso nicht, nach dem teuren Desaster mit seinem Vorgänger Fabio Capello hatte der Verband ihn um Nothilfe gebeten. Davon abgesehen machte Sluzki aber auch nicht den Eindruck, sich an den Job zu klammern.
Seinen Nachfolger erwartet eine Herkulesaufgabe. Wie antiquiert die Strukturen um die Nationalmannschaft sind, war nach der Partie gut zu beobachten. Bis auf Kapitän Roman Schirokow gingen alle Spieler wortlos zum Bus, auch der gegen Wales nicht eingesetzte Roman Neustädter vom FC Schalke 04. Anstelle der eigentlich Verantwortlichen übernahm Sportminister Vitali Mutko die Analyse der Lage.
Der neue Trainer sieht sich allerdings nicht nur mit dem Mentalitätsproblem von Spielern konfrontiert, die sich zu leicht hinter Hierarchien verstecken. Schon nächstes Jahr beim Konföderationen-Pokal in Russland wird er besagter Nomenklatura auch Fortschritte präsentieren müssen. Der Talentepool dafür bleibt überschaubar. Dass in der Innenverteidigung immer noch der 36-jährige Sergej Ignaschewitsch und der 32-jährige Wassili Beresuzki erste Wahl sind, sagt einiges aus. Wie der Umstand, dass zwar in Frankreich einige Schlüsselspieler verletzt fehlten, von ihnen aber nur die Offensivkraft Alan Dsagojew nicht bereits weit über 30 Jahre alt ist.
Nun reist Russland also nach Hause, und am meisten freut sich darüber wohl die französische Polizei, die jetzt zumindest ein Problem weniger hat. Am Spieltag hatte sie sich noch ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem Ultraführer Alexander Schprygin geliefert. Der eigentlich ausgewiesene Fan tauchte wieder in Frankreich auf, brachte es bis zum Stadion in Toulouse und dokumentierte seinen Undercover-Trip in den sozialen Netzwerken, ehe er erneut festgenommen wurde.
Immerhin, in der Stadt blieb es angesichts von 1900 Polizisten und geschlossenen Straßencafés ruhig. Als Preis dafür wirkte Toulouse an vielen Ecken wie eine Geisterstadt. Und so kann es ja auch nicht ewig weitergehen.
Quelle: n24.de
Tags: