In den USA droht VW ein Desaster

  20 Oktober 2015    Gelesen: 766
In den USA droht VW ein Desaster
Volkswagen wollte in den USA einen Neustart hinlegen. Der Marktanteil ist dort verschwindend gering. Dann kam der Abgas-Skandal. Nun droht dem Autokonzern die völlige Bedeutungslosigkeit.
Bislang ist es noch glimpflich für Volkswagen in den USA abgegangen: 2,5 Prozent weniger Autos der Marke VW haben die Wolfsburger dort in den ersten neun Monaten dieses Jahres verkauft. Da gibt es Regionen, in denen läuft es zurzeit dramatisch schlechter für den deutschen Autobauer.

In Russland zum Beispiel und in Brasilien. Oder sogar im Dauerwachstumsland China. Doch in den USA braut sich auf längere Sicht Bedrohliches für Volkswagen zusammen.
Noch ist VW trotz Abgaskrise in Nordamerika weitgehend stabil. Dabei würde man es in den Statistiken sofort sehen, wenn sich die US-Käufer von der Marke abwenden. Denn anders als die Europäer bestellen Amerikaner keine Neuwagen und warten Wochen lang darauf.
Sie marschieren vorne ins Autohaus rein und fahren hinten mit ihrem Neuwagen wieder raus. Und die VW-Autohäuser werden auch nach "Dieselgate" nicht deutlich öfter gemieden – jedenfalls nicht häufiger als vor der Affäre um die Software, mit der man die Abgaswerte bei Diesel-Fahrzeugen manipulieren kann.

Das mag daran liegen, dass die US-Käufer an Produktskandale und heftige Reaktionen ihrer Behörden gewohnt sind. Und es liegt daran, dass VW in den USA einfach keine Rolle spielt. Der Marktanteil ist schon jetzt verschwindend gering.

Nur zwei Prozent Marktanteil
Und wenn er weiter mittelfristig sinkt (die Wahrscheinlichkeit ist groß – denn einen VW kauft man in den USA nicht, weil er so hip oder billig ist, sondern weil er als solide und sauber gilt ) droht Volkswagen auf dem zweitgrößten Automobilmarkt der Welt völlig in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Zwei Prozent Marktanteil hat VW in den USA derzeit. Das ist ein neuer Tiefpunkt. Mit diesem Wert sind die Wolfsburger wieder auf dem Niveau von 2009, hat das Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen errechnet.

Um die Dauerschwäche in Nordamerika auszubügeln, hatte Volkswagen in Chattanooga (Tennessee) 2011 wieder ein US-Werk anlaufen lassen. In dem wird eine spezielle US-Variante des Passat gebaut. Die Folge war ein Anstieg des Marktanteils auf drei Prozent im Jahr 2012. Seither geht es aber wieder kontinuierlich bergab.

407.704 Autos der Marke VW hatten die Wolfsburger im vergangenen Jahr in den USA verkauft. Damit blieb Volkswagen als einziger großer Hersteller hinter den Vorjahreszahlen zurück. Allein im Dezember 2014 war die Nachfrage um 23 Prozent eingebrochen. Während Mercedes, BMW, Audi und Porsche zwischen acht und 20 Prozent zulegten.
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Zwar hatten die Wolfsburger begriffen, dass man in Philadelphia andere Autos anbieten muss als in Paderborn. Aber nur ein Modell speziell für den US-Markt ist den Amerikanern einfach zu wenig. Zumal der US-Passat nicht jedes Jahr – wie in dem autoverrückten Land üblich – überarbeitet und mit neuem Klimbim angeboten wurde.

"Dieselgate" wirft Volkswagen zurück
Die Rückschläge in Amerika passen so gar nicht zu dem jahrelang erfolgsverwöhnten Autoriesen. Zumal der sich für die USA besonders viel vorgenommen hatte. Bis 2018 wollte die Volkswagen Group of America in den USA eine Million Volkswagen und Audi pro Jahr verkaufen.

Das war vor "Dieselgate". Und damit das gelingt, wurden neue Modelle geplant und Investitionen für die nächsten fünf Jahre von mehr als sieben Milliarden Dollar bewilligt.
Damit wollte man dort hinkommen, wo Volkswagen schon mal war: auf eine wahrnehmbare Größe in den USA. Zur Erinnerung: 1964 hatte VW in den USA einen Marktanteil von 3,6 Prozent gehabt. Und das nur mit dem Käfer.

