Umweltschutz: Was wurde aus den hochgelobten Biokunststoffen?

  26 Juni 2016    Gelesen: 555
Umweltschutz: Was wurde aus den hochgelobten Biokunststoffen?
Plastik ist eines der größten Umweltprobleme unseres Planeten. Biologisch abbaubare Kunststoffe schienen die Lösung gegen die Müllflut zu sein. Warum haben sie sich dann nicht durchgesetzt?
Wenn es um ein Ranking der Ursachen für langfristige Umweltprobleme ginge, stünden Kunststoffe mit an der Spitze: Weltweit werden jährlich wohl mehr als 250 Millionen Tonnen produziert. Die Recyclingquote liegt unter fünf Prozent, viel mehr wird verbrannt, was - je nach Material - neben Klimagasen oft auch Gifte freisetzt.

Der Rest des Mülls landet auf Halden oder in der Umwelt. Dort brauchen Kunststoffflaschen und Plastiktüten geschätzt 450 Jahre, bis sie sich zersetzt haben. Aktuell ist das ein Problem, langfristig gesehen aber schon jetzt eine Katastrophe.

Da klingt das Versprechen auf Kunststoffe, die das Prädikat "Bio" verdienen, nach einer verlockenden Alternative. In den Jahren 2011 und 2012 waren die Medien voll davon: Von Bakterien produzierte Öl-Ersatzstoffe, Plastik aus Pflanzen, aus Schlachthofabfällen oder direkt aus dem Klimagas CO2, stets voll kompostierbar oder doch zumindest biologisch abbaubar. Großunternehmen stiegen in die Produktion ein, und schnell tranken selbst Fußballfans im Stadion ihr Bierchen aus Maisstärke-Bechern.

Doch der Produktwechsel blieb aus. Plastik wird nach wie vor meist aus Öl gemacht, Biokunststoffe blieben selten und gelten längst nicht mehr als Lösung unserer Müll-Probleme. Warum aber konnten sie sich nicht durchsetzen?

Zunächst einmal, meint Gerhard Kotschik, Verpackungsexperte beim Umweltbundesamt, müsse man sich klar machen, was mit dem Begriff Biokunststoff eigentlich genau gemeint ist: "Die Vorsilbe `Bio` hat zwei Bedeutungen: Einmal kann sie für biobasiert stehen, also aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, wie zum Beispiel aus Mais oder Kartoffeln. Oder sie steht dafür, dass der Kunststoff biologisch abgebaut werden kann."

Beides heiße aber nicht zwingend, dass "Bio" auch gut für die Umwelt ist: "Nicht jeder Kunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen ist biologisch abbaubar. Und nicht alle biologisch abbaubaren Kunststoffe sind aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt."

Um also eine qualifizierte Aussage über die Klimaneutralität von Biokunststoffen treffen zu können, muss immer die gesamte Produktionskette vom Anbau der Rohstoffe bis zur Entsorgung betrachtet werden. "Biobasierte Kunststoffe sind noch längst nicht umweltfreundlicher als herkömmliche", sagt Kotschik. Sie sparten bei Herstellung und Entsorgung zwar C02 ein und auch der Produktionsprozess komme mit weniger Erdöl aus. Aber: "Biobasierte Kunststoffe bringen neue Probleme mit sich."

Der Anbau von Mais, Kartoffeln oder Zuckerrohr wirke sich negativ auf die Umwelt aus. Auch hierfür werde Erdöl benötigt. Dazu komme Überdüngung, was dazu führe, dass zu viele Nährstoffe in Flüsse und Seen gelangten.

Und wie sieht es mit der zweiten Variante aus, den biologisch abbaubaren Biokunststoffen? "Man muss leider sagen, dass auch der biologische Abbau zu keinem Nutzen führt", sagt Kotschik. "Dass biologisch abbaubare Kunststoffe vollständig kompostierbar sind, ist leider ein Irrglaube." Denn das funktioniert nur unter Wärmezufuhr, doch die meisten Biokunststoffe landen nie in einer entsprechenden Aufarbeitung.

