In Europa herrscht eine schlechte Zahlungsmoral. Durchschnittlich jede fünfte Rechnung wird von Unternehmen und Privatkunden zu spät oder gar nicht beglichen, meldet Deutschlands größter Inkassoanbieter EOS in der aktuellen Studie "Europäische Zahlungsgewohnheiten", die der "Welt" exklusiv vorliegt.
"Der Anteil der säumigen Zahler steigt – das ist ein Warnsignal für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Europa", kommentiert Klaus Engberding, der Geschäftsführer der Otto-Tochter.
Vor allem in Ost- und Südosteuropa kommt es regelmäßig zu Verspätungen und Ausfällen. In Griechenland etwa werden lediglich 72 Prozent der Rechnungen termingerecht bezahlt. Und auch in Rumänien, Bulgarien und der Slowakei bleibt der Wert mit 73 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt. Besser sieht es dagegen im Westen Europas aus, allen voran in Deutschland.
Rechnungsstellen fehlen Milliarden
"Deutsche Kunden sind die zuverlässigsten Zahler in Europa", beschreibt Engberding. Immerhin 83 Prozent der Firmen und Privatkunden hierzulande begleichen ihre Ausstände innerhalb der gesetzten Fristen, heißt es in der Studie, für die TNS Infratest 3000 Entscheider in 14 europäischen Ländern befragt hat. In Spanien und Österreich wiederum sind es 81 Prozent, in Frankreich immerhin noch 79 Prozent. Trotzdem schlägt Engberding Alarm: Im internationalen Vergleich sei der deutsche Wert zwar relativ gut. "Betriebswirtschaftlich gesehen ist diese Zahl trotzdem dramatisch."
Tatsächlich fehlen den Rechnungsstellern Jahr für Jahr hohe Milliardenbeträge. Und das gefährdet Existenzen. Vor allem Kleinbetriebe geraten in große Schwierigkeiten, wenn ihre Leistungen zu spät oder gar nicht bezahlt werden. "Der Ausfall einiger wichtiger Forderungen kann schnell das komplette Jahresergebnis vernichten", heißt es auch in der Studie.
"Oft ergibt sich eine Kettenreaktion: Wenn Firma A ihre Rechnung nicht oder deutlich verspätet bezahlt, bekommt Firma B auch Probleme und wartet mit der Zahlung an Firma C. Und am Ende ist eine der Firmen in Zahlungsschwierigkeiten", beschreibt EOS-Vertreter Engberding, dessen Firma für rund 20.000 Kunden offene Rechnungen eintreibt.
Liquiditätsengpässe sind dementsprechend der mit Abstand am häufigsten genannte Grund für Zahlungsausfälle oder -verzögerungen bei Geschäftskunden. Schon jeder zweite Unternehmer führt diese Begründung für das Ausbleiben von Zahlungen an. Zweithäufigster Grund sind Zahlungsausfälle bei eigenen Kunden, darüber hinaus werden zudem die Konjunkturlage, Insolvenzen und mangelnde Professionalität bei der Rechnungsbearbeitung genannt.
Vorsatz als Grund für ausbleibende Zahlungen
Bei den Privatkunden wiederum listet die Studie Arbeitslosigkeit als Hauptgrund für eine schlechte Zahlungsmoral auf, gefolgt von einem vorübergehenden Liquiditätsengpass und Überschuldung sowie schlicht Vergesslichkeit. Immerhin 20 Prozent der Privatkunden gestehen zudem Vorsatz als Grund für ausbleibende Zahlungen – fünf Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor.
Für Inkassomanager Engberding ist das ein alarmierendes Zeichen. Er findet deutliche Worte dafür: "Das ist Betrug." Betroffen seien davon insbesondere Anbieter mit Sortimenten, deren Produkte sich schnell zu Geld machen lassen, also etwa Technik wie Fernseher oder Smartphones.
Komplettausfälle von Forderungen kommen dabei vor allem in Osteuropa vor. Griechenland, Ungarn und die Slowakei liegen hier an der Spitze mit einem Anteil von jeweils stattlichen fünf Prozent. Im europäischen Durchschnitt bleiben drei Prozent der Rechnungen uneinbringlich, wie es im Amtsdeutsch heißt. In Deutschland liegt der entsprechende Anteil bei lediglich einem Prozent – wobei auch das noch immer Milliardensummen sind, wie Experten betonen.
Fristen werden verlängert
Reagiert haben Unternehmen auf die schwindende Zahlungsmoral vielfach mit einer Verlängerung der Zahlungsziele. Offenbar lässt die Angst vor Kundenverlusten viele Unternehmen im Umgang mit säumigen Zahlern zögerlich werden. Immerhin 36 Tage hatten Schuldner 2015 Zeit, um Rechnungen zu bezahlen, zeigt die Inkassostudie. Das sind zwei Tage mehr als noch ein Jahr zuvor.
In Großbritannien wurden die Fristen sogar um vier Tage auf 35 verlängert, in Ungarn um sieben Tage auf 38. Größer sind die Fristen nur noch in Spanien mit 40 Tagen und in Griechenland mit fast 50 Tagen. Erfolge gibt es deswegen aber nicht. "Entgegen der Annahme, dass durch längere Zahlungsfristen der Anteil pünktlicher Zahlungen steigt, scheinen Kunden die Bezahlung sogar noch weiter hinauszuzögern", berichtet Hans-Werner Scherer, der Vorsitzende der Geschäftsführung von EOS.
Die Verlängerung der Zahlungsziele dürfte aber nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls vergrößern. Gleichzeitig droht auch Ärger mit dem Gesetz. Denn eine europäische Richtlinie sieht vor, dass Zahlungsfristen in der Regel nicht mehr als 30 Tage betragen dürfen, um die Liquidität und damit die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern.
Zahlungsmoral wird weiter sinken
In Deutschland gibt es deswegen seit zwei Jahren das "Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr". Seither haben sich die Zahlungsziele hierzulande deutlich verkürzt auf aktuell nur noch 23 Tage, das ist europäische Spitze. Zudem gehören Vertragsklauseln, nach denen zum Beispiel Handwerker bis zu 90 Tage auf ihr Geld warten müssen, der Vergangenheit an. "Das Gesetz hat damals Impulse gesetzt", sagt Experte Engberding. "Mittlerweile scheinen sie aber wieder verpufft."
Für die kommenden Monate rechnet Engberding mit einer weiter sinkenden Zahlungsmoral. Zumal die Wachstumsprognosen allenfalls stagnieren. Und bei schlechter Konjunkturlage steigen die Verzögerungen und Ausfälle, wie die Erfahrung zeigt. Noch dazu stehen kritische Entscheidungen an. "Die Zahlungsmoral kann sich in den kommenden Monaten weiter verschlechtern, je nachdem wie die Entscheidungen ausfallen beim Brexit-Referendum, beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekauf der Europäischen Zentralbank und bei der Zinsfestlegung der Fed in den USA", sagt Engberding.
Laut dem Experten arbeiten 44 Prozent der Unternehmen in Europa mit einem Inkassodienstleister zusammen. Die Unternehmen selbst scheinen pessimistisch gestimmt. Von den für die Studie befragten Firmen jedenfalls glaubt lediglich ein Viertel, dass sich die Zahlungsmoral im Jahr 2016 wieder verbessert. In Westeuropa ist die Skepsis dabei deutlich höher als im Osten. Denn je schlechter die derzeitige Zahlungstreue, desto höher sind die Hoffnungen in eine Verbesserung der Zahlungsmoral, sagen Experten.
Quelle: n24.de
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