Der Subtext ist klar: Schade, dass es diesmal noch nicht geklappt hat, aber schon bald wird es soweit sein. Dann bricht das System der "Altparteien" zusammen. Dann schlägt auch die Stunde der AfD. Und die von FPÖ, Front National und all ihren rechten Freunden in Europa.
Eine Partei, die politisch rechts steht und ganz offensichtlich den Systemzusammenbruch herbeisehnt, ist zweifellos keine "normale" Partei im demokratischen Wettstreit einer pluralistischen repräsentativen Demokratie. Was aber ist sie dann? Rechtsradikal? Rechtspopulistisch? Oder gar rechtsextrem? Die Konfusion der Begriffe ist groß und ihr Gebrauch keineswegs einheitlich. Dabei ist eine Unterscheidung durchaus möglich, solange man sich bewusst ist, dass die Grenzen fließend sind und sich Parteien auch in die eine oder andere Richtung verändern können.
Innerhalb oder außerhalb des demokratischen Systems?
Der Terminus radikale Rechte eignet sich - zumal wenn man das Problem auf internationaler Ebene in den Blick nimmt - als Oberbegriff für unterschiedliche Ausprägungen von rechten Parteien, Bewegungen und Milieus. Mal können sich diese am rechten gesellschaftlichen Rand bewegen, mal den Mainstream bestimmen. Sie können politisch marginalisiert sein oder mit absoluter Mehrheit regieren. Ein Kriterium für die Unterscheidung ist, ob sie eher noch innerhalb des demokratischen Systems zu verorten sind oder außerhalb: Neofaschistische bzw. neonazistische Organisationen, die sich - häufig in Verbindung mit Gewaltbereitschaft - offen rassistisch, antisemitisch und demokratiefeindlich positionieren, sind rechtsextrem, was freilich keineswegs heißt, dass Parteien aus diesem Spektrum nicht auch bei demokratischen Wahlen antreten.
Anders als Rechtsextremisten oder sogar Rechtsterroristen wie der NSU markieren Rechtspopulisten die Grauzone zwischen demokratisch-konservativ und rechtsextrem. Bezogen auf Deutschland heißt das: Die NPD ist eine rechtsextreme, die AfD eine rechtspopulistische Partei.
Populismus (den es auch als linke Spielart gibt) ist zunächst vor allem ein politischer Stil. Er lädt sich aber mit Inhalten auf und wird zu Rechtspopulismus, sobald zu der Anti-Establishment-Attitüde "Wir hier unten" gegen "Die da oben" noch das "Wir" gegen "die anderen" kommt. Dabei wird bewusst unklar gehalten, wer genau mit "Wir" gemeint ist. Auch bezüglich der "anderen", gegen die sich der Rechtspopulismus kulturell abgrenzt, herrscht eine gewisse Flexibilität: Muslime, Juden, Sinti und Roma, Flüchtlinge, nationale Minderheiten oder gerne auch die "Brüsseler Bürokraten" - je nach Kontext und politischer Lage bedient man sich der Feindbilder, die am besten geeignet scheinen, Sündenböcke zu schaffen und einfache Antworten auf schwierige Fragen zu geben.
Tabubrüche und Deutschtümelei
Zurück zu Herrn Jongen: Der AfD schwebt zwar anstelle des "morschen Systems" sicher kein neonazistischer Führerstaat vor, aber eben auch keine liberale und schon gar keine soziale Demokratie im Sinne eines Verfassungspatriotismus bundesrepublikanischer Prägung. Im Gegenteil: Die Forderung nach "Tabubrüchen" ist integraler Bestandteil rechtspopulistischer Argumentation, denn genau das spricht Protestwähler an. Über die reine Protestklientel hinaus bedient eine Partei wie die AfD aber auch die Nachfrage nach bestimmten Inhalten: Autoritarismus und Deutschtümelei zum Beispiel oder reaktionäre Positionen in familienpolitischen Fragen. Bei seinem Auftritt in der Sendung "Anne Will" hat Alexander Gauland das gerade wieder sehr deutlich gemacht. Es entstünde eine "neue Gemengelage", sagte er, wenn Flüchtlinge "Teil des deutschen Volkes" würden. Lieber möchte er "dieses Land" so behalten, wie er es von seinen Vätern "ererbt" habe.
Gerade in Mittelosteuropa gehört noch eine weitere Ausprägung zur radikalen Rechten: ein christlich-fundamentalistischer, klerikal-autoritärer Nationalismus. Häufig zeigt dieser auch weitere Merkmale von Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus. Irgendwo in diesem Grenzbereich ist wohl die gegenwärtige polnische Regierungspartei PiS anzusiedeln. Wie gesagt: Die Grenzen sind fließend.
Besonders augenfällig ist das beim Front National: Ließ sich die Partei unter Le Pen Vater noch als klar rechtsextrem beschreiben, ist das unter Le Pen Tochter nicht mehr so eindeutig. Die Partei hat sich nicht nur modernisiert, sondern durch die Abgrenzung vom Antisemitismus zumindest auch Teile ihres ideologischen Ballasts abgeworfen. Dennoch besteht der ideologische Kern weitgehend fort: Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Law-and-Order-Rhetorik, Europafeindlichkeit. Gleichzeitig trägt die Partei in ihrem politischen Stil auch deutlich populistische Züge. An dieser Stelle kommt eine weitere Kategorie der radikalen Rechten ins Spiel, die der Politikwissenschaftler Michael Minkenberg ethnozentristische Rechte nennt. Hierzu gehören nach einem von Minkenberg entwickelten Schema u.a. der Front National, die FPÖ und die Dänische Volkspartei. Auch die AfD weist einen deutlichen Trend in diese Richtung auf.
Die Daten der jüngsten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2014 zu rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen in Deutschland zeigen, dass rund 20 Prozent der Bevölkerung deutlich rechtspopulistisch denken. In welchem Ausmaß diese Orientierungen, die in allen Teilen der Gesellschaft anzutreffen sind, im Zeichen der Flüchtlingskrise noch zugenommen haben, werden wir wissen, wenn die neue FES-Mitte-Studie im November 2016 erscheint. Fest steht: In der gegenwärtigen "Gemengelage" nimmt die populistische Versuchung für die Politik zu. Wann ist die Grenze zum Populismus überschritten? Wenn aus dem "Aufs-Maul-Schauen" ein "Nach-dem-Munde-Reden" wird. In dieser Hinsicht hatte Franz Josef Strauß ganz recht.
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