Zwei Jahre später war Volkswagen gar der viertgrößte Automobilhersteller in den Vereinigten Staaten – nach General Motors, Ford und Chrysler. Das freilich auch, weil es neben den "großen drei" mit Heimvorteil praktisch keine ausländischen Autoanbieter in Nordamerika gab.

Doch seither haben die Wolfsburger in den USA viele Rückschläge zu verkraften. Das 1978 angefahrene VW-Werk Westmoreland bei Pittsburgh musste nach zehn Jahren mit immer schwächerer Nachfrage und drastischen Verlusten geschlossen werden.

Schlechter Zeitpunkt für einen Neustart
Vom Problem der "unbeabsichtigten Beschleunigung" (unintended acceleration) bei automatikgetriebenen Fahrzeugen der Premiumtochter Audi in den 80er-Jahren, hat sich diese bis heute nicht erholt. In den USA sind BMW und Mercedes weiterhin erfolgreicher. Bei VW sollten nun eigentlich neue Modelle für einen Trend zum Guten sorgen.
In der Entwicklung und bald im Bau ist zum Beispiel ein ganz auf die Wünsche der amerikanischen Kundschaft zugeschnittener Mid-Size-SUV, also ein Geländewagen, der größer werden als ein Touareg, aber deutlich weniger kosten soll.

Als Vorlage für den mehr als fünf Meter langen Siebensitzer dient die Studie "Cross-Blue". 2016 soll er auf den Markt kommen und die Wolfsburger endlich wieder in die Offensive gehen lassen – doch stattdessen müssen sie nun auf Verteidigung schalten.

Der Abgasskandal erwischt den Konzern daher zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Dabei hatte man in Wolfsburg, aber auch bei den VW-Händlern gedacht, nun sei endlich die Zeit für einen Neustart gekommen.

"Die Modelle waren veraltet und auch noch überteuert für den amerikanischen Markt", sagt Alan Brown, Verbandschef der 650 VW-Händler in den USA, gegenüber der "Welt". Mit dem neuen SUV sollte endlich Abhilfe geschaffen werden. "Deswegen trifft uns der Skandal nun besonders hart", so Brown.

Einige Händler verkaufen sogar mehr
Insgesamt verzeichneten die amerikanischen Vertragshändler seit Bekanntwerden der gefälschten Abgaswerte nur einen leichten Umsatzrückgang. "Es gibt aber durchaus auch Händler, die in den vergangenen Wochen sogar besser verkauften als zuvor", berichtet Brown.

Wie empfindlich die Kunden auf den Skandal reagierten, sei regional sehr unterschiedlich. Brown leitet beispielsweise zwei Autohäuser in Texas. Den meisten seiner Kunden sei es ziemlich egal, wie viel Abgase ihr Wagen in die Luft puste.

Brown hat dennoch einige Anrufe von verunsicherten Kunden in den vergangenen Wochen bekommen. "Ihre Hauptsorge ist, wie sich ein Umbau der Wagen auf die PS-Leistung auswirken wird." Einige Kunden hätten gesagt, sie wollten daher auf keinen Fall, dass ihr Auto umgerüstet wird.

Brown kann derzeit viele Fragen seiner Kunden nicht beantworten, da VW selbst noch nicht weiß, wann die Rückrufaktion startet und was genau an den Diesel-Fahrzeugen gemacht werden muss.

Händler loben Krisenmanagement von VW
Trotzdem findet Brown, der Konzern habe bislang gutes Krisenmanagement bewiesen. Wie alle Händler hat Brown seine Diesel-Autos aus den Läden in die Garage gefahren. Das betrifft rund 20 Prozent der Wagen. Sie dürfen bis auf Weiteres nicht mehr verkauft werden. VW übernimmt die Kosten für die Händler.

Außerdem habe der Volkswagen-Konzern direkt nach Bekanntwerden des Skandals eine Infoseite für amerikanische Kunden ins Netz gestellt. In einem Video auf der Seite entschuldigt sich Michael Horn, der USA-Chef von VW, bei seinen Kunden, bittet um Geduld und beschwichtigt, die Diesel-Fahrzeuge seien trotz allem sicher zu fahren. Der Konzern hat außerdem eine Hotline eingerichtet, bei der Kunden ihre Fragen und Sorgen loswerden können.

"Wir können aus der Krise gestärkt hervorgehen", redet sich VW-Händler Brown Mut zu. "Zumindest, wenn VW weiterhin so offen kommuniziert und gleichzeitig bei den Kunden mit vielen Rabatten um Entschuldigung bittet." Zwei Prozent Marktanteil zu halten wäre da schon ein Erfolg.

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