Schaue man auf die Ökobilanz, bringe die Abbaubarkeit bei Kunststoffen keine Vorteile: "Da sich Biokunststoffe beim Abbau wie bei der Verbrennung in CO2 und Wasser auflösen und keine wertvollen Bestandteile bilden, schneidet die energetische Verwertung - das Verbrennen in der Müllverbrennung - im Ergebnis sogar besser ab."

Bioplastik: Möglich, aber ökologisch nutzlos

Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft bei der nichtstaatlichen Deutschen Umwelthilfe, geht deshalb sogar so weit, im Zusammenhang mit Biokunststoffen von Verbrauchertäuschung zu sprechen: "Beim Kauf mancher Joghurtbecher aus Bioplastik wird dem Käufer etwas vorgegaukelt. Er soll mit gutem Gewissen - für meist auch noch einen höheren Preis - seinen Plastikbecher kaufen. Das ist reines Greenwashing."

Bioplastik - so das Fazit - ist also nicht nur teurer, sondern auch keinesfalls besser als normaler Kunststoff. Durchsetzen konnte sich das vermeintliche Ökomaterial deshalb nicht.

Besser wäre es, so Fischer, für die Herstellung von Plastik künftig sogenannte biogene Abfallstoffe zu nutzen. "Das sind Kartoffelschalen, Strohstängel - einfach Biomüll." Zum jetzigen Zeitpunkt sei dieser Verarbeitungsprozess infolge der komplizierten Logistik allerdings noch unwirtschaftlich. "Da ist es viel einfacher, mal eben so ein Maisfeld anzupflanzen und abzuernten." Die umweltfreundlichste Lösung sei daher immer noch, einfach weniger Verpackungen zu verbrauchen.

Umweltbundesamt-Experte Kotschik erinnert aber auch daran, dass Verpackungen einen Zweck erfüllen - sie schützen das Produkt. Und das habe, so Kotschik, "einen wesentlich höheren ökologischen Rucksack als die Verpackungen an sich". Zu viel Verzicht kann sich also auch negativ auswirken.

Anders sieht das bei den sehr häufig völlig überflüssigen Plastiktüten aus. Sie spielen eine große Rolle bei der Verschmutzung der Ozeane und sind ein Symbol für eine weitverbreitete Wegwerfmentalität. "Beim Kauf von Nasentropfen in der Apotheke brauche ich schlicht keine Plastiktüte", sagt Kotschik.

Etikettenschwindel: Der Kunde soll sich "Bio" fühlen

Alternativen bietet der Markt dem zunehmend umweltbewussten Verbraucher ja genug: Einwegtüten mit hohem Recyclinganteil, Mehrwegtüten aus Baumwolle, Papiertüten oder biologisch abbaubare Plastiktüten.

Doch auch hier entpuppen sich vermeintliche Bio-Lösungen nicht als die beste Option. Die Deutsche Umwelthilfe zog den Vergleich - und der fällt ausgerechnet für die "Bioplastiktüte mit Anteilen nachwachsender Rohstoffe" nicht gut aus: Sie, bilanziert die Umwelthilfe, sei sogar die schlechteste aller Einweg-Tütenvarianten.

Neben dem hohen Aufwand für den Anbau geeigneter Energiepflanzen wirke sich bei ihnen der größere Materialaufwand negativ auf die Ökobilanz aus. Denn im Vergleich zu rohölbasierten Tragetaschen müsse ihre Tütenfolie dickwandiger sein, um dieselbe Reißfestigkeit zu besitzen.

Auch die vermeintlich umweltfreundliche Papiertüte ist der Kunststoffvariante nicht generell vorzuziehen: Ihre Herstellung ist Material-, Energie- und Chemie-aufwendig. Eine Papiertüte wird daher erst dann ökologisch interessant, wenn sie drei- bis viermal benutzt wird. Ein Baumwollbeutel muss sogar zwischen 25 und 32 mal wiederverwendet werden, bis der "ökologische Rucksack" aus seinem Herstellungsprozess abgebaut ist.

So entpuppt sich das Prinzip Enthaltsamkeit als die ökologisch sinnvollste Variante - und die Bioplastiktüte scheiterte, weil sie schlicht nicht "Bio" war. "Die beste Tüte", so das Fazit von Umwelt-Lobbyist Thomas Fischer, "ist diejenige, die gar nicht erst entsteht."


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