Der halb überzeugte Europäer
Als David Cameron 2005 zum Parteivorsitzenden der britischen Konservativen gewählt wurde, las er seiner Partei erst einmal die Leviten: "Statt darüber zu reden, was die meisten Leute interessiert, haben wir darüber geredet, was uns am meisten interessiert. Während Eltern sich Sorgen um die Betreuung ihrer Kinder gemacht haben, ihre Kinder durch die Schule zu bekommen und eine Balance zwischen Arbeit und Familie zu finden, haben wir über Europa geschwafelt", sagte Cameron vor elf Jahren.
Europa aus dem Fokus - das war die Strategie
Cameron wollte das Thema Europa in seiner Partei endlich abhaken. Der ständige Streit der Konservativen darüber hatte nicht nur Premierminister John Major das Amt gekostet, sondern auch Tony Blairs Labour-Partei an die Macht geführt und den Konservativen eine Wahlschlappe nach der anderen eingebracht.
Cameron setzte bewusst auf andere Themen und hatte damit Erfolg. 2010 schafften die Konservativen zwar nicht die absolute Mehrheit, wurden aber stärkste Partei im Unterhaus und Cameron konnte zusammen mit den europafreundlichen Liberaldemokraten eine Koalition bilden. "An eines glaube ich ganz fest: Dass Großbritanniens nationalem Interesse am besten in einer flexiblen, anpassungsfähigen und offenen Union gedient ist, und dass eine solche Europäische Union am besten ist, wenn Großbritannien dazugehört."
Cameron beugte sich dem Druck
Um aber seine Partei bei Laune zu halten, trat Cameron in Brüssel als harter Hund auf, pochte dort auf die nationalen Interessen seines Landes und weigerte sich zum Beispiel, dem Fiskalpakt beizutreten. Genützt hat ihm das in seiner Partei nichts.
Die EU-Gegner bei den Tories beharrten auf einer Volksabstimmung über die Mitgliedschaft in der EU. Und gleichzeitig bekam die United Kingdom Independence Party, die UKIP des Rechtspopulisten von Nigel Farage, immer mehr Zulauf von konservativen, europaskeptischen Wählern. Im Januar 2013 ergab sich der Premierminister dem Druck und kündigte ein Referendum an: "Diejenigen, die eine Befragung des britischen Volkes ablehnen, erhöhen in meinen Augen sogar die Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwann austreten. Das ist der Grund, warum ich mich für ein Referendum stark mache. Ich halte es für das Richtige, sich dieser Debatte zu stellen, sie mitzugestalten und anzuführen - und nicht einfach zu hoffen, dass eine schwierige Situation von allein vorbeigeht."
Cameron bekam sein Geschenk
Camerons Strategie: mit der EU über Reformen verhandeln, die Großbritannien nützen, und dann die Briten über diese reformierte EU abstimmen lassen. Auf dem EU-Gipfel, in den frühen Morgenstunden des 20. Februar 2016, bekam er sein Geschenk-Paket - unter anderem die Zusage, zugewanderte EU-Bürger von bestimmten Soziallleistungen in Großbritannien ausschließen zu dürfen.
Wenige Stunden danach setzte der Premierminister den 23. Juni als Termin für das Referendum fest und wandte sich an die Briten: "Ich liebe Brüssel nicht, ich liebe Großbritannien. Und ich bin der Erste, der sagt, dass Europa sich in vielerlei Weise verbessern muss", sagte er. "Die Aufgabe, Europa zu reformieren, endet nicht mit den Beschlüssen dieses Gipfels. Die Entscheidung liegt jetzt in Ihren Händen, aber meine Empfehlung ist klar. Ich glaube, dass Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union sicherer, stärker und besser dran ist."
Camerons Hoffnung: mit einem Ja des britischen Volkes den ewigen Streit über Europa, vor allem in seiner eigenen Partei, endlich zu beenden. Doch diese Hoffnung könnte trügen. Sein Kabinett ist gespalten, und der erbitterte Kampf um die Stimmen der Bürger bei diesem Referendum hat die Gräben zwischen den Tories noch weiter aufgerissen.
Quelle: tagesschau